Alberto Venzago: Mein Schlieren

14. August 2023

Für den Fotografen Alberto Venzago ist Heimat kein Ort, mehr ein Gefühl oder eine Befindlichkeit. Nach 50 Jahren Wanderschaft rund um den Globus ist er in Schlieren sesshaft geworden. Seine hier vorgestellten Lieblingsorte befinden sich alle im Umkreis von fünf Minuten rund um seinen Wohn- und Arbeitsort im ehemaligen Gaswerk.

Aufgezeichnet: Patrick Steinemann / Bilder: Alberto Venzago | aus dem Magazin «ZH» 2/2023

Fotografie "Skulpturen" von Alberto Venzago

Bildhauer an der Limmat

«Als alte Hippieseele fühle ich mich eins mit den Bildhauern, die ein Biotop am Ufer der Limmat geschaffen haben. Geht man zu Fuss die paar hundert Meter den Fluss entlang, befindet man sich in einem anderen Universum. Holzskulpturen, Container, verlassene Verstecke voller Geheimnisse. Ich lasse mich treiben und bin in einer anderen Welt. Jahrelang bin ich als Hippie um die Welt gereist – genauso hat es oft ausgesehen. Dass so ein «slice of time» vor meiner Wohnung existiert, macht mich glücklich. Nicht alles wird dem Mehrwert geopfert, es gibt sie noch, diese Einsiedler-Idylle.»

Erlebnissteg Limmatauen

«Mein persönlicher «Bruno Manser Trail». Er befindet sich am Fischerweg an der Limmat, führt kurz in den Wald und wieder zurück an die Limmat. Jedes Mal, wenn ich mit dem Fahrrad in dieses magische Waldstück fahre, bin ich im Geiste bei Bruno Manser, meinem Freund, unserem Umweltschützer und Aktivisten der ersten Stunde. Ich habe ihn damals bei den nomadisierenden Penangs in Malaysia besucht, für GEO und National Geographic. Ich wurde Zeuge seines Widerstandes gegen die zerstörerischen Abholzfirmen, seines Kampfes – und seines Todes. Wenn ich dann so alleine auf dem Geländer im Miniaturwald sitze und den Vögeln lausche, bin ich ganz nahe bei ihm. Ich rede mit ihm. Es ist eine Reise in die Vergangenheit. Und eine Reise zu mir selbst.»

Kletterwand Schlieren auf einer Fotografie von Alberto Venzago

Kletterzentrum Gaswerk

«Es ist für mein Uber-Taxi ein Begriff – ich wohne gleich daneben. 1987 stand ich auf dem Matterhorn beim Gipfelkreuz. Ein Hubschrauber der Air Zermatt hat mich und meinen Bergführer hochgeflogen und mit der Seilwinde runtergelassen. Das Wetter blieb genau 30 Minuten sonnig, dann drehte es abrupt und es begann zu schneien. Keine Chance für den Heli, uns wieder abzuholen. Mit 15 Kilo Kameras umgehängt mussten wir runterklettern – und wie alle wissen: runter ist schlimmer als rauf. Ich war nassgeschwitzt, ausgelaugt und kaputt. Jedes Mal, wenn ich dran denke, bekomme ich nasse Hände – heute noch. Jetzt steht diese Kletterwand genau beim Eingang zu meinem Loft. Eine Art Therapie für mich.»

Gasometer

«Für mich ist der letzte noch erhaltene Gasometer 1 schlichtweg das Wahrzeichen von Schlieren. Von überall her ersichtlich, ist der kleine Eiffelturm dank der Denkmalpflege zum Glück erhalten geblieben. Bis 1973 wurde hier im Gaswerk Koks zu Gas für die Stadt Zürich umgewandelt. Ursprünglich waren es vier imposante Teleskop-Gasbehälter, eingefasst vom Führungsgerüst aus Stahl.»

Alberto Venzago

Die Bildreportagen des Fotografen, Fotojournalisten und Filmemachers Alberto Venzago (73) wurden in Magazinen wie «Life», «The Sunday Times», «Stern» oder «Geo» abgedruckt und international ausgezeichnet. Wegen seines kritischen Blicks auf das Weltgeschehen gilt er als «concerned photographer»; die Themen seiner Fotoessays reichen vom Zürcher Platzspitz über das organisierte Verbrechen in Japan bis zur Revolution im Iran. Venzago ist vor drei Jahren von Zürich West nach Schlieren umgezogen.

Webseite: venzago.com