«Das wird noch viel besser!»
Bühne frei für das Leben 3.0. Martin Scholl tritt am 31. August als CEO der Zürcher Kantonalbank ab.
Interview: Markus Wanderl , Othmar Köchle / Bild: Christian Grund | aus dem Magazin «ZH» 2/2022
45 Jahre bei der Zürcher Kantonalbank – wer hätte das gedacht?
Wenn ich es nicht vorhergesehen habe, dann hat es jemand anders auch nicht. Also: niemand.
Was bedeutet Ihnen Treue?
Für die Zürcher Kantonalbank ist Kontinuität ein Asset. Meine 45 Jahre bei der Bank stehen insofern exemplarisch dafür. Treue hat aber viele Facetten. Sich selbst gegenüber treu zu bleiben, ist generell wichtig, erst recht als Führungskraft. Die Leute sollen wissen, auf wen sie treffen. Es lohnt sich, für Treue zu kämpfen.
Lässt sich das Geheimnis einer langen «Ehe» in einem Satz beschreiben?
Es ist ein Geben und Nehmen. Ohne das geht es nicht. Die Ansichten darüber, wer mehr gibt und wer mehr nimmt, können schon einmal unterschiedlich ausfallen. Über die Zeit hinweg muss es sich ausgleichen. Sonst kommt es nicht gut.
Was wird einen besonderen Platz in Ihrem Erinnerungsschatz haben?
Was bleibt, sind die Begegnungen mit all den Menschen, die intensiven Momente im Austausch, in der Auseinandersetzung, im Erreichen von Zielen oder auch mal im Scheitern. An viele Gesichter werde ich mich gerne erinnern.
Hatten Sie je einen Mentor?
(lacht) Nie. Nur Chefs, die mich geschliffen haben.
Wie charakterisieren Sie Ihren Stil als CEO?
Kompromisslos, was Qualität betrifft. Hart, wenn es sein muss. Bereit für die Konfrontation. Gleichzeitig gebe ich gern viel Raum und vertraue ich. Und ich denke, mit der Zeit ist auch das Herz etwas weicher geworden.
Effizienz und Schnelligkeit – wie wichtig?
Ich bin im Firmenkundengeschäft gross geworden. Dort galt die sogenannte Nettokommunikation – keine nette Verpackung: sagen, was ist. Dann weiterarbeiten, Zeit gewinnen für die wichtigen Dinge. Schlecht ist auch, wenn das Gefühl aufkommt, beim CEO bleibt etwas liegen. Das lähmt das System. Mit Erfahrung und mehr Routine wuchs meine Sicherheit, rasch zu entscheiden. Ich glaube, das wurde geschätzt.
Was nötigt Ihnen bei anderen am meisten Respekt ab?
Ein jeder bewegt sich innerhalb seiner Möglichkeiten. Wenn jemand seine gefühlten Grenzen ein wenig verschieben kann, auf welchem Niveau auch immer, dann verdient das Respekt.
Wann ist Stolz legitim?
Stolz ist immer legitim. Die Frage ist nur, ob jemand den Stolz zur Schau trägt. Ich kann sehr gut innerlich stolz sein und muss das nicht allen erzählen.
Trotzdem: Wie stolz sind Sie?
Auf einer Skala von 1 bis 100: 110 (lacht). Mein Werk bei der Zürcher Kantonalbank ist vollbracht, und die Bank steht gut da. Ich bin immer noch mit der gleichen Frau glücklich verheiratet, bin stolz auf meine zwei Kinder. Es bleibt nur, Danke zu sagen für dieses Lebensglück.
Wenn jemand den Krisenmodus kennt, dann die Welt. Wie ist ihr zu helfen?
Die Welt benötigt keine Hilfe. Sie hat als Einzige schon alle Krisen gesehen – und überlebt. Die Menschheit hingegen scheint unbelehrbar und muss offenbar immer wieder herausfinden, was geht und was nicht. Ich bleibe trotzdem optimistisch. Denn die Welt ist am Ende doch immer lebenswerter geworden.
«Es lohnt sich, für Treue zu kämpfen.»
Warum macht das Wetteifern um das grösste Ego am Schweizer Finanzplatz keinen Sinn?
Das schönste Kompliment bleibt jenes, das ich auch neulich wieder an einer Generalversammlung hören durfte – da kommen wildfremde Menschen auf mich zu und sagen: Es ist unglaublich, wie die Zürcher Kantonalbank bei aller Modernität ihre Bodenhaftung bewahrt. Damit ist klar, was unsere Kundinnen und Kunden erwarten: Bescheidenheit. Mir ist sie nie schwergefallen. Ich habe das Meer zum ersten Mal mit 15 gesehen, weil die Eltern von vier Kindern sich das zusammensparen mussten. Meine Frau und ich haben uns auch bewusst für Wangen bei Dübendorf als Lebensmittelpunkt entschieden. Das schien uns auch für unsere Kinder richtig und wichtig.
Warum wird es um die Zürcher Kantonalbank auch in 20 Jahren noch gut bestellt sein?
