Flaute am hiesigen IPO-Markt

Das momentane Marktumfeld ist für Börsengänge herausfordernd – nach einem Rekordjahr nun die Flaute. Die Gründe? Eine Einschätzung von Andreas Neumann, Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank.

Text: Melanie Gerteis

Andreas Neumann ist Leiter Equity Capital Markets bei der Zürcher Kantonalbank.

Andreas Neumann, warum wagt zurzeit kein Unternehmen in der Schweiz den Gang an die Börse?

Die Volatilität an den Börsen ist zurzeit ausserordentlich hoch – in solchen Phasen sind Börsengänge nicht empfehlenswert. In den kommenden Wochen sind sie deshalb eher unwahrscheinlich.

Ende Mai 2022 konnten wir jedoch noch das Immobilienunternehmen EPIC Suisse mit einem Transaktionsvolumen von CHF 192 Mio. als Joint Global Coordinator und Joint Bookrunner erfolgreich an die SIX Swiss Exchange begleiten. Kurze Zeit später wäre der Börsengang möglicherweise nicht mehr realisierbar gewesen.

Was ist der Knackpunkt?

Die Preisfindung. Zwischen der offiziellen Ankündigung eines IPOs und dem ersten Handelstag vergehen in der Regel drei bis vier Wochen. Genau während dieser Zeit wird der Preis festgelegt. Bei volatilen Märkten besteht somit das Risiko, dass die Preisfindung nicht innerhalb der Preisspanne möglich ist, was den Prozess erschwert oder letztlich gar zu einer Sistierung des Börsengangs führt.

Ist die Preisspanne zu hoch, zeichnen die Investoren nicht in genügendem Ausmass Aktien, ist sie zu tief, bieten der Emittent beziehungsweise verkaufende Aktionäre die Aktien zu günstig an. Beides ist nicht ideal. Wird als Kompromiss eine zu breite Preisspanne fixiert, verunsichert dies wiederum potenzielle Investorinnen und Investoren – weil es eben genau diese höhere Unsicherheit reflektiert.

Wie sind längere Phasen ohne Börsengänge zu beurteilen?

Solche Phasen kamen in der Vergangenheit immer wieder vor. In den vergangenen 20 Jahren gab es an der Schweizer Börse SIX 68 echte IPOs, das sind durchschnittlich 3,4 Börsengänge jährlich. Doch der Blick zurück zeigt auch, dass dazwischen längere Phasen ohne Börsengänge lagen. So etwa zwischen 2002 und 2004 – da wagte während zwei Jahren kein Unternehmen den Gang an die Schweizer Börse. Auch zwischen 2019 und 2021 herrschte während nahezu 1,5 Jahren IPO-Flaute in der Schweiz. Vereinzelt gab es jedoch immerhin Spin-offs, also eine Abspaltung einer Organisationseinheit aus der bestehenden Unternehmung.

Spielt die Sommerflaute ebenfalls eine Rolle?

Die Sommermonate sind in der Tat nicht prädestiniert für IPOs, da sowohl institutionelle als auch private Investoren abwesend sind. In den letzten 20 Jahren gab es an der SIX nur einen Börsengang zwischen Mitte Juli und Ende August: Dies war im Jahr 2017.

Was spricht weiter gegen eine baldige Belebung der IPO-Aktivitäten?

Investorinnen und Investoren wünschen jeweils aktuelle Finanzzahlen. Die Jahresabschlüsse per Ende 2021 sind für sie inzwischen zu alt. Und wie bereits erwähnt, sind die Bewertungen derzeit aus Sicht der Emittenten und der verkaufenden Aktionärinnen und Aktionäre nicht attraktiv. Zudem sind Neuinvestoren wegen der hohen Volatilität vorsichtig. Sie bearbeiten aktuell eher ihre bestehenden Portfolios und sind gegenüber neuen Engagements tendenziell zurückhaltend.

Somit sind die Zukunftsaussichten für den IPO-Markt Schweiz nicht rosig?

Bei sich beruhigenden Märkten kehrt die Zuversicht rasch wieder zurück, dies zeigt auch die Vergangenheit. Und ein ganz zentraler Punkt ist der Anlagebedarf seitens Investorinnen und Investoren, der weiterhin hoch ist. Dies lässt sich an der Kapitalerhöhung – die freie Platzierung war deutlich überzeichnet – von Ypsomed über CHF 123 Mio. erkennen, die wir am 23. Juni 2022 als Sole Global Coordinator erfolgreich abschliessen konnten.

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