Spiel auf Kredit

Geld – das war für viele immer schon Verlockung, Versprechen und manchmal auch Verhängnis. Konzepte wie der Jugendlohn sollen die Finanzkompetenz in jungen Jahren verbessern, damit auch im Erwachsenenleben die Kasse stimmt. Ob diese Rechnung aufgeht? Das wissen eine Gymnasiastin und zwei Fachfrauen.

Text: Patrick Steinemann / Illustrationen: animationseries2000 | aus dem Magazin «ZH» 1/2022

Finanzkompetenz, Illustration fortnite
Jugendliche (und Erwachsene) müssen sich heute auch in den virtuellen Spiel- und Finanzwelten auskennen.

Früher, da lagen Gewinn und Verlust nur ein Feld auseinander: Wer eine 5 würfelte, landete auf «Zürich, Paradeplatz» – die Besitzerin freute sich über 8’000 Franken Einnahmen. Wer aber nur eine 4 warf, hatte 2’000 Franken Nachsteuer an den Staat zu zahlen. «Monopoly» stand aussen auf der Schachtel, das zugehörige Papiergeld war rot, gelb und grün.

Heute, da müssen wir uns im Battle-Royale-Modus entscheiden, ob in ein «Darkfire Bundle», ein «Armored Batman Zero Skin» oder ein «Shadows Rising Pack» investiert werden soll. «Fortnite» heisst das Game, «V-Bucks» die zu­gehörige Onlinewährung.

Früher, da war «Monopoly» für viele Jugendliche wohl eine der ersten spielerischen Erfahrungen mit der Welt des Geldes und der Finanzen. Im Alltag wurde es ergänzt durch den Fünfliber Sackgeld für das Glace in der Badi und den Sparbatzen von Onkel Karl für das ersehnte Töffli. Irgendwann waren alle erwachsen und wurden mehr oder weniger naiv in die finanzielle Selbstständigkeit entlassen.

Heute, da scheint alles etwas komplizierter. Die jungen Menschen müssen sich nicht nur in den virtuellen (Finanz-)Welten von «Fortnite» auskennen, die deutliche Spuren im eigenen Portemonnaie hinterlassen können. Sie müssen auch ihre Ausgaben für Handy- und Streaming-Abos einkalkulieren, den Kolleginnen und Kollegen das Geld fürs Mittagessen in der Mensa rasch per TWINT schicken und die Influencer-Posts über die neuesten Markenartikel auf Social Media richtig einschätzen. «Geld ist ein grosses Thema unter uns Jugendlichen», sagt denn auch Lia, 14, Gymnasiastin in der Stadt Zürich. «Ständig fragen wir uns, wohin wir gehen, was wir machen – und was es uns kostet.»

Konsum auf Pump

Das bestätigt auch Sabrina Wachter, Programmverantwortliche Finanzkompetenz bei Pro Juventute: «Die Verlockungen zum Geldausgeben sind heute omnipräsent, Konsum ist ein fester Teil der Freizeitgestaltung junger Menschen.» Doch anders als früher auf dem «Monopoly»-Spielbrett sind die Folgen des finanziellen Handelns heute real – und manchmal auch brutal: Wer nicht über genügend Selbstdisziplin und Budgetkontrolle verfügt, kann schnell Geldprobleme bekommen. Das zeigt eine Studie der Inkassofirma Intrum zur Jugendverschuldung: Besonders männliche junge Singles in der Stadt leben oftmals über ihre Verhältnisse. Dies hängt auch mit veränderten gesellschaftlichen Bedingungen zusammen: «Heute ist es üblich, in Raten oder auf Kredit zu zahlen. Dies wird von den Jugendlichen nicht als schlimm angesehen, da auch viele Erwachsene Leasings und ähnliche Angebote nutzen», sagt Sabrina Wachter.

