Europäische Klimapolitik 2.0

Die EU steht vor einer klimapolitischen Neuausrichtung: Während die USA Schlagzeilen machen, plant die EU Massnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit und gezielten Unterstützung der Industrie. Erfahren Sie im Beitrag, wie reduzierte Bürokratie und Investitionen in grüne Technologien die Zukunft der EU prägen sollen.

Silke Humbert

«Die EU-Kommission zeigt sich lernbereit und setzt auf eine wirtschaftsfreundlichere Klimapolitik. Durch reduzierte Bürokratie und gezielte Unterstützung der Industrie soll die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und gleichzeitig das langfristige Netto-Null-Ziel erreicht werden.» Silke Humbert, Nachhaltigkeitsökonomin (Bild: Halfpoint Images)

Während die Haltung der neuen amerikanischen Regierung zur Klimapolitik hohe Wellen geschlagen hat, stehen die Änderungen, welche die Europäische Union (EU) an ihrer Klimapolitik vornimmt, weniger im Fokus. Befreit sich die EU im Windschatten der klimapolitischen Kehrtwende in den USA gerade von ihren
ehrgeizigen Klimazielen, wie Skeptiker sagen? Oder geht es vielmehr um eine wirtschaftsfreundlichere Klimapolitik, wie es Befürworter formulieren?

«Houston, we have (an energy) problem»

Angefangen hatte alles mit Mario Draghis Bