Anlegen im Interesse der Kunden

Bei der Vermögensverwaltung gilt ein wichtiges Credo: Die Verwaltung soll einzig und allein im Interesse der Kundin oder des Kunden sein. Dies nennt sich treuhänderische Pflicht. Lesen Sie im Beitrag von Silke Humbert, was das mit dem hippokratischen Eid zu tun hat.

Text: Silke Humbert

Silke Humbert
«Gut umzusetzen ist der Ansatz «Active Ownership», also der Dialog mit den Unternehmen und die Ausübung der Stimmrechte an den Generalversammlungen», sagt Silke Humbert, Nachhaltigkeitsökonomin. (Bild: Andreas Guntli)

Wenn wir zur Ärztin gehen, vertrauen wir darauf, dass unsere Gesundheit ihr oberstes Ziel ist. Gleiches erwarten wir auch, wenn wir die Verwaltung unserer Geldanlagen, sei es die Altersvorsorge in der Pensionskasse oder das private Vermögen, delegieren. Die Verwaltung soll einzig und allein in unserem Interesse erfolgen.

Das Pendant zur Medizinethik, die mit dem hippokratischen Eid ihren Anfang nahm, ist das Konzept der treuhänderischen Pflicht. Und genau wie das ärztliche Ethos unterliegt auch die treuhänderische Pflicht dem Wandel der Zeit.

Die Bedeutung der treuhänderischen Pflicht

Ein mit der Durchführung von bestimmten Geschäften beauftragter Treuhänder hat dem Auftraggeber gegenüber durch seine Sachkenntnis einen Informationsvorteil. Die treuhänderische Pflicht gebietet, dass dieser Informationsvorteil nicht ausgenutzt wird und der Treuhänder sorgfältig und im Interesse des Kunden handelt.

So viel zum Prinzip. Doch was heisst das konkret? Im Bereich Anlegen herrschte jahrelang der Konsens, dass möglichst viel Rendite bei möglichst wenig Risiko für die Kunden zu erzielen sei. Mit dem Aufkommen von nachhaltigen Anlagen stellte sich die Frage, inwieweit treuhänderische Pflicht auch die Berücksichtigung von Nachhaltigkeit beinhaltet. Sofern der Kunde nach seinen Präferenzen zu nachhaltigen Anlagen gefragt werden kann, kann er das selbst entscheiden. Was aber, wenn das Kundeninteresse nicht bekannt ist? Gehört nachhaltiges Anlegen dann auch zur treuhänderischen Pflicht?

Die Welt retten im besten Interesse der Kunden?

Schweizer Gutachter sowie internationale Experten kommen zu dem Schluss, dass Risiken für die Kunden, die durch nicht-nachhaltiges Wirtschaften der Unternehmen im Portfolio entstehen, berücksichtigt werden müssen. Die Argumentation ist, dass es grundsätzlich zur treuhänderischen Pflicht gehört, Risiken zu berücksichtigen. Dazu gehören heute unbestritten auch Risiken, die durch nicht-nachhaltiges Wirtschaften entstehen, die sogenannten «ESG-Risiken».

Die Auswirkungen der ESG-Risiken auf Portfoliorendite und -risiko sind allerdings nur eine Seite der Medaille. Die andere Seite des nachhaltigen Anlegens befasst sich nämlich damit, welche Auswirkung die Unternehmen im Portfolio auf die Aussenwelt haben. Zusammen bezeichnet man diese beiden Aspekte als doppelte Materialität. Juristische Gutachten kommen zum Schluss, dass, solange finanzielle Ziele nicht darunter leiden, die Auswirkungen des Portfolios auf die Aussenwelt berücksichtigt werden können, aber nicht müssen. Ein Beispiel: Kundengelder für einen guten Zweck zu spenden, hätte vermutlich eine positive Wirkung in der Welt, verstiesse aber gegen die treuhänderische Pflicht. Finanzinstrumente, denen eine positive Wirkung auf die Aussenwelt zugeschrieben wird, sind oftmals schwieriger zugänglich oder mit mehr Risiken behaftet. Einfacher umzusetzen ist hingegen der Ansatz «Active Ownership», also der Dialog mit den Unternehmen und die Ausübung der Stimmrechte an den Generalversammlungen.

Wir sind Treuhänder zukünftiger Generationen

Abstrakte Konzepte wie die treuhänderische Pflicht oder der medizinische Eid müssen immer wieder aufs Neue diskutiert und konkretisiert werden. Am deutlichsten wird das in der Medizinethik bei der Debatte um die Sterbehilfe. Im Bereich Anlegen geht es zwar nicht um Leben und Tod, aber auch hier hat die Frage, ob und wie die treuhänderische Pflicht Nachhaltigkeit impliziert, zu vielen Diskussionen geführt.

Eines steht fest: Da für die Konkretisierungen von allgemeinen Prinzipien wie in der Medizinethik oder beim treuhänderischen Anlegen immer wieder ein gesellschaftlicher Konsens ausgehandelt werden muss, sind sie somit niemals abgeschlossen. Zum Nachdenken regt auch eine andere Interpretation von Treuhandschaft an, die entsteht, wenn man die zeitliche Dimension hinzuzieht, wie das Ottmar Edenhofer, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, postuliert: «Wir sind die Treuhänder der zukünftigen Generationen.»

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