In die finanzielle Selbstständigkeit entlassen werden die jungen Menschen heute häufig bereits vor dem Eintritt ins Erwachsenenalter – zumindest schrittweise: So erhält Lia monatlich von ihren Eltern Geld, mit dem sie einen Teil ihrer Alltagsausgaben bestreitet: «Davon bezahle ich mein Mittagessen, meine Freizeitaktivitäten oder die modischen Extras, die ich mir leisten will.» Mit Babysitten bessert Lia ihre Kasse zusätzlich auf. Sobald sie 15 ist, will sie sich zudem um Ferienjobs bewerben, für die sie jetzt noch zu jung ist.

Der grosse Bruch in Sachen Finanzen folge dann spätestens mit 18 Jahren, sagt Anita Sigg, Dozentin für Banking und Finance an der ZHAW in Winterthur und Bankrätin der Zürcher Kantonalbank: «Viele ziehen dann von zu Hause aus, können ab diesem Alter Leasingverträge unterschreiben und Kredite beziehen. Sie werden aber auch mit für sie neuen Kosten, etwa fürs Wohnen oder die Steuern, konfrontiert. Für manche fangen die finanziellen Probleme dann an.» Aus kleinen Schulden könnten dabei rasch grosse werden, sagt Anita Sigg – eine finanzielle Last, die viele später nur schwer wieder loswerden.

Finanzkompetenz, Illustration Einkaufszentrum
Konsum ist heute ein fester Bestandteil der Freizeitgestaltung junger Menschen.

Alte und neue Ansätze

Mehr Verlockung, mehr Verantwortung, mehr Verschuldung: Ist für die jungen Menschen aus dem ehemals leichten Spiel mit dem bunten Papiergeld heute eine Partie mit bitterem Ernst geworden?

Wer der Gymnasiastin Lia zuhört, bekommt einen differenzierten Eindruck: «Klar gibt es auch Kollegen, die Stress haben, weil vor dem Monatsende der Lehrlingslohn knapp wird. Und mein älterer Bruder muss sein Geld schon einteilen, damit er neben den Ausgaben für die Games noch etwas übrig hat. Meine Kolleginnen und ich helfen uns aber auch aus mit Geld, wir haben da viel Vertrauen untereinander. Und wenn es bei einer einmal richtig knapp wird, gehen wir halt alle günstiger essen über Mittag.»

Differenziert sehen es auch die beiden Fachfrauen: «Die meisten Jugendlichen konsumieren auch unter veränderten Rahmenbedingungen reflektiert», sagt Sabrina Wachter. Und Anita Sigg diagnostiziert nicht nur grössere Herausforderungen, sondern auch ein grösseres Bewusstsein für finanzielle Fragen bei den jungen Menschen. Einig sind sich die beiden Expertinnen aber auch darin, dass die bewährten Mittel der Wissensvermittlung zu Geld und Finanzen durch neue Ansätze ergänzt werden müssen.

Sprechen wir es an

Zu den immer noch gültigen Mitteln gehört vor allem eines: offen reden. «Das Thema Geld muss enttabuisiert werden», sagt Sabrina Wachter. Die zentrale Rolle komme hier den Eltern zu: Sie hätten den Wissensvorsprung aus der Praxis und die Vertrauensstellung, um ihre Kinder positiv beeinflussen zu können. «Es ist wichtig, dass Kinder möglichst früh altersgerecht in finanzielle Angelegenheiten einbezogen werden», sagt Wachter. Nur wer Lernfelder erhalte, könne auch eigene Erfahrungen machen. Und nur wer Ver­antwortung übernehmen könne, ziehe daraus posi­tive Erkenntnisse.

Das zweite Hausmittel mit Allzeitwirkung? Für Sabrina Wachter ganz eindeutig: ein Budget mit Einnahmen und Ausgaben. Schuldenprävention sei immer besser als eine Beratung von bereits verschuldeten Personen. «Wenn ich eine ehrliche Aufstellung mache, muss ich mich auch fragen, was mir einzelne Posten wert sind. Und ich lerne, Schmerzgrenzen zu setzen und einzuhalten.» Wie das in der Praxis aussieht, weiss Lia: Ihre Ausgaben bespricht sie alle drei Monate mit den Eltern. «Das ist zwar manchmal etwas nervig – und ein bisschen kontrolliert fühle ich mich auch. Aber die Gespräche helfen mir auch. Meistens komme ich gut klar mit meinem Geld.»

