Die Bedeutung der Frei­willigen­arbeit

In der Schweiz sind es rund drei Millionen Menschen, die jede Woche rund vier Stunden auf freiwilliger Basis arbeiten. Wie unterscheiden sich die verschiedenen Formen der Freiwilligenarbeit? Und ist diese gesellschaftlich wichtige Arbeit wirtschaftlich messbar? Erfahren Sie mehr im Beitrag von Chefökonom Schweiz David Marmet.

Text: David Marmet

«Eine mechanische Monetisierung der Freiwilligenarbeit macht die Welt kaum besser, vielmehr ist eine gerechtere Aufteilung zwischen unbezahlter und bezahlter Arbeit erstrebenswert», sagt David Marmet. (Bild: Getty Images)

Das geflügelte Wort, dass viele Menschen mehr verdienen als sie verdienen, trifft bei unbezahlter, freiwillig geleisteter Arbeit überhaupt nicht zu. In der Schweiz sind es rund drei Millionen Menschen, die jede Woche rund vier Stunden auf freiwilliger Basis arbeiten.

Zum einen geschieht dies in Form von «informeller Freiwilligenarbeit», dazu gehört beispielsweise die Nachbarschaftshilfe oder die Betreuung und Pflege von Verwandten und Bekannten, die nicht im selben Haushalt leben. Bei dieser Art von Tätigkeit werden am häufigsten Kinder oder betagte Personen betreut. Auffällig ist dabei das Engagement der weiblichen Bevölkerung: So geben 26 Prozent der Frauen an, Kinder ausserhalb des eigenen Haushalts zu betreuen. Bei den Männern liegt dieser Anteil bei 13 Prozent.

Weniger eindeutig sieht es bei der zweiten Form der unbezahlten Arbeit aus, der «formellen Freiwilligenarbeit». Die Schweiz ist bekanntlich ein Land der Vereine. Männer engagieren sich insbesondere in Sport-, Hobby- und Freizeitvereinen. So arbeiten beispielsweise 17 Prozent der männlichen Bevölkerung unentgeltlich in Sportvereinen mit; bei den Frauen sind es weniger als 10 Prozent . In kulturellen Vereinen hält sich das Geschlechterverhältnis die Waage, wohingegen sich in kirchlichen und karitativen Organisationen Frauen häufiger engagieren.

Frauen haben die Nase vorn

Es gibt wohl kein Land auf der Welt, in dem Männer insgesamt mehr unbezahlte Arbeit leisten als Frauen. Daten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass in Deutschland Frauen im Schnitt pro Tag rund vier Stunden unbezahlt arbeiten und damit etwa 1,6-mal so viel Zeit für Freiwilligenarbeit aufbringen wie Männer mit circa zweieinhalb Stunden. Das gleiche Verhältnis herrscht in Frankreich oder in den USA, während es in den südlichen Ländern Europas gar bei 2 und mehr liegt. Extrembeispiel in der OECD-Statistik ist Indien mit einem Verhältnis von 6,8.

Soll unbezahlte Arbeit monetisiert werden?

Einige Ökonomen argumentieren, die Welt würde besser, wenn jede Tätigkeit entlohnt würde. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) würde steigen und die soziale Ungleichheit deutlich abnehmen. Grobe Schätzungen gehen davon aus, dass in den OECD-Ländern im Mittel eine Person pro Tag rund fünfeinhalb Stunden bezahlte und knapp vier Stunden unbezahlte Arbeit leistet. Mit einer Monetisierung der unbezahlten Arbeit würde das BIP also deutlich höher liegen. Ob die Welt indes bei einem höheren BIP-Niveau automatisch besser ist, darf durchaus bezweifelt werden. Hand aufs Herz: Wären wir glücklicher, wenn jedes Blumengiessen oder jedes Briefkastenleeren beim Nachbarn penibel abgerechnet würde?

Gesellschaftlich immens wichtig

Ein anderer Aspekt ist die soziale Ungleichheit, diese würde mit der Entlohnung freiwilliger Arbeit unbestritten abnehmen. Allerdings argumentieren einige Wissenschaftler, dass es zielführendender sei, die unbezahlte Arbeit gesellschaftlich aufzuwerten statt zu monetisieren. Die Ökonomin Irmi Seidl führt ins Feld, dass bezahlte Arbeit oftmals auch mit hohem Umweltkonsum einhergeht. Verteilt man die vorhandene Erwerbsarbeit aber auf mehrere Personen, kann dies die Umwelt entlasten – und zudem die Produktivitätsfalle mildern.

Produktivitätsfalle heisst in diesem Zusammenhang, dass Wirtschaftswachstum einerseits Arbeitsplätze schafft, andererseits aber durch die dem Wachstum inhärenten Produktivitätsfortschritte gleichzeitig Arbeitsplätze vernichtet. Freiwilligenarbeit sei für das Funktionieren unserer Gesellschaft essenziell, stifte Sinn und schaffe Autonomie. Das BIP sei in dieser Diskussion das falsche Mass und einiges müsste neu durchdacht werden, zum Beispiel, dass nicht vor allem die bezahlte Arbeit, sondern alle Produktionsfaktoren zur sozialen Sicherung beitragen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass eine mechanische Monetisierung der Freiwilligenarbeit die Welt kaum besser macht, sondern vielmehr eine gerechtere Aufteilung zwischen unbezahlter und bezahlter Arbeit erstrebenswert ist.

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