Gewinne, Gewinne, Gewinne

Regionale Aktienmärkte tendieren zwar oft in die gleiche Richtung, sie entwickeln sich aber unterschiedlich stark. Dafür sorgt eine Vielzahl von Faktoren, die zusammen eine grosse Rolle für das Wirtschaftswachstum der jeweiligen Aktienregion spielen. Aber auch das verhilft den Aktienmärkten noch nicht zu relativer Stärke. Letztlich entscheidend ist die Gewinnentwicklung im Vergleich zu den jeweils anderen Märkten. Lesen Sie mehr im Beitrag von Aktienstratege Jörn Spillmann.

Text: Jörn Spillmann, Anlagestratege Aktien

«Bei der Gestaltung der taktischen Aktienstrategie kommt der prognostizierten Gewinnentwicklung eine besondere Bedeutung zu», erklärt Aktienstratege Jörn Spillmann. (Bild: Getty Images)

Aktienmärkte lassen sich generell in folgende acht Regionen einteilen: Schweiz, Eurozone, UK, USA, Kanada, Japan, Australien und die Schwellenländer. Damit sind mehr als 97 Prozent des Gesamtmarktes (MSCI Welt Aktienindex) abgedeckt. Die Aktienindizes dieser Regionen reagieren in unterschiedlicher Weise auf global relevante Einflussgrössen, sodass sie für eine hinreichende Diversifikation im Anlageportfolio sorgen. Zudem stellen diese Regionen eigene Währungsräume dar. Eine Ausnahme bilden die Schwellenländer, die die Zürcher Kantonalbank in ihrer Anlagepolitik aufgrund der Heterogenität sowie der geringen Grösse als einen Block und in US-Dollar betrachtet.

Tendenziell bewegen sich die regionalen Aktienmärkte in die gleiche Richtung wie der globale Gesamtindex, weil sie alle auf dieselben globalen Einflussgrössen reagieren. Auch wenn die Richtung, beispielsweise Tendenz steigende oder fallende Kurse, gleich ist, entwickeln sie sich aber unterschiedlich stark. Es muss also neben den globalen noch individuelle, regionenspezifische Faktoren geben, die zu einer über- oder unterdurchschnittlichen Entwicklung gegenüber der globalen Messlatte beitragen.

Diese Faktoren werden unter dem Begriff «Alpha» zusammengefasst, was im positiven Fall so viel wie Vorteil oder Vorsprung gegenüber den anderen bedeutet.

Viele Einflussfaktoren

Es gibt viele verschiedene Faktoren, die relevant sind für die relative Attraktivität von Aktienmärkten. Fasst man das Wissen aus dem Internet mittels textbasierter Dialogsysteme zusammen, liefern diese weitgehend übereinstimmende Antworten, welche Faktoren in Frage kommen. Danach lassen sich die Faktoren in wirtschaftliche, politische, soziale und regulatorische Einflussgrössen kategorisieren. Zusammen betrachtet bilden sie das Umfeld, in dem Aktiengesellschaften, also die Mitglieder des regionalen Indexes, ihrer Tätigkeit nachgehen.

Die regulatorischen Faktoren stehen im Hinblick auf den Aktienmarkt eher am Ende der Bedeutungskette. Sie regeln, wie Investorinnen und Investoren Geschäfte an den Aktienmärkten abwickeln können. Dabei dienen zum Beispiel Standards für Unternehmensführung oder die Berichterstattung dem Investorenschutz, während unter anderem Regelungen zum Leerverkauf von Aktien eher den Handelsplatz oder die Unternehmen schützen sollen. Von grösserer Bedeutung sind dagegen politische und soziale Faktoren wie die Staats- oder Herrschaftsform sowie ihre Stabilität, der Offenheitsgrad der Volkswirtschaft, die Geld- und Fiskalpolitik der Regierung, Handelsbeziehungen, Bürokratie sowie die Transparenz bürokratischen Handels. Darüber hinaus werden die demografische Entwicklung, der Freiheitsgrad für Individuen sowie die Qualität des Bildungssystems und der Infrastruktur genannt. Zusammen bestimmen sie die Produktivität, Kreativität und Innovationskraft von Unternehmen. Dabei spielen bei allen genannten Faktoren Stabilität, Berechenbarkeit und Transparenz eine wichtige Rolle.

Jörn Spillmann

Stabilität, Berechenbarkeit und Transparenz spielen eine wichtige Rolle.