Selbstständig haushalten

Das Bewährte ist für Lia aber auch mit einem neuen Konzept verknüpft: Die Schülerin erhält ihr Geld als sogenannten Jugendlohn auf ihr Bankkonto überwiesen. Der Jugendlohn wurde vom Psychologen und Familientherapeuten Urs Abt entwickelt und wird vom Verein Jugendlohn getragen. Auch Pro Juventute empfiehlt das Prinzip für mehr finanzielle Selbstständigkeit und Selbstverantwortung bei Jugendlichen ab zwölf Jahren, um den Umgang mit Geld und Konsum zu lernen: «Der Jugendlohn eignet sich für alle Familien, ob wohlhabend oder nicht. Denn er ist dem Lebensstandard und dem Familienbudget angepasst», erklärt Sabrina Wachter.

Das Thema Geld soll aber nicht nur eine Familienangelegenheit bleiben. Auch die Schulen haben erkannt, dass die Stärkung der Finanz­kompetenzen je länger, je wichtiger wird. «Im Lehrplan 21 hat die Financial Literacy ein neues Gewicht erhalten», sagt Dozentin Anita Sigg. Der neue Schulstoff ist dabei Teil einer Offensive der OECD: Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung will dadurch nicht nur die Überschuldung der Haushalte verringern, sondern auch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Systemstabilität in den Mitgliedsländern – darunter die Schweiz – verbessern.

Verhandeln und lernen

Dass Finanzkompetenz nicht nur ein sperriges Wort ist, sondern auch spielend leicht vermittelt werden kann, will «FinanceMission» beweisen: Der vom Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz und dem Verband Schweizerischer Kantonalbanken gegründete Verein hat diverse Schulungsunterlagen, E-Learning-Angebote und das Lernspiel «Heroes» im Angebot. «Mit dieser Initiative wollen die Kantonalbanken ihre Verantwortung gegenüber der Gesellschaft wahrnehmen und ihr Hintergrundwissen zur Verfügung stellen», erklärt Anita Sigg – sie ist auch Vorstandsmitglied des Vereins.

Von «Monopoly» zu «Heroes» – so unterschiedlich scheinen sie also gar nicht zu sein, die (Spiel-)Welten des Geldes früher und heute. Wo früher am Familientisch über kreative Immobi­liendeals zwischen «Chur, Kornplatz» und «Zürich, Paradeplatz» verhandelt wurde, sind es heute die Diskussionen zwischen Gymnasiastin und Eltern darüber, ob eine kostenpflichtige App auf dem Handy zur Kategorie Schule oder Freizeit gehört und auf welches Budget sie zu verbuchen ist. Coaching in Finanzfragen, sei es durch die Eltern oder die Schule, ist für Lia ganz okay, eine zugestandene Portion Freiheit aber genauso unabdingbar. Denn schliesslich sei eines klar: «Jeder muss eigene Erfahrungen sammeln im Umgang mit Geld.»

Ein Gefühl fürs Geld erhalten – Fünf Tipps für Eltern und Grosseltern

1 – Über Geld reden

Sprechen Sie mit Ihren Kindern oder Enkel­kin­dern über Lebenskosten und (immaterielle) Werte. Das geht auf spielerische Weise beim Einkaufen, etwa wenn Sie Preise und Angebote erklären. Unterhalten Sie sich mit Kindern auch darüber, was mit Geld nicht gekauft werden kann.

Finanzkompetenz, Illustration 1

2 – Sackgeld geben

Die Einschulung ist ein guter Zeitpunkt, um Kindern ihr erstes Sackgeld zu geben. Erklären Sie, wann und wie das Geld ausbezahlt wird, aber auch, wofür das Sackgeld vorgesehen ist. Zur Sprache kommen sollten auch die Möglichkeiten, das Geld kurz- oder längerfristig einzuteilen.

