Aktienmarkt im Fokus

In der Finanz und Wirtschaft spricht Benno Arnold, Fondsmanager bei Swisscanto Invest, über Schweizer Nebenwerte und Aktien Schweiz.

Text: Stefan Krähenbühl (Finanz und Wirtschaft), Foto: Othmar Köchle (Zürcher Kantonalbank)

Benno Arnold, Fondsmanager bei Swisscanto Invest
Benno Arnold, Fondsmanager bei Swisscanto Invest

Herr Arnold, der Schweizer Aktienmarkt ist zurück auf dem Niveau von Anfang Jahr. Macht Ihnen die rasche Erholung Sorgen?

Ja. Die Situation in der Realwirtschaft hat sich mit Corona massiv verändert. Es ist nicht anzunehmen, dass die Wirtschaft wieder zur alten Ordnung zurückfindet, dafür gibt es zu viele strukturelle Veränderungen. Ich schätze, dass viele Unternehmen 2021 noch nicht an die Umsätze von 2019 herankommen. Dass sie bezüglich Wachstum also zwei volle Jahre verlieren.

Das heisst: Der Markt ist überbewertet.

Die starke Erholungsphase hat so ziemlich alle Aktien nach oben getrieben. Dabei kam es auch zu der ein oder anderen Übertreibung. Denn: Einige Titel sind in der Krise zu Recht abgestraft worden. Aber es gibt natürlich immer auch attraktive Unternehmen, die zu wenig auf dem Radar der Investoren sind.

Zum Beispiel?

In unseren Nebenwerteportfolios finden sich einige vernachlässigte Titel. Leonteq beispielsweise, wo die Kurskorrektur aufgrund eines wohl einmaligen negativen Effekts zu stark ausgefallen ist. Meyer Burger, die jüngst einen Strategiewechsel bekannt gegeben und ihn mit einer erfolgreich durchgeführten Kapitalerhöhung finanziell unterlegt hat. Und Peach Property aus dem Immobiliensektor. Das Unternehmen ist gemessen am Kurs-Buchwert-Verhältnis einiges günstiger eingestuft als viele vergleichbare Werte. Der Markt wird derartige Differenzen über die Zeit ausgleichen.

Und dann sind da noch die berüchtigten Krisengewinner.

Viele dieser Unternehmen haben spannende Geschäftsmodelle und gute langfristige Plänen. Lonza beispielsweise halten wir in unseren Portfolios, weil sie bereits in der Vergangenheit den Beweis für eine erfolgreiche Umsetzung ihrer Strategie erbracht haben. Aber das werden eben nicht alle schaffen. Und es gibt sicher auch Titel, bei denen die Hoffnungen auffällig gross sind.

Welche sind das?

Ich denke da an den Laborausrüster Tecan, den IT-Dienstleister Also oder die Versandapotheke Zur Rose. Von ihnen erwartet der Markt derzeit sehr viel. Entsprechend hoch bewertet sind die Aktien. Ob die Unternehmen die Erwartungen auch erfüllen können, wird sich zeigen müssen. Wir halten Positionen dieser Unternehmen allerdings entweder gar nicht oder mit einem Untergewicht.

Angesichts der wirtschaftlichen Lage müssten die Preise doch generell tiefer sein.

Investoren setzen darauf, dass praktisch unbeschränkt Geld fliesst und nicht nur mit Geldpolitik sondern zunehmend auch mit fiskalpolitischen Massnahmen die Wirtschaft gestützt wird. Das zeigt sich in den Kursen.

Wie stark spielt eine «Fear of missing out», also die Angst der Anleger, etwas zu verpassen, in die Bewertungen hinein?

Sie spielt eine Rolle. Allerdings vor allem bei Unternehmen, bei denen man überproportionales Wachstum erkennen kann. Aber Anleger sollten sich bewusst sein, dass alles seine Grenzen hat.

Wird sich die Situation entspannen, wenn Corona überwunden ist?

Ich befürchte nicht. Die aktuelle Geld- und Fiskalpolitik befeuert die Verschuldung. Und wird dazu führen, dass die Zinskurve flach und die Realzinsen sehr tief bis negativ bleiben. Das verschärft den Anlagenotstand, man wird also praktisch gezwungen, in Aktien zu investieren.

Führt uns das direkt in die nächste Krise?

Die Schuldenkrise ist ja nicht neu. Sie wird zwar mit Geld zugedeckt, aber darunter brodelt es weiter. Ob und wie stark diese Situation künftig zu Marktkrisen führt, ist schwer abschätzbar. Ich befürchte aber, dass die Märkte nachhaltig volatiler bleiben. Wir werden schnellere Kursbewegungen sehen, grössere Amplituden, die aber rascher wieder ausgeglichen werden.

Gibt es weitere Faktoren, die dem Aktienmarkt zum Verhängnis werden könnten?

Den Handelskonflikt zwischen den USA und China betrachte ich mit zunehmender Sorge.

Wieso?

