Kein Home Sweet Home 2.0

Höhere Energiepreise und mögliche Zinserhöhungen der SNB werden nichts am eigentlichen Problem des Schweizer Immobilienmarktes ändern: Die notorische Unterversorgung an Eigenheimen hält an. Auch bei Mietwohnungen bleibt die Absorption hoch, und die Zeiten eines Überangebots sind vorbei.

Text: Ursina Kubli, Leiterin Analytics Immobilien

Wohneigentum
Die Preise für Wohneigentum stiegen 2021 im Kanton Zürich um 9,3 Prozent. (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)

Mit dem Frühling und dem Wegfall von Coronamassnahmen wäre die Zeit reif für das grosse Aufatmen. Dazu bleibt kaum Zeit. Denn mit dem Krieg in der Ukraine ist sogleich die nächste Krise ausgebrochen, die für grosse Unsicherheit sorgt. Wenn die Pandemie uns etwas gelehrt hat, dann psychologische Effekte nicht zu unterschätzen. Nach dem ersten Lockdown bildeten sich vor Gucci- und anderen exklusiven Läden an der Zürcher Bahnhofstrasse beeindruckend lange Schlangen. Trotz unsicherer Arbeitsmarktaussichten und ungewissem Verlauf des Infektionsgeschehens hatten viele das Bedürfnis, sich etwas Gutes zu tun. Bei der Wohneigentumsnachfrage sorgte der sogenannte Cocooning-Effekt für zusätzlichen Schub. Wird die unsichere geopolitische Lage den Stellenwert der Wohnsituation nochmals erhöhen?

Zu Beginn der Pandemie gaben Hamsterkäufe von Toilettenpapier und Backhefe bis über die Landesgrenze hinaus zu reden. Heute steht das Leid der Menschen in der Ukraine im Vordergrund, und die Solidarität ist gross. Der Krieg bringt aber auch Versorgungsängste zutage. So war Chemineeholz lokal schwierig zu bekommen, und in den Medien kursierten bereits Bilder von leeren Speiseölgestellen in Supermärkten. Sorge bereitet auch der kräftige Anstieg der Energiepreise. Und was geschieht, wenn russisches Gas nicht mehr importiert werden kann? Schon unsere Grossmütter wussten, dass man nicht alle Eier in denselben Korb legen sollte. Insbesondere über unsere Gasimporte aus Deutschland sind wir aber energietechnisch in hohem Masse von Russland abhängig. Experten schätzen unseren Anteil der russischen Erdgasimporte auf 40 bis 50 Prozent.
 

Immobilien aktuell 1-22

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Höhere Gaspreise dringen zum Endverbraucher durch

Höhere Gaspreise dringen zum Endverbraucher durch
Quellen: Refinitiv, Energie 360°, Zürcher Kantonalbank, 15. März

Vermietern bleibt die Nettomiete

Die hohen Energiepreise werden für alle spürbar sein. Der Marktpreis für Gas an der Rotterdamer Börse, dem für Europa wichtigsten Markt, hat sich nach der Eskalation in der Ukraine innert weniger Tage nahezu verdoppelt. Gegenüber dem Vorjahr bedeutet es ein Plus von bis zu 700 Prozent. Beim Endverbraucher kommen diese Preissteigerungen aufgrund der Lagerhaltung und der Absicherungsgeschäfte der Gaslieferanten etwas verzögert an (siehe Grafik). Ein Haushalt mit einem mittleren Einkommen wird diesen Preisanstieg wegstecken können. Bislang belaufen sich seine Ausgaben für Energie und Strom auf 110 Franken pro Monat. Das entspricht 2,4 Prozent seiner gesamten Konsumausgaben. Für Haushalte mit tieferem Einkommen können diese höheren Nebenkosten allerdings schmerzhaft werden. Da die Kosten von Energie und Strom jeweils vom Mieter getragen werden, erfährt der Vermieter keine direkten finanziellen Konsequenzen. Indirekt wird es der Vermieter aber zu spüren bekommen. Mieter setzen sich in der Regel ein fixes Budget für ihre Wohnausgaben, die sich aus Nettomiete plus Nebenkosten zusammensetzen. Sie haben also eine Bruttosicht auf die Mieten. Erhöhen sich die Energiepreise, bleibt entsprechend weniger Budget für die Nettomiete. Der Vermieter wird insbesondere im tiefen Mietsegment weniger hohe Nettomieten verlangen können. Das wird das Wachstum seiner Mieteinnahmen bremsen, selbst wenn die Leerstandsproblematik am Mietwohnungsmarkt spürbar nachgelassen hat und die Flüchtlingskrise die Absorption der Mietwohnungen weiter vorantreiben dürfte.

Welche Heizung hast du?

Diese Frage wird heutzutage nicht mehr nur im Hinblick auf Nachhaltigkeit gestellt. Private Immobilienbesitzer, die den Heizungsersatz schon länger vor sich hergeschoben haben, werden sich nun aktiv damit beschäftigen müssen. Viele der anstehenden Entscheide dürften sogar über den reinen Wechsel von einer Öl- oder Gasheizung hin zu einer Heizung ohne CO2-Emission, vorwiegend Wärmepumpen, hinausgehen. Da auch Stromengpässe oder im schlimmsten Fall -ausfälle drohen, sollte vorgesorgt werden. Mit Solarpanels könnten Hausbewohner zumindest einen Teil des täglichen Strombedarfs selbständig decken. Die Erdölkrise der 70er-Jahre gilt als die Geburtsstunde der Wärmedämmung. Gut möglich, dass der aktuelle Konflikt in der Ukraine den Prozess hin zu energieautarken Gebäuden bei privaten Personen ebenfalls stark beschleunigt. Damit dieser Weg auch gelingt, wäre es an der Zeit, bestehende bürokratische Hürden zu überdenken. Gerade das Bewilligungsverfahren bei Solaranlagen, das im Kanton Zürich bei Flachdächern noch immer erforderlich ist, scheint nicht mehr zeitgemäss. Institutionelle Immobilienbesitzer haben aufgrund der zunehmenden Regulierung hinsichtlich CO2-Neutralität ihren Pfad zur Senkung von Emissionen bereits eingeschlagen. Angesichts der hohen Energiepreise lohnt es sich umso mehr, diesen konsequent zu verfolgen.
 

