Neubauverkauf – Sand im Getriebe

Die Vermarktung von Neubauwohnungen ist anspruchsvoller geworden. Wir suchen nach möglichen Erklärungen und stellen uns die Frage, ob dies ein Grund zur Sorge ist oder vielmehr eine Chance für angehende Eigenheimbesitzer.

Text: Ursina Kubli, Leiterin Immobilien-Research, und Gerd Gisler, Analytics Immobilien

Baustelle
Der Abverkauf von Eigentumswohnungen läuft weniger rund als noch während der Pandemie. (Bild: JoosWolfangel)

Ein Mann sollte im Leben drei Dinge tun: ein Haus bauen, einen Baum pflanzen und einen Sohn zeugen. Dieses alte Sprichwort ist nicht nur punkto Gleichberechtigung der Geschlechter nicht mehr zeitgemäss. Bereits bei der ersten Aufforderung werden die meisten heutzutage stutzen. Aufgrund der geringen Bodenverfügbarkeit und der hohen Preise geschieht der Bau von Einfamilienhäusern nur noch selten. Immerhin tun sich beim Stockwerkeigentum im Neubau plötzlich Chancen auf.

Wer heute auf den grossen Immobilienportalen Ausschau nach Wohneigentum hält, dürfte erstaunt darüber sein, mehr Neubauprojekte als üblich zu finden. Schweizweit sind derzeit auf Homegate über 11’000 Neubauwohnungen zum Verkauf publiziert. Das ist gegenüber den Vorjahren ein deutliches Plus. Erfreulicherweise liegen die Neubauprojekte nicht etwa an ländlicheren, weniger gefragten Lagen. Ausgerechnet in der Stadt Zürich schwingt das Angebot an sich im Bau befindenden oder eben fertiggestellten Wohnungen oben aus, obwohl die Nachfrage nach urbanem Wohnen anhält. Eine besonders rege Baueingabe dient ebenfalls nicht als Erklärung. In den letzten vier Quartalen wurde in der Stadt Zürich für 120 Wohneigentumseinheiten die Baubewilligung erteilt. Ein Tropfen auf den heissen Stein, könnte man meinen.
 

Was ist im Neubau los?

Das Mehrangebot bei Neubauten steht in starkem Kontrast zu den Zeiten der Pandemie. Damals gingen Neubauwohnungen wahrlich weg wie warme Weggli. Schon zu Vermarktungsbeginn waren die besten Wohnungen verkauft, zahlreiche Bauprojekte mussten gar nicht auf Immobilienportale zurückgreifen. Mundpropaganda im Quartier reichte aus, um für die anstehenden Bauprojekte neue Eigentümer zu gewinnen. Denn: Neubauwohnungen haben gegenüber Altbauwohnungen zahlreiche Vorteile. Diese zeigen sich bereits beim Gestaltungsspielraum. Käufer einer Wohnung ab Plan haben in der Regel Entscheidungsmöglichkeiten bezüglich Ausstattung sowie Materialisierung und können Anpassungen bei der Raumeinteilung einbringen. Diesbezüglich ist man bei älteren Wohnungen stark eingeschränkt. Zudem entsprechen Neubauten mit nicht fossilen Heizungen sowie neuesten Dämmmaterialien den aktuellen Ansprüchen hinsichtlich Nachhaltigkeit. Anstehende Gesamtsanierungen von älteren Stockwerkeigentumseinheiten können hingegen im Gemeinschaftsverbund nervenaufreibend sein. Wieso finden viele Neubauten dennoch nur schwer einen Käufer?