Der Markt unterschätzt das Risiko, weil ihn Corona völlig vereinnahmt. Vor ein paar Jahren hätten wir uns aber nicht vorstellen können, dass die USA nicht nur offen einen Handelskrieg führen, sondern gar gegen einzelne Unternehmen vorgehen, wie es mit Huawei der Fall ist. Schaukelt sich dieser Konflikt wieder nach oben, werden wir die realen Auswirkungen zu spüren bekommen. Es käme wohl erneut zu Verwerfungen. Insofern könnte sich der Konflikt als einflussreicher und negativer herausstellen, als viele denken.

Welche Wirkung kann die aktuelle Berichtssaison entfalten?

Sie führt vermutlich zu stärkeren Kursschwankungen als in anderen Jahren. Die korrekte Bewertung ist für Investoren und Analysten sehr viel schwieriger geworden. Zudem können Unternehmen oft keinen oder nur einen ungenauen Ausblick geben. Das ist eine völlig neue Situation.

Gibt es Sektoren, denen sie zutrauen, positiv zu überraschen?

Den Banken ist dies zuzutrauen, und wir haben auch schon erste positive Berichterstattungen gesehen. Die Aktivitäten der Kunden waren wegen der hohen Volatilität an den Märkten höher, was gute Umsätze und Gewinne bringt. Zudem waren Unternehmen aktiver, nahmen Kredite auf, es kam auch immer wieder zu Corporate-Finance-Transaktionen.

Banken sind nicht gerade dafür bekannt, Kursfantasien zu schüren.

Langfristig werden sich die negativen Trends, denen die Banken ausgesetzt sind, eher verstärken. Auch in Zukunft leiden sie unter tiefen Zinsen, ausserdem dürften der COVID-Pandemie wegen die Kreditausfälle ansteigen.

Und doch investieren Sie in Finanzwerte.

Wir sind mehr an speziellen Finanzdienstleistern interessiert. Nebst Leonteq beispielsweise an der Konsumkreditbank Cembra, die eben gerade Bericht erstattet hat. Die Befürchtungen über die Höhe der Kreditverluste scheinen übertrieben gewesen zu sein.

Wie gefallen Ihnen Swissquote?

Die Erwartungen der Anleger scheinen der Realität zu sehr vorauszueilen, weshalb wir nicht investiert sind. Natürlich hat Swissquote viele neue Kunden gewonnen, aber die Kunden sind zu wenig aktiv. Und das wird sich mit der Zeit auch in den Zahlen zeigen.

Ist die harsche Korrektur bei den Versicherern gerechtfertigt?

Das ist eine zweischneidige Angelegenheit. Im Gegensatz zu den meisten anderen Aktien sind Versicherungstitel einerseits nicht teuer. Sie handeln zum Teil unter Buchwert, was sicher auch an den tiefen Eigenkapitalrenditen liegt. Andrerseits gibt es noch einiges an Unsicherheit über die Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die Schadenlast und die Anlageportfolios der Versicherungsgesellschaften.

Hilft das den Aktien?

Es ist kaum zu erwarten, dass sie stark über den Buchwert steigen können. Natürlich gibt es zwischen den Versicherern Unterschiede, aber viele liefern eine zu geringe Eigenkapitalrendite, um ihre Kapitalkosten zu decken.

Die Situation am Aktienmarkt hat sich in den vergangenen Monaten immer wieder geändert. Haben Sie mehr Umschichtungen vorgenommen als in ruhigen Zeiten?

Deutlich mehr. Zuerst haben wir unser Corona-Exposure reduziert. Später haben wir in Unternehmen investiert, die zu stark abgestraft worden sind oder die von der Krise profitieren. Logitech, Siegfried, Bachem und VAT gehörten dazu. Letzteren kommt zugute, dass sich durch die schnellere Digitalisierung die Nachfrage im Halbleiterbereich kräftig erholt.

Setzen Sie wieder stärker auf Zykliker?

In den vergangenen zwei Monaten haben wir defensive Titel in der Tendenz eher reduziert. Allerdings gibt es Aktien mit defensivem Charakter, deren Geschäftsmodell auch in Krisenzeiten gut funktioniert. Beispielsweise SIG Combibloc. Sie sind sowohl bei steigenden wie auch bei fallenden Kursen ein guter Wert.

Welche Faktoren sind für die Auswahl von Aktien derzeit entscheidend?

Immer noch dieselben wie eh und je. Im Grundsatz geht es um die Frage, wie viel man bekommt und wie viel man dafür bezahlen muss. Den Preis zeigt der Markt, was ich erhalte, erkenne ich am Geschäftsmodell, den Finanzkennzahlen und an den Softfaktoren. Daran hat sich nichts geändert.

Viele Unternehmen haben ihre Prognosen kassiert. Das macht die Auswahl schwierig.

Das ist richtig. Durch die geringe Visibilität sind Softfaktoren bei der Beurteilung wichtiger geworden. Also beispielsweise, wie verlässlich das Management ist, ob das Geschäftsmodell für eine positive Überraschung sorgen kann oder wie gut sich ein Unternehmen neuen Gegebenheiten anpassen kann.

Und was raten Sie Privatanlegern?

Sie sollen weiterhin ihre Hausaufgaben machen, langfristig und gemäss dem eigenen Risikoprofil investieren – und nicht auf vermeintliche Geheimtipps setzen.

Das Interview erschien in der «Finanz und Wirtschaft». Laden Sie das Interview (PDF, 91 KB) herunter.

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