«Wir müssen unser Bewusstsein für Daten schärfen»
Wer stirbt, hinterlässt nicht nur physische Werte, sondern auch eine Menge digitaler Daten. Lohnt es sich, schon zu Lebzeiten diesen speziellen Teil des Nachlasses zu regeln? Ja, meint Rechtsprofessorin Cordula Lötscher – und zeigt die wichtigsten Punkte dazu auf.
Interview: Patrick Steinemann / Bilder: Lea Meienberg / Illustration: Maria Salvatore | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 3/2024
Social-Media-Accounts, Ferienfotos, E-Mail-Korrespondenzen, persönliche Websites: Wir leben in einer Welt der digitalen Daten, machen uns aber kaum Gedanken, was mit diesen virtuellen Hinterlassenschaften nach dem Tod geschehen soll.
Das ist tatsächlich erstaunlich. Allerdings ist unser traditionelles Hab und Gut sicht- und greifbar und somit auch überschaubar. Im digitalen Raum verschwindet das Flüchtige hingegen leicht aus unseren Sinnen – obwohl es sich oft um Dinge mit hohem emotionalem Wert handelt. Zudem führt die schiere Menge der digitalen Spuren dazu, dass schon zu Lebzeiten wohl nur die wenigsten Menschen einen genauen Überblick haben.
Bildet alles, was ich digital geschaffen habe, auch mein digitales Erbe?
Eine grosse Frage. In der Schweiz haben wir kein Dateneigentum, das heisst, wir sind nicht per se Eigentümerin oder Eigentümer aller Daten, die wir generiert haben oder die mit uns verbunden sind. Dagegen kennen wir ein Datenschutzrecht, das sich auf das Persönlichkeitsrecht stützt. Ich bin also geschützt, wenn es um das Bearbeiten von Daten über mich geht. Das Erbrecht regelt zwar die Weitergabe von Eigentum, doch damit vererbe ich nicht automatisch auch meine digitalen Daten, da diese mir ja nicht uneingeschränkt gehören. Diese Differenzierung macht das Ganze kompliziert.
Professorin Cordula Lötscher
Cordula Lötscher ist Professorin für Privatrecht an der Juristischen Fakultät der Universität Basel sowie Lehrbeauftragte an den Universitäten Luzern und Zürich. Zudem fungiert sie als nebenamtliche Bundesrichterin in Lausanne sowie als nebenamtliche Richterin am Appellationsgericht Basel-Stadt. Cordula Lötscher hat 2021 ein Buch veröffentlicht mit dem Titel «Der digitale Nachlass».
Welche Vereinfachung für den juristischen Laien ist noch zulässig?
Grundsätzlich kann ich jene Daten vererben, die mit einem Recht oder einer Pflicht von mir verknüpft sind. Das kann etwa ein Eigentumsrecht sein an einem physischen Speichermedium samt darauf befindlicher Daten. Ein Recht auf Daten kann sich aber auch durch einen Vertrag ergeben, wie bei einem Benutzerkonto mit einem digitalen Anbieter. Ausdrücklich gesetzlich geregelt ist der erbrechtliche Übergang von Domain-Namen: Herrn Meiers Domain www.max-meier.ch geht an die Erben von Herrn Meier über. Auch geistige Schöpfungen wie Bilder, Texte oder Musik sind vererbbar über das Urheberrecht – die Erben erhalten dann die Verwertungsrechte an diesen Werken.
Ein vererbbarer Vertrag im digitalen Bereich: Wie kommt dieser zustande?
Eigentlich basiert jedes Benutzerkonto, das ich für einen Onlineshop, einen Social-Media-Account oder eine App abschliesse, auf einem Vertrag. Unklar ist bei vielen Digitalaccounts jedoch, ob sie mit dem Tod enden – eine gesetzliche Bestimmung dazu gibt es in der Schweiz nicht. Entscheidend sind somit vielfach die AGB, die Allgemeinen Geschäftsbestimmungen des Anbieters.
Viele Accounts liegen auf Servern ausserhalb der Schweiz. Welches Recht gilt in diesen Fällen?
Wenn ich als Konsumentin in der Schweiz einen Vertrag mit einem ausländischen Anbieter abschliesse, bin ich durch die Schweizer Konsumentenschutzbestimmungen geschützt. Diese beinhalten etwa einen Gerichtsstand in der Schweiz. Wenn ich jedoch als selbstständige Unternehmerin im kommerziellen Bereich einen Account betreibe, gelten diese Bestimmungen nicht mehr. Dann gilt das Recht, das auf den jeweiligen Vertrag Anwendung findet – das ist bei internationalen Anbietern häufig ausländisches Recht.
Der einfachste und sicherste Weg, Daten zu vererben, ist ein lokales Speichermedium.
Cordula Lötscher
Daten sind heute vielfach in der Cloud abgespeichert, und diese Server stehen ebenfalls häufig im Ausland.
Auch hier haben wir ein Vertragsverhältnis mit AGB oder Nutzungsbedingungen. Und ein solches kann eben ein Recht der Erben ausschliessen, indem es den Vertrag mit dem Tod des Inhabers für beendet erklärt. Dies ist etwa bei der iCloud von Apple der Fall. Hier haben die Erben nur dann ein Zugriffsrecht auf Fotos und Dokumente in der Cloud, wenn die Inhaberin oder der Inhaber schon zu Lebzeiten einen sogenannten Nachlasskontakt definiert haben. Ob solche AGB zulässig sind, wurde vom Bundesgericht noch nicht beurteilt.
Und bei lokal abgespeicherten Daten: Ist die Erbsituation da etwas einfacher?
