«Ältere Menschen brauchen einen Impuls, um ihre Wohnsituation zu ändern»

Wohnbedürfnisse älterer Menschen sind sehr unterschiedlich. Viele suchen Bequemlichkeit und Komfort in einer bekannten Umgebung, andere möchten zentraler und in einer kleineren Wohnung leben. Marianne Häuptli, COO, und Françoise Vannotti, Leiterin Immobilien & Projektentwicklung der Tertianum AG, kennen einerseits die Wohnbedürfnisse von älteren Menschen, andererseits auch den Immobilienmarkt im Segment Alterswohnen. Wir haben die beiden im Tertianum Giessenturm in Dübendorf getroffen.

Interview: Othmar Köchle

Marianne Häuptli, Tertianum AG
«Heute bleiben ältere Menschen zum Teil bis 90 im Einfamilienhaus, auch allein.» Marianne Häuptli, COO Tertianum AG (Bild: Reto Schlatter)

Frau Häuptli, wir sind hier im Tertianum Giessenturm in Dübendorf. 80 moderne ­Alterswohnungen sind hier in einem Hochhaus entstanden. Dazu 60 Einzelpflegezimmer. Wie kommt diese Wohnform bei älteren Menschen an?

M. H.: Der moderne Bau kommt grundsätzlich sehr gut an. Wir haben in diesem Wohnturm allerdings nur die ersten 14 Etagen gemietet – die Höhe ist für ältere Menschen teilweise doch etwas beunruhigend. Die oberen Stockwerke wurden von der Eigentümerin anderweitig vermietet. In den ersten drei Etagen ist neu die Verwaltung der Tertianum AG untergebracht. Wir bieten auch in Bern in der Tertianum Résidence Wohnungen in einem Wohnturm an. Dort sehen wir, dass die obersten Etagen etwas schwerer zu vermieten sind.

Datenanalysen der Zürcher Kantonalbank zeigen, dass viele ältere Menschen allein in viel zu grossen Einfamilien­häusern leben. In welchem Alter entscheiden sich Menschen, aus ihrem Einfamilienhaus auszuziehen und ein neues Zuhause fürs Alter zu suchen?

M. H.: Früher war es öfter so, dass beim Tod eines Ehepartners das Haus verkauft wurde. Die überlebende Person wechselte ins Alters- oder gar Pflegeheim. Eigentlich viel zu früh. Man nahm den Senioren damit viel selbstbestimmtes Leben. Das hat sich fundamental geändert. Heute bleiben ältere Menschen zum Teil bis 90 im Einfamilienhaus, auch allein. In der Regel muss etwas passieren, bis der Schritt aus dem lebenslang bewohnten Haus gemacht wird. Ideal sind eigentlich Zwischenlösungen für die ältere Bevölkerung. Kleinere Einheiten, in denen sie so viel Selbständigkeit behalten, wie sie wollen.
 

Immobilien aktuell 1-22

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Giessentturm, Dübendorf
Giessenturm in Dübendorf: Hier hat die Tertianum AG 80 Seniorenwohnungen und 60 Einzelpflegezimmer im Angebot. (Bild: Tertianum AG)

Genau solche Lösungen bieten Sie ja hier an, wenn ich das richtig verstehe.

F. V.: Wir versuchen in unseren Wohn- und Pflegezentren sehr individuelle Lösungen anzubieten. Das heisst, die Mieter können entscheiden, ob sie selbst waschen, putzen und kochen möchten. Sie bleiben so aktiv, wenn sie das wollen. Auf der anderen Seite gibt es diese Angebote im Haus. Und sollte man Pflege benötigen – vielleicht nur der eine Partner, haben wir ein internes Spitex-Angebot, das täglich auch mehrmals vorbeischaut. Im öffentlichen Spitex-Angebot sind zwei Besuche täglich das Maximum. Auch das Restaurant funktioniert wie ein öffentliches Restaurant. Die Bewohner studieren das Menu und sagen sich: «Heute gibt es Ghackets mit Hörnli. Super, da gehe ich ins Restaurant essen.» Es ist keine Voranmeldung nötig. Auf diese Weise können die Mieter ihre finanzielle Belastung steuern und sind, sollte sich ihre Gesundheit verschlechtern, auch schon am richtigen Ort.

