Erdoğan für Klimaschutz gewinnen

Stetig steigende Emissionskosten sollen Unternehmen einen Anreiz geben, auf emissionsarme Technologien umzusteigen und so dem Ziel einer dekarbonisierten Wirtschaft näherzukommen. Doch wie kann ein europäischer Emissionshandel in einer globalisierten Welt funktionieren? Erfahren Sie mehr im Beitrag von Nachhaltigkeitsökonomin Silke Humbert.

Text: Silke Humbert

Gebäude der EU in Brüssel
«Wenn auch das europäische Emissionshandelssystem viel Bürokratie mit sich bringt, so steht doch ausser Frage, dass es eine Wirkung über die EU-Aussengrenze hinweg entfaltet», erklärt Silke Humbert. (Bild: Getty Images)

«Was nichts kostet, ist nichts wert», so ein landläufiges Sprichwort. Etwas abgewandelt kann man genauso gut sagen, «Was nichts kostet, wird nicht geschützt». Wie zum Beispiel die Atmosphäre.

Aus ökonomischer Sicht macht es wenig Sinn, sich jetzt über verantwortungslose Unternehmen oder gar den Kapitalismus als Ganzes zu echauffieren. Aus ökonomischer Sicht muss einfach eines her: ein Preis. Diesen Weg hat die EU eingeschlagen und 2005 ein Emissionshandelssystem (EHS) für Treibhausgase etabliert.

Bislang sind die Energiewirtschaft und die Industrie Teile des EHS; die Schifffahrt wird aktuell gerade aufgenommen. Ab 2026 sollen auch Gebäude und Strassentransport in das System eingegliedert werden, sodass das EHS dereinst 70 Prozent aller EU-weiten Emissionen umfassen wird.

Emissionshandelssystem – künstliche Kosten

Anders als die fixe Besteuerung pro abgegebener Emissionseinheit funktionieren die etablierten Emissionshandelssysteme nach dem «Cap-and-Trade-Prinzip». Staaten oder überstaatliche Jurisdiktionen definieren dabei eine Obergrenze (Cap) an Verschmutzungsrechten. Diese können über Zertifikate unter den Unternehmen gehandelt werden (Trade). Der Preis für die Zertifikate ergibt sich aus dem Handel zwischen den Unternehmen. Somit ist das Handelssystem marktorientiert und kosteneffizient. Die Obergrenze für die Emissionen wird regelmässig gesenkt, was das Angebot an Verschmutzungsrechten graduell verkleinert. Stetig steigende Emissionskosten sollen Unternehmen einen Anreiz geben, auf emissionsarme Technologien umzusteigen, und so dafür sorgen, dem Ziel einer dekarbonisierten Wirtschaft näherzukommen.

So weit, so gut. Doch welche Wirkung kann europäischer Emissionshandel in einer globalisierten Welt erzielen, in der Produktionsstandorte einfach über die EU-Aussengrenze verschoben werden können?

Ein Alleingang der EU?

Die EU ist sich der Gefahr der Verlegung von emissionsintensiver Produktion ins Nicht-EU-Ausland bewusst. Um dieser Gefahr entgegenzuwirken, führte sie im Oktober 2023 das CO2-Grenzausgleichssystem (CBAM) ein. Importeure von Waren aus dem Nicht-EU-Ausland müssen die produktionsseitig entstandenen CO2-Emissionen offenlegen und ab 2026 dafür bezahlen, sofern sie nicht schon im Herstellungsland eine äquivalente Abgabe haben leisten müssen. Jeglicher Handel aus der EU oder in die EU hinein ist vom europäischen Preis für Treibhausgase betroffen. Die Vermutung liegt nahe, dass sich die EU damit keine Freunde macht.

Bürokratie mit Wirkung

In der Tat sind die EU-Handelspartner nicht erfreut. Der Vorwurf steht im Raum, das CBAM sei eine protektionistische und bürokratische Massnahme. Interessant ist jedoch, dass die Anzahl an Emissionshandelssystemen und Steuern auf Treibhausgase weltweit ansteigt. Mittlerweile ist mehr als ein Viertel aller globalen Treibhausgase in einem Steuer- oder Handelssystem erfasst. Die Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch liegt auf der Hand: Steuern auf Emissionen oder Handel mit Verschmutzungsrechten bedeutet für Staaten zusätzliche Einnahmequellen.

Erdoğan als Klimaschützer

Vielleicht hat man so in manch einem Land gedacht – auch in der Türkei: Das Land hatte sich lange geweigert, sich den Pariser Klimazielen zu verpflichten. Doch bevor türkische Unternehmen der EU einen CO2-Importzoll zahlen, möchte die Türkei die Ausgaben für die Verschmutzung lieber im eigenen Land behalten. 2021 hat sich daher auch die Türkei zu den Pariser Klimazielen verpflichtet und plant den Aufbau eines EHS im Stile der EU. Das europäische EHS hatte an dieser Entscheidung einen grossen Anteil, hört man aus der Türkei. Wenn auch das europäische EHS viel Bürokratie mit sich bringt, so steht doch ausser Frage, dass es eine Wirkung über die EU-Aussengrenze hinweg entfaltet. Dass europäische Bürokratie Erdoğan irgendwann einmal zum Klimaschützer machen würde, war nun wirklich nicht zu erwarten.

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