Ja. Wer einen Zugriff seiner Erben auf gewisse Daten sicherstellen will, sollte am besten lokale, individuelle Speichermedien wie USB-Sticks oder Festplatten verwenden: Diese sind als Sache mein Eigentum. Und wenn diese Speicher mir gehören, gilt dies auch für die darauf befindlichen Daten – sie sind dann ganz normal vererbbar.
Geschieht mit meinem digitalen Erbe von Amtes wegen etwas, wenn ich nichts regle?
Dann gilt die gesetzliche Erbfolge. Das heisst, der gesamte Nachlass – analog wie digital – geht an die gesetzlichen Erben über. Allerdings sind nicht alle Angehörigen auch gesetzliche Erben. Sofern keine persönlichen Nachlassregelungen vorliegen, haben zum Beispiel unverheiratete Lebenspartner kein gesetzliches Erbrecht und damit auch keinen Anspruch auf persönliche Gegenstände oder Daten, wie etwa Fotos in der Cloud der verstorbenen Person. Die Erblasserin oder der Erblasser haben hier aber wie beim übrigen Nachlass einen gesetzlichen Spielraum und können persönliche Regelungen festhalten.
Wie kann ich denn zu Lebzeiten meinen digitalen Nachlass regeln?
Am besten ist es, sich zunächst einen Überblick über alle Daten und Accounts zu verschaffen. In einem zweiten Schritt ist dann zu entscheiden, was mit dem digitalen Nachlass geschehen soll. Sind die persönlichen Wünsche einmal definiert, ist es sicher eine gute Idee, die wichtigen digitalen Daten – sofern möglich und erwünscht – auf lokalen Speichermedien zu sichern und diese für die Erben auffindbar zu deponieren. Das gilt auch für Anweisungen an die Hinterbliebenen, etwa in Form von Löschungsanordnungen oder durch die Bestimmung einer Person, die einen Account oder Channel weiterführen soll.
Konkret: Mache ich am besten einfach einmal eine Liste?
Das hilft den Erbinnen und Erben sicher schon weiter, denn solche klar festgehaltenen Wünsche ersparen manche emotionalen Diskussionen nach einem Todesfall. Sofern gewisse Daten oder Accounts konkret an eine bestimmte Person vererbt werden sollen, sollten auch die gleichen Formvorschriften eingehalten werden wie bei einem Testament – die Anweisungen müssen also handschriftlich notiert sein. Nicht zu diesen Anordnungen gehören jedoch die Zugangsdaten zu den einzelnen Konten und Accounts – diese sollten separat festgehalten werden.
Gibt es spezielle Tools oder Dienste, die mir helfen, mich zu organisieren?
Eine Möglichkeit sind Passwort- und Account-Manager-Tools – da sind alle relevanten Angaben beisammen. Sie müssen dann nur noch dafür sorgen, dass Ihre Erben den Zugang zu diesem einen Tool bekommen. Auch die Zugangscodes zu Ihren Geräten – Computer, Handy – sollten Sie zuhanden Ihrer Erben an sicherer Stelle hinterlegen. Zu empfehlen ist ausserdem, die bereits erwähnten Nachlasskontakte bei grossen Anbietern wie Google, Meta/Facebook oder Apple einzurichten.
Und wenn ich Kryptowährungen sicher vererben will?
Hier ist das Recht in der Schweiz noch lückenhaft. Zahlungstokens wie Kryptowährungen fallen juristisch gesehen nicht unter den Eigentumsbegriff, obwohl sie in einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise klar einen Vermögenswert darstellen, der ja auch besteuert wird. Kryptowährungen gehen also faktisch wie andere Werte ins Nachlassvermögen – Gerichtsurteile hierzu fehlen jedoch noch in der Schweiz. Das Vererben von Kryptowerten benötigt auf jeden Fall eine besondere Aufmerksamkeit.
Die Gretchenfrage zum Schluss: Haben Sie Ihr digitales Erbe schon im Detail geregelt?
Die eigenen Ratschläge vollumfänglich anzuwenden, ist immer am schwierigsten … (lacht) – ich habe gewisse Dinge wie etwa Nachlasskontakte bei einzelnen Accounts veranlasst, habe aber sicher noch nicht für 100 Prozent meiner digitalen Daten eine Regelung definiert. Für mich wie für jede und jeden anderen gilt, das Bewusstsein im Umgang mit digitalen Daten immer wieder von neuem zu schärfen.
Darauf kommt es an beim digitalen Nachlass
- 1 Verschaffen Sie sich eine Übersicht: Machen Sie eine Liste mit Ihren wichtigsten Online-Konten und sonstigen digitalen Spuren. Überlegen Sie danach, was mit den jeweiligen Daten nach Ihrem Tod geschehen soll. Löschen Sie Daten, bei denen Sie nicht wollen, dass sie jemand sieht.
- 2 Richten Sie Nachlasskontakte ein: Grosse Anbieter wie Google, Apple oder Meta (Facebook) bieten die Möglichkeit, Nachlasskontakte einzurichten. So können Ihre Erben einfacher an Ihre Benutzerkonten gelangen und diese in Ihrem Sinne weiterführen oder löschen.
- 3 Sichern Sie Ihre Daten lokal: Ein einfacher und sicherer Weg, digitale Daten weiterzuvererben, sind lokale Datenträger wie USB-Sticks. Diese gelten samt darauf befindlichen Daten als Eigentum, das normal an die Erben weitergeht.
- 4 Lassen Sie sich beraten: Die rechtlichen Bestimmungen im Zusammenhang mit digitalen Daten sind komplex. Expertinnen und Experten können Sie mit Rat und Tat unterstützen.