Neubau im Angebot

Anzahl Verkaufsinserate im Neubau, Kanton und Stadt Zürich
 

Neubauangebot
Quellen: Homegate, Zürcher Kantonalbank

Der Wunsch, höhere Preise zu verlangen

Eine erste Erklärung dürften die höheren Baukosten sein. Die Nachwehen der Pandemie beeinträchtigten die Lieferketten. Bilder von geschlossenen Häfen und fehlenden Containern machten weltweit die Runde. Es mangelte an für den Bau wichtigen Rohstoffen wie Stahl, Zement und Holz. Die infolge des Ukrainekriegs gestiegenen Energiepreise wirkten als zusätzlicher Preistreiber. Der Wohnungsneubau war unmittelbar mit höheren Baukosten konfrontiert. Damit die Endrechnung für den Entwickler trotzdem aufging, wurden die höheren Kosten offenbar auf die bisherigen Preisvorstellungen draufgeschlagen. Die Angebotspreise von Neubauwohnungen lösten sich von der Preisentwicklung bestehender Bauten.
 

Angebotspreise im Neubau folgen den höheren Baukosten

Angebotspreise Neubau vs. Nicht-Neubau, Kanton Zürich (Index 2020=100)
 

Angebotspreise
Quellen: Homegate, Zürcher Kantonalbank

Hinzu kommt, dass Baupromotoren ihre Lehren aus der überbordenden Nachfrage zu Zeiten der Pandemie gezogen und ihr Preissetzungsverhalten angepasst haben. Ein Projektentwickler erzählte stolz, dass sein Bauvorhaben während der Pandemie innert weniger Stunden (!) ausverkauft war. Diesen enormen Anklang darf er als Grosserfolg feiern. Er hat mit seinem Projekt den Nerv der Zeit voll erwischt. Selbst wenn das ein Extrembeispiel sein dürfte, wird dieser Bauherr nicht der Einzige sein, der sich im Nachhinein gefragt hat, ob er nicht ein höheres Preisschild hätte anbringen können. Heutzutage wird der Markt oftmals im Vorfeld systematisch auf die vorhandene Zahlungsbereitschaft getestet. Teilweise geschieht das unauffällig, indem potenzielle Käufer vor Verkaufsbeginn und Preissetzung bekunden können, dass sie sich für Wohnungen einer bestimmten Zimmerzahl interessieren und exklusiv vorab über den Verkaufsstart informiert werden möchten. Die Menge an Anfragen gibt dem Verkäufer ein Indiz, wie begehrt die einzelnen Wohnungen sind. Manchmal werden Interessenten vor Publikation der Preislisten auch direkt nach ihrer Zahlungsbereitschaft gefragt. Die Preisausgestaltung ist hochprofessionalisiert, zu tief bepreiste Wohnungen sind selten.

Realität sieht anders aus

Der Wunsch, höhere Preise durchzusetzen, hält der Realität aber nicht immer Stand. Im Gegenteil: Bei den Transaktionspreisen ist der Preisaufschlag für Neubauten, die sogenannte Neubauprämie, in den letzten Jahren sogar gesunken. Inzwischen kostet eine Neubauwohnung gegenüber einer in sämtlichen Aspekten wie Lage- und Objekteigenschaften vergleichbaren 25-jährigen Altbauwohnung rund 10 Prozent mehr. Vor rund 10 Jahren lag dieser Aufpreis noch bei 20 Prozent.
 

Am Transaktionsmarkt sinkt der Neubau-Preisaufschlag

Neubauprämie am Transaktionsmarkt, STW im Kanton Zürich, in Prozent
 

Preisaufschlag Neubau
Quellen: Swiss Real Estate Datapool (SRED), Zürcher Kantonalbank



Eine Erklärung für diese Abnahme dürfte das allgemein hohe Preisniveau bei Schweizer Immobilien sein. Da immer weniger Kaufinteressenten die hohen Preise finanziell stemmen können, spielen absolute Preise eine grössere Rolle. Das Ende der Negativzinsen hat diesen Effekt verstärkt. Nach der Zinswende fielen die mit einer hohen Hypothek einhergehenden Finanzierungskosten stärker ins Gewicht. Seither stagniert der Anteil von Stockwerkeigentumswohnungen über einem Budget von 2 Mio. bei Immobilienverkäufen, die Verkaufssituation ist bei hohen Preisen anspruchsvoller.