Jörn Spillmann, Anlagestratege Aktien

Einzelfaktoren meist ohne messbaren Einfluss

Viele Studien haben den Zusammenhang zwischen den individuellen Faktoren und der Aktienmarktentwicklung untersucht. In den meisten Fällen kommen sie zu dem Schluss, dass ihr Einfluss einzeln betrachtet zwar positiv, aber eher gering und längerfristiger Natur ist. In ihrer Gesamtheit sollten sie sich aber im realen Wirtschaftswachstum und der Preisentwicklung sowie im Vergleich zu anderen Volkswirtschaften in der Währungsentwicklung niederschlagen. Insofern scheint eine enge Beziehung zwischen nominalem Wirtschaftswachstum, den Wechselkursen und der Aktienmarktentwicklung relativ zum MSCI Welt plausibel. Und tatsächlich lässt sich hier ein stärkerer Einfluss feststellen, auf den bereits auch eine einfache Korrelationsanalyse hinweist (vgl. Grafik). Für alle Märkte ist der Zusammenhang zwischen Wirtschaftswachstum und Indexentwicklung positiv, aber bei den Industriestaaten mit einem Wert von durchschnittlich 0.2 niedrig. Anders sieht es bei den Schwellenländern aus, wo der Korrelationskoeffizient mit 0.45 mehr als doppelt so gross ist. Dies hängt unter anderem damit zusammen, dass in aufstrebenden Volkswirtschaften landesspezifische wirtschaftspolitische Weichenstellungen oftmals noch grössere Auswirkungen auf die Konjunktur und die Gewinnentwicklung der Aktiengesellschaften haben. Das Vertrauen ausländischer Investorinnen und Investoren steigt, damit strömt vermehrt Kapital in das jeweilige Land. Dies geht einher mit einer weiteren Besonderheit: Während in den Industriestaaten ein Anstieg des realen handelsgewichteten Wechselkurses (Aufwertung) eher einen Gegenwind für den jeweiligen Aktienmarkt darstellt, ist er in den Schwellenländern in der Regel mit relativer Stärke verbunden. Zwar bieten stärkere Währungen auch dort keinen Rückenwind für Exporteure, aber der Wechselkurs steht als Vertrauensindikator im Vordergrund.

Korrelation mit der Entwicklung an den Aktienmärkten

Zeitraum: Zwischen Januar 2004 und Dezember 2023

Quellen: Zürcher Kantoanalbank, Refinitiv

Gewinne als Summe aller relevanten Faktoren

Es gibt einen Faktor, der für das Alpha eines Aktienindexes noch bedeutender ist, und das ist die Entwicklung der Gewinne seiner Mitgliedsunternehmen. Dies hängt damit zusammen, dass in den Indizes die grossen Unternehmen der Region enthalten sind. Deren Umsätze, Kosten und letztlich Gewinne hängen zumeist nicht allein vom Wachstum im eigenen Wirtschaftsraum ab, sondern auch von der Konjunktur in anderen Regionen. Unter diesem Aspekt ist auch die Sektorstruktur von Bedeutung. Defensive Sektoren haben eine stabilere Gewinnentwicklung als konjunktursensitive Branchen, was im globalen Aufschwung ein Nachteil, in Rezessionsphasen ein Vorteil ist. Letztlich kommt es also nicht darauf an, wie stark das Wirtschaftswachstum der Region ausfällt oder sich der Wechselkurs bewegt, sondern darauf, wie sich alle Faktoren zusammen auf die Gewinne der Unternehmen auswirken. Das heisst, die richtige Prognose des künftigen Gewinnwachstums führt zu einer höheren Trefferquote bei den Investitionsentscheidungen am Aktienmarkt als die richtige Prognose bezüglich des globalen oder regionalen Wirtschaftswachstums und der Wechselkurse der jeweiligen Aktienregion.

Entscheidend: Prognose der Gewinnentwicklung

Bei der Gestaltung der taktischen Aktienstrategie kommt der prognostizierten Gewinnentwicklung eine besondere Bedeutung zu. Die Experten der Zürcher Kantonalbank gehen dabei mehrstufig vor:

  • Erstens werden für die jeweiligen Regionen die Wachstums- und Inflationsprognosen der Ökonominnen und Ökonomen übernommen
  • Zweitens wird auf Basis der ermittelten regionalen Umsatz- und Kostenaufteilung das erwartete Wachstum für beide abgeleitet
  • und drittens lässt sich eine Schätzung für die Gewinnentwicklung auf Sicht von zwölf Monaten errechnen

Dieser Ansatz zielt darauf ab, alle relevanten Faktoren direkt oder indirekt in die Gewinnschätzungen einfliessen zu lassen.

Bewertung wird überschätzt

Oftmals wird eine Übergewichtung einer Aktienregion auch mit einer günstigen oder attraktiven Bewertung des jeweiligen Marktes begründet. Allerdings zeigen Datenanalysen, dass sich allein daraus keine gewinnbringende Anlageempfehlung ableiten lässt. Letztlich kommt es auch beim Bewertungsaspekt auf die zugrunde liegende Gewinnentwicklung an. Ein prominentestes Beispiel liefert der Aktienmarkt Grossbritanniens (UK). Gemessen am Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) weist der britische Markt im Vergleich zum Weltindex eine niedrige Bewertung auf. Das hat allerdings fundamentale Ursachen, die sich insgesamt erneut in der schwachen Gewinnentwicklung spiegeln. Solange diesbezüglich keine Besserung zu erwarten ist, macht eine niedrige Bewertung den UK-Aktienmarkt weder günstig noch attraktiv.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass neben globalen Einflussgrössen, die die generelle Richtung vorgeben, regionale Aktienmärkte zusätzlich auch auf individuelle, regionenspezifische Faktoren reagieren – wobei der Gewinnentwicklung klar die grösste Bedeutung zukommt.

Kategorien

Anlegen