Finanzkompetenz, Illustration 2

3 – Jugendlohn überweisen

Der Jugendlohn soll die Autonomie und Selbstverantwortung junger Menschen ab zwölf Jahren fördern. Aus dem Jugendlohn sollen die Jugend­lichen Ausgaben des Alltags bezahlen, welche bisher die Familie übernommen hat. Dazu können ein Handy-Abo gehören, aber auch Essensgeld für die Schulmensa oder Kleidung. Der Jugendlohn soll dem Familienbudget angepasst sein. Zahlen Sie den Jugendlohn am besten auf ein eigenes Konto samt Bankkarte für Ihr Kind ein. Lassen Sie als Eltern auch Fehler zu, bleiben Sie aber konsequent und helfen Sie nicht mit Zuschüssen aus, sondern stehen Sie Ihrem Kind mit Tipps zur Seite. Weitere Informationen: jugendlohn.ch

Finanzkompetenz, Illustration 3

4 – Budget machen

Leiten Sie junge Menschen an, ein Haushaltbudget für Einnahmen und Ausgaben zu erstellen. Das Budget ist ein zentrales Mittel für die Finanzsteuerung in jungen Jahren, aber auch später im Erwachsenenleben. Ein- und Ausgaben können in einem Notizheft notiert werden, aber auch in einer App oder Excel-Liste. Mehr dazu: jugendbudget.ch

Finanzkompetenz, Illustration 4

5 – Verzichten und warten lernen

Wer sein Konsumverhalten zügeln oder auf Impulskäufe verzichten kann, schont nicht nur sein Budget, sondern kann auch besser lernen, arbeiten oder fokussieren. Es lohnt sich also, schon mit Kindern und Jugendlichen Strategien dafür zu üben und verzichten zu lernen. 

Finanzkompetenz, Illustration 5

Engagement

Partnerschaft mit Pro Juventute

Seit mehr als hundert Jahren setzt sich Pro Juventute für die Bedürfnisse und Anliegen von Kindern und Jugendlichen in der Schweiz ein. Ein zentrales Thema ist dabei auch der Umgang mit Konsum, Konsumwünschen. Die Zürcher Kantonalbank unterstützt seit 2015 die Durchführung von Elternveranstaltungen zum Thema Geld und Konsum. An den Veranstaltungen erhalten die Eltern Informationen von kompetenten Fachpersonen und die Möglichkeit, sich mit anderen Eltern auszutauschen.


Anmelden können Sie sich über die Webseiten von Pro Juventute oder der Zürcher Kantonalbank.

Unterstützung des Projekts «FinanceMission»

Im Rahmen ihrer Mitgliedschaft beim Verband Schweizerischer Kantonalbanken (VSKB) unterstützt die Zürcher Kantonalbank auch den Verein «FinanceMission» (siehe auch Haupttext). Dieser will die Finanzkompetenzen von Jugendlichen fördern und sie für einen verantwortungsbewussten Umgang mit Geld sensibilisieren. Das Angebot, das zusammen mit dem Dachverband Lehrerinnen und Lehrer Schweiz (LCH) realisiert wird, richtet sich nach gemeinsam festgelegten ethischen Grundsätzen und ist frei von Produktwerbung.

Vergünstigungen und Tipps für Familien

Die Zürcher Kantonalbank will ihre Kundinnen und Kunden während ihres ganzen Finanzlebens begleiten. Junge Familien unterstützt sie mit Informationen zu diversen Themen, etwa dem Familienbudget oder dem Jugendlohn (siehe auch Haupttext und Tipps). Durch ihre zahlreichen Engagements und Sponsorings kann die Bank aber auch ermässigte Eintritte für Naturerlebnisse oder Kultur­veranstaltungen für Familien anbieten.

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