Die Firma im Fokus, die Zukunft im Blick
Für Gründerinnen und Gründer hat der Erfolg des eigenen Unternehmens oberste Priorität. Die persönliche Vorsorge sollte dabei aber nicht vergessen werden, meinen Unternehmerin Nadine Caprez und Judith Albrecht, Leiterin Finanzberatung bei der Zürcher Kantonalbank. Im Interview erklären sie, wieso.
Interview: Patrick Steinemann / Bilder: Lea Meienberg / Illustration: Maria Salvatore | aus dem Magazin «Meine Vorsorge» 2/2022
Frau Caprez, Sie beraten junge und junggebliebene Personen, die ein eigenes Unternehmen gründen wollen. Welche Rolle spielen dabei die Finanzen?
Nadine Caprez: Sie sind klar das wichtigste Thema, hier gibt es die grössten Unsicherheiten. Es türmen sich die Fragen, etwa jene: Wie viel Geld brauche ich am Anfang? Ab welchem Zeitpunkt werde ich mir einen Lohn auszahlen können? Hier setze ich mit meiner Beratung an; ich konkretisiere zusammen mit den Gründerinnen und Gründern alles Schritt für Schritt. Mit der Finanzplanung entsteht dann auch eine Art Mini-Business-Plan – und alle Elemente erhalten ein Preisschild.
Bekommt auch die persönliche Vorsorge ein Preisschild?
N. C.: Die Vorsorge ist beim Start eigentlich nie ein Thema. Wer eine Firma gründet, will einfach loslegen und die eigenen Ideen verwirklichen. Zugunsten der persönlichen Freiheit bleibt die persönliche Sicherheit ein Stück weit auf der Strecke. Natürlich mache ich darauf aufmerksam. Es ist aber sicher so, dass viele Gründerinnen und Gründer am Anfang kaum etwas einzahlen können in die 2. oder die 3. Säule.
Frau Albrecht, können Sie nachvollziehen, dass Start-up-Unternehmerinnen und -Unternehmer häufig keinen Blick auf die Vorsorge haben?
Judith Albrecht: Grundsätzlich ja. Wer ein Unternehmen gründet, hat den Fokus auf die eigene Geschäftsidee gerichtet – da bleibt wenig Zeit für andere Themen. Vorsorge bedeutet aber immer zweierlei: Vorsorge fürs Alter und Absicherung für die Risiken Erwerbsunfähigkeit und Todesfall. Für eine kurze, vorübergehende Phase ist es vertretbar, den Fokus nicht auf der Altersvorsorge zu haben. Eine persönliche Erwerbsunfähigkeit kann uns hingegen alle und jederzeit treffen. Falls eine finanzielle Verantwortung für einen Partner, eine Partnerin oder die Familie besteht, sollte auch für den Todesfall vorgesorgt werden.
Sie sind selbst Unternehmerin, Frau Caprez: Haben Sie in jungen Jahren schon eine Planung fürs Alter gemacht?
N. C.: Ich habe mit 27 Jahren zusammen mit meinem Mann und drei Kollegen die Firma Spline AG gegründet – sozusagen aus der Not heraus innerhalb von zehn Tagen. Damals habe ich mir sicher keine Gedanken darüber gemacht, was in 40 Jahren sein wird. Wir haben viel Herzblut und Ersparnisse in diese Firma im Bereich Smart Home investiert. Im Nachhinein erwies es sich als Glücksfall, dass wir dieses Risiko eingegangen sind – heute ist die Spline AG Marktführerin in der Schweiz. Planen lässt sich ein solcher Erfolg aber nicht.
Welchen Stellenwert hatte die private Vorsorge in Ihrem persönlichen Businessplan?
N. C.: Finanzielle Unabhängigkeit war immer sehr wichtig für mich. Mit den ersten Jobs nach meinem Betriebswirtschaftsstudium habe ich dann auch begonnen, in die 3. Säule einzuzahlen – es lohnt sich, auch mit kleinen monatlichen Beträgen ein Spar- und Vorsorgekapital aufzubauen. Heute stelle ich jedoch bei meiner Beratungstätigkeit fest, dass viele das Thema Vorsorge nicht auf dem Radar haben.
Ein Steilpass für Sie, Frau Albrecht.
J. A.: Ja (lacht), den Ball nehme ich gerne auf. So trägt unsere einfach zu handhabende Vorsorge-App frankly sicher dazu bei, dass sich zunehmend auch Junge mit der Vorsorge befassen und sich besser informieren. Überhaupt stellen wir fest, dass das Thema seit einiger Zeit verstärkt wahrgenommen und diskutiert wird. Die Einzelne oder der Einzelne setzt sich aber immer noch zu wenig mit der persönlichen Vorsorgesituation auseinander. Digitale Tools wie unser Vorsorgerechner helfen dabei, dafür ein erstes Gefühl zu bekommen.
Wer eine Firma gründet, kann dafür auch Gelder seiner persönlichen Vorsorge verwenden. Ein oft beschrittener Weg?
J. A.: In eine Einzelfirma können Gelder aus der 3. Säule fliessen. Für eine GmbH oder eine Aktiengesellschaft geht das nicht. Allerdings ist das persönliche Vorsorgevermögen in jungen Jahren meist noch nicht sehr gross. Wie wir aus unseren Zahlen sehen, sind es insgesamt nicht so grosse Summen, die aus den Vorsorgestiftungen in Firmengründungen fliessen.