Das Wichtigste ist und bleibt: Banking ist ein Handwerk. Und wir haben in allen Bereichen Mitarbeitende, die ihr Handwerk sehr gut verstehen. Deshalb kann kaum etwas schiefgehen. Schon gar nicht über Nacht. Zumal das Handwerk von unserer Firmenkultur getragen wird.
Was zeichnet die Firmenkultur der Zürcher Kantonalbank aus?
Alle Einheiten verbindet ein sehr hohes Commitment gegenüber der Firma. Es ist den Mitarbeitenden nicht gleich, was in der Bank passiert – bei uns arbeiten keine Söldner. Die Mitarbeitenden sind alle ein Teil der grossen Familie. Darum hören wir den Begriff auch häufig. Und auch wenn es am Familientisch einmal Streit gibt, zieht man nicht gleich aus. Und wenn einmal doch, dann kommen sie häufig auch wieder zurück (lacht).
In welchen Zeiträumen müssen Banken in einer immer schnelllebigeren Zeit denken?
Die Zeiten sind nur scheinbar schneller geworden. Sie waren schon immer auf ihre Weise schnelllebig. Sicher, all die Gadgets, die wir haben, die Informationsflut, der wir ausgesetzt sind – daraus resultiert das subjektive Gefühl, es sei alles viel schnelllebiger. Doch sind wir alle stets aufs Neue Teil des Geschehens, und so ist zu jeder Zeit das Schnelle in Wahrheit ganz normal. Es sind einfach ganze Industrien, die davon leben, uns glauben zu machen, alles rase. Am Schluss aber zählt – wie schon immer – die lange Sicht.
Zahlenwerk – was tritt an dessen Stelle?
Ich komme nun in die Kapitalverzehrphase. Und weil es ja bis ans Lebensende reichen muss, sollte ich die Zahlen weiter im Griff haben. Zudem zählen die Beschäftigung mit und Investments in Start-ups zu meinen Leidenschaften. Das wird in Zukunft sicher mehr Raum einnehmen. Da sind Zahlen ebenso unverzichtbar.
Planen Sie eine lange Reise?
Von Alaska bis nach Patagonien. Doch noch nicht gleich. Jetzt am Anfang: Europa, etwa Island. Reisen wird eine wichtige Rolle spielen für meine Frau und mich. Immer mit Strom und Dusche. Gezeltet habe ich genug.
Und was wird es mit Ihnen machen, wenn Sie mit Ihrer Frau in der Stadt shoppen und am Hauptsitz vorbeigehen?
Solange meine Frau nicht sagt, Martin, geh doch wieder arbeiten, kann ich mit allem leben.
Ist es vorstellbar, dass Sie den Geschäftsbericht 2023 durchgehen und mit 2022 vergleichen?
Nein. Nein. Nein. Aber ich wünsche der Bank, dass sie möglichst schnell eine Milliarde Gewinn macht. Und dann 1,5 Milliarden. Das wären doch schöne Geschichten.
Wir behaupten: Es gibt eine stille Träne des Abschieds. Wird sie jemand sehen?
Bis Ende August bin ich ausgeweint. Also werde ich die Bühne am 31. August nach all den Abschiedsanlässen tränenfrei verlassen haben.
Und die Tränen der anderen?
Vielleicht gibt es einige, die sagen: Schade, dass er geht. Aber es ist dann wie immer im Leben. Es kommt eine andere Zeit. Und in ein paar Wochen und Monaten weiss man gar nicht mehr, wer der Scholl gewesen ist.
Was wünschen Sie der Bank im Allgemeinen, was im Besonderen?
Der Bank kann ich nichts wünschen, aber ihrer Seele. Und die Seele sind die Mitarbeitenden. Ihnen wünsche ich, dass sie auch morgen und übermorgen mit viel Freude zur Arbeit kommen. Dass sie glücklich sind in der Bank. Dann kommt es auch für die Bank gut.
Und sich persönlich?
Dass es das Schicksal weiterhin gut mit mir meint. Und mit meiner Familie. Für mich geht das Leben 2.0 zu Ende, es folgt das Leben 3.0. Und das wird noch viel besser! Ich kann das machen, was ich noch will, denn es gibt nur noch wenige gesellschaftliche Sachzwänge, eigentlich bin ich nur noch für meine Familie und mich selbst verantwortlich. Lange war ich es für ein paar Tausend Mitarbeitende. Und ich hatte eine agendagetriebene Funktion. Das fällt alles weg. Es war keine Belastung für mich, aber es war zu tun.
Fahren Sie jemals wieder Seilbahn?
Klar. Weil: Seilbahnfahren hat immer etwas mit Freizeit zu tun.
Martin Scholl
Fast 45 Jahre seines Berufslebens stand er im Dienst der Zürcher Kantonalbank. Seine Sporen verdiente er im Firmenkundengeschäft ab. Seit 2002 gehörte er der Generaldirektion an, 2007 wurde er zum CEO ernannt. Martin Scholl (60) führte die Bank äusserst erfolgreich. Ende August 2022 tritt er ab.