Ein paar Fakten zur finanziellen Belastung von
Schweizer Haushalten durch Energie

3. Quartal 2021

Ein paar Fakten zur finanziellen Belastung von Schweizer Haushalten durch Energie 3. Quartal 2021

Eigenheimnachfrage wird zurückhaltender

Wer sich nach einem Eigenheim umschaut, wird finanziell in der Lage sein, höhere Kosten für Heizung und Strom zu schultern. Die finanziellen Mittel fehlen dem potenziellen Käufer dann aber anderswo, sodass Sparen und Amortisationszahlungen zukünftig anspruchsvoller werden. Das Eigenheim dürfte aber nicht mehr um jeden Preis im Fokus stehen, wie wir das in der Pandemie erlebt haben. In dieser sehnte man sich nach mehr Platz, denn man verbrachte sehr viel Zeit zu Hause. Da wusste man sich vor dem Virus in grösstmöglicher Sicherheit. Die eigenen vier Wände sind für die heutigen Sorgen keine Lösung, sodass die geopolitischen Risiken keinen zusätzlichen Ansturm auf Wohneigentum auslösen. Der Nachfrageüberhang am Immobilienmarkt ist allerdings bereits so gross, dass das kaum einen Einfluss auf die Preisdynamik haben wird.
 

Prognosen zum Wohnungsmarkt

Prognosen zum Wohnungsmarkt

Anhaltende Unterversorgung an Wohneigentum

Die grosse Frage bleibt, ab welchem Zinsniveau das eigentliche Problem des Immobilienmarktes, die notorische Unterversorgung an Eigenheimen, verschwinden wird und die Wohnbautätigkeit sich diesen wieder vermehrt zuwendet. An diesem Punkt sind wir mit einem SNB-Zinsanstieg in Richtung null aber noch lange nicht. Die mit Mietwohnungen erzielbaren Renditen sind weiterhin attraktiv, und die Nachfrage seitens institutioneller Anleger für Renditeliegenschaften ist nach wie vor gross, Wohnbauprojekte «en bloc» zu übernehmen. Der Einzelverkauf von Eigentumswohnungen ist aufgrund individueller Änderungswünsche bekanntlich sehr aufwendig und birgt nicht zuletzt das Risiko, auf einer der weniger attraktiven Wohnungen sitzen zu bleiben. Einzig bei den Bestandesliegenschaften könnte ein absehbares Ende der Negativzinsen etwas bewegen. Während die Banken zu Beginn der Negativzinsära diese erst vereinzelt bei sehr hohen Geldbeträgen an die Kunden weitergaben, wurden die Grenzen bei manchen Banken immer weiter gesenkt. Werden Zuflüsse in Einzelfällen bereits ab 250’000 Franken verrechnet, betreffen die Negativzinsen längst nicht mehr nur die Superreichen. Der Verkauf des Eigenheims, wie er früher im Rentenalter regelmässig erfolgte, ist heutzutage weniger attraktiv. Stattdessen wird das zu gross gewordene Einfamilienhaus oder die Eigentumswohnung vermehrt vermietet. Wird das negative Vorzeichen der Zinsen einst verschwinden, dürfte es manchem Eigentümer wieder etwas leichter fallen, sich vom Eigenheim zu trennen. Am Unterangebot ändert sich aber vorerst kaum etwas. Noch sind den Eigenheimpreisen nach oben kaum Grenzen gesetzt.
 

Zinserhöhungen ab 1973 und ab 2004 (unten) in Prozent

Quellen: Statistisches Amt Kanton Zürich, Zürcher Kantonalbank

Zwischen zwei Welten

Eine straffere Geldpolitik bedeutet nicht automatisch weniger dynamische oder sogar rückläufige Eigenheimpreise. In den Jahren 2004 bis 2008, als die SNB letztmals die Zinsschraube angezogen hat, sind die Eigenheimpreise um insgesamt 27 Prozent gestiegen. Der Eigenheimmarkt ist nicht so zinssensitiv, wie häufig gedacht. Erfolgt ein Zinsschritt der SNB, weil die Konjunktur gut gedeiht, reagiert sie auf einen nachfrageseitig bedingten Anstieg der Inflationsraten. Rosige Konjunkturaussichten sind grundsätzlich auch für den Immobilienmarkt eine positive Ausgangslage. Ist die Ursache der Teuerung hingegen angebotsseitig zu finden, wie das 1973 nach dem Erdölschock der Fall war, zeigen höhere Zinsen die erwartete Wirkung am Immobilienmarkt. Die Eigenheimpreise sanken damals rasch und deutlich. Demnach ist es wichtig, den gesamtwirtschaftlichen Kontext zu betrachten. Heutzutage stehen wir gewissermassen zwischen diesen beiden Welten. Die Inflation stieg in den vergangenen Monaten aufgrund der globalen Wirtschaftserholung nach der Pandemie an. Zu diesem nachfrageseitigen Preisschub gesellten sich Lieferengpässe und nun mit dem Ukraine-Konflikt ein weiterer angebotsseitiger Preisschub.