N. C.: Für mich ist in diesem Zusammenhang wichtig zu erwähnen: Es werden zwar viele Unternehmen gegründet, doch auch fast die Hälfte überleben die ersten fünf Jahre nicht. Ich rate deshalb eher davon ab, das persönliche Altersguthaben für solche Zwecke einzusetzen. Denn im Falle eines Misserfolgs ist das Geld weg. Da ist es sicher die bessere Lösung, etwa über unseren Verein GO! Mikrokredite einen Investitionskredit bis zu 40'000 Franken zu beziehen.
Gründen und Vorsorgen
Darauf kommt es an
Darauf kommt es an
Wer mehr weiss, gründet und startet besser. Holen Sie sich professionellen Rat und nutzen Sie fachliche Expertise. So haben Sie die Finanzen Ihrer neuen Firma von Anfang an im Griff und sind gewappnet für alle Eventualitäten.
Halten Sie regelmässig inne, durchleuchten Sie – allenfalls mit externer Hilfe – die Zahlen des Unternehmens und hinterfragen Sie Ihr Geschäftsmodell. So können Sie rechtzeitig Anpassungen vornehmen – oder im Notfall die Reissleine ziehen.
Die persönliche Altersvorsorge können Sie in jungen Jahren auch mal für eine begrenzte Zeit aussetzen. Eine Erwerbsunfähigkeit kann Sie aber immer treffen. Sorgen Sie deshalb für Risiken vor und sichern Sie Ihre Angehörigen ab.
Wenn Sie persönliche Vorsorgegelder für die Firmengründung verwenden wollen, nehmen Sie diese eher aus der Säule 3a als aus der beruflichen Vorsorge: Bei der Pensionskasse sollten Sie den Risikoschutz möglichst hoch halten.
Ob mit oder ohne persönliches Vorsorgegeld in der Firma: Worauf sollten Jungunternehmerinnen und Jungunternehmer vor allem achten?
N. C.: Sie sollten ehrlich mit sich selbst sein und gut geplant starten, denn sie können vor dem Start nicht wissen, ob das gewählte Geschäftsmodell auch tatsächlich funktioniert. Sie sollten den Rat von Fachpersonen suchen, damit auch wirklich nichts vergessen geht. Dass die Geschäftszahlen und die Geschäftsidee regelmässig überprüft werden, ist ebenfalls zwingend. Falls etwas nicht zum Fliegen kommt, ist es zudem häufig besser, die Reissleine zu ziehen, statt ein Unternehmen über Jahre mühsam am Leben zu erhalten.
Frauen arbeiten als Unternehmerinnen wie als Angestellte oft Teilzeit. Bei der beruflichen Vorsorge sind sie heute aber schlechter gestellt als Vollzeit arbeitende Personen. Die aktuell laufende BVG-Revision will das ändern. Ein Schritt in die richtige Richtung?
J. A.: Die Revision will den Koordinationsabzug für Teilzeitarbeitende in der beruflichen Vorsorge von 25'095 Franken auf 12'548 Franken halbieren und auch die Eintrittsschwelle für die Pensionskasse auf diesen Betrag reduzieren. Das führt zu einer Besserstellung von tieferen Einkommen und erhöht auch den Versicherungsschutz. Die Situation der Frauen und aller Teilzeiterwerbenden würde sich also sicher verbessern. Denn wir dürfen nicht vergessen: Heute hat ein Drittel aller Frauen keine 2. Säule.
Wie können Frauen ihre Vorsorgesituation darüber hinaus verbessern?
J. A.: Ich sage da nur: Säule 3a. Wir empfehlen sie jeder Frau – und natürlich auch allen Männern. Schon kleine Beträge können hier auf lange Sicht viel bewirken. Mit der privaten Vorsorge können alle nicht nur etwas fürs Alter tun, sondern auch noch Steuern sparen.
Frauen machen häufig einen Spagat zwischen Beruf und Familie. Das wird auch Thema in Ihren Beratungen sein, Frau Caprez.
N. C.: Absolut. Viele Frauen nennen als Grund für die Selbstständigkeit: mehr Zeit für die Familie. Ich muss sie dann aber darauf hinweisen, dass sie erst einmal viel weniger Zeit haben werden für alles, was nicht mit dem Geschäft zu tun hat. Dennoch spreche ich Gründerinnen und Gründern auch Mut zu, ihr Projekt zu verwirklichen – um dann in späteren Jahren tatsächlich mehr Freiheit zu haben und die Zeit für sich besser einteilen zu können.
Wie haben Sie die Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben für sich selbst gelöst?
N. C.: Wir haben drei Kinder. Beim ersten habe ich mein Arbeitspensum stark reduziert – auf 50 Prozent. Heute stehe ich nach eigener Einschätzung gut da mit meinem Job-Portfolio, das sich von der Co-Geschäftsleitung bei GO! Mikrokredite über das eigene Beratungsunternehmen unter meinem Namen bis hin zu externen Verwaltungsratsmandaten erstreckt. Die Familiensituation und damit auch die Möglichkeiten verändern sich ständig. Entsprechend können oder müssen wir unser persönliches Engagement auch immer einmal wieder neu justieren.