In welchem Alter entscheiden sich Menschen für Wohnformen, wie sie die Tertianum AG anbietet?

M. H.: Typischerweise sind unsere Neumieter circa 80 Jahre alt. Natürlich ziehen vereinzelt auch schon jüngere Mieter ein, gerade in Neubauten mit modernen Wohneinheiten. Das kann auch für jüngere Menschen attraktiv sein.

F. V.: Ich möchte noch auf den Unterschied hinweisen zwischen der Art des betreuten Wohnens, das wir hier anbieten können, und den altersgerechten Wohnungen, von denen man gemeinhin spricht. Man kann fast sagen, dass heute Neubauwohnungen fast durchwegs seniorengerecht sind und als solche verkauft werden können: schwellenlos, genug breit, mit Lifts etc. Durch die integrierte Pflegeabteilung, die wir betreiben, kann ein älterer Mensch auch als Pflegefall hierbleiben, wenn er nicht mehr selbständig ist. Neulich hat mir ein Mann im Restaurant gesagt, dass er hier eine Wohnung bezogen habe, während seine Ehefrau hier in einem Pflegezimmer ist. So kann er selbstbestimmt leben und ist doch nahe bei seiner pflegebedürftigen Frau.

Wie muss man für ältere Menschen bauen? Gibt es eine Zauberformel?

F. V.: Wie bereits gesagt, sind die meisten Neubauten heute seniorengerecht. Trotzdem gibt es Bedürfnisse, die über den üblichen Standard hinausgehen, die wir hier beachten. Zum Beispiel haben wir bei Induktionsherden wieder Drehschalter machen lassen anstelle von berührungsempfindlichen Zonen auf der Oberfläche. Oder wir machen auf weissen Wänden die Lichtschalter grau, sodass sie sich optisch etwas absetzen. Auch Boden- und Wandfarben sind klar voneinander unterscheidbar. Der Backofen ist auf einer einfach zu handhabenden Höhe und nicht kompliziert. Oder: In den Duschen verbauen wir keine Glaswände, da diese schwer sichtbar sind für ältere Menschen. Solche Anforderungen, die es unseren Kunden leichter machen oder die aus den betrieblichen Abläufen entstehen, werden von der ersten Projektphase an von uns beachtet. Dennoch müssen die Lösungen subtil sein und sollen nicht nach Spital aussehen.

Françoise Vannotti, Leiterin Immobilien & Projektentwicklung der Tertianum AG
«Viele unserer Bewohner schätzen es, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Das heisst, die Mieter, die wir haben, kommen aus einem engen Einzugsgebiet.» Françoise Vannotti, Leiterin Immobilien & Projektentwicklung der Tertianum AG (Bild: Reto Schlatter)

Welche Rolle spielt die Lage für ältere Bewohner?

M. H.: Gerade wenn ältere Menschen eine gewisse Selbständigkeit erhalten wollen, ist eine zentrale Lage von Bedeutung. Einkaufsmöglichkeiten, in der Nähe, eine Post, eine Bank sollten in der Nähe erreichbar sein. Das wird sehr geschätzt.

F. V.: Viele unserer Bewohner schätzen es, in ihrer gewohnten Umgebung zu bleiben. Das heisst, die Mieter, die wir haben, kommen aus einem engen Einzugsgebiet. Jemand von der Goldküste geht kaum nach Horgen. Für Investitionsentscheide ist dieser Faktor nicht zu unterschätzen. In überalterten Gemeinden, die kein grosses Angebot an geeigneten Wohnformen für Senioren haben, kann man von einer grossen Nachfrage ausgehen.

Was raten Sie einem älteren Paar, das das EFH aufgeben möchte und eine neue Wohnsituation anstrebt?

M. H: Ich rate dazu, dass man sich damit auseinandersetzt, solang man noch fit und selbständig ist. Vielleicht schaut man sich einfach einmal die Möglichkeiten in der Gemeinde an oder im gewohnten Umfeld. Viele haben ein schlechtes Bild von Seniorenwohnmöglichkeiten und sind überrascht, was heute angeboten wird. Nicht wenige unserer Gäste sagen: «Ich hätte schon früher den Schritt machen sollen.»