Für einen Bauherrn gibt es im Verkaufsprozess zwei wichtige Phasen. Wer auf Fremdkapital angewiesen ist, muss in der Regel einen bestimmten Anteil der Wohnungen verkauft haben, um von den Finanzinstituten grünes Licht für den Baukredit zu erhalten. Falls der Verkauf weniger dynamisch startet als erhofft, ist der Verkäufer dazu verleitet, kleinere Preiszugeständnisse zu machen, um den kritischen Schwellenwert an verkauften Wohnungen zu erreichen. Anekdotisch war das im vergangenen Jahr der Fall. Käufer hatten beispielsweise einen zusätzlichen Garagenplatz im Verkaufspreis inkludiert. Wer den Wohnungsbau hingegen mit Eigenkapital finanziert und nicht auf die erwartete Nachfrage stösst, kann abwarten.

Die zweite Phase ist der Zeitpunkt, zu dem die letzte Wohnung einen Käufer gefunden hat. Dies ist insofern wichtig, als der Gewinn eines Bauvorhabens gewissermassen in der letzten Wohnung schlummert und erst mit ihrem Verkauf materialisiert wird. Häufig sind Makler noch nach Bauende mit dem Verkauf beschäftigt. Im Kanton Zürich hatten rund 65 Prozent der Wohnbauprojekte zum Zeitpunkt der Fertigstellung noch mindestens ein Verkaufsinserat auf den Portalen. Der Anteil war in den Vorjahren deutlich niedriger. 2021 beispielsweise steckten nur ca. 55 Prozent der Projekte im Verkaufsprozess. Bei der Neubauvermarktung ist heute etwas Sand im Getriebe.
 

Wenn das Bauende nicht das Verkaufsende bedeutet

Anteil der Projekte, die vor ihrem Fertigstellungsdatum abverkauft wurden, in Prozent
 

Bau-Ende
Quellen: Gebäude- und Wohnungsregister, Homegate, Zürcher Kantonalbank

In den Kantonen Jura, Uri, Tessin und Wallis gibt es Ladenhüter

Im Vergleich zu anderen Kantonen ist Zürich aber noch immer in einer relativ komfortablen Situation. Ladenhüter gibt es bis anhin kaum. Die meisten Zürcher Neubauwohnungen, die inseriert werden, befinden sich noch im Bau oder sind soeben fertiggestellt worden. Wohnungen, die bereits vor einem oder sogar zwei Jahren realisiert wurden und noch immer auf einen Käufer warten, haben nur einen Anteil von 21 Prozent. Einzig die ebenfalls städtischen Kantone Basel-Stadt, Zug und Genf haben einen noch geringeren Anteil. In den ländlicheren Kantonen Jura, Uri sowie in den Ferienkantonen Tessin und Wallis liegt der Anteil hingegen bei bis zu über 60 Prozent.
 

Zürcher Baupromotoren in komfortabler Situation

Baubeginn der inserierten Neubauwohnungen pro Kanton, Verteilung in Prozent
 

Baupromotion Vergleich CH
Quellen: Gebäude- und Wohnungsregister, Homegate, Zürcher Kantonalbank

Grund zur Sorge? Nein!

Die aktuelle Datenlage bestätigt, dass am Baupromotionsmarkt insbesondere im Vergleich zu den Vorjahren etwas Sand im Getriebe ist. Doch ist dies ein Grund zur Sorge? Nein! Für angehende Käufer sowieso nicht. Sie sind endlich in der Lage, zwischen verschiedenen Projekten und Wohnungen auszuwählen, und haben mit etwas Glück Chancen auf kleinere Preisreduktionen. Doch auch Verkäufer können nur auf hohem Niveau klagen. Erstens zeigen die Daten, dass der Ausnahmezustand der Jahre der Pandemie zwar vorbei, der Markt aber intakt ist. Zweitens wird ihnen die laufende Zinsentwicklung allmählich den Sand aus dem Getriebe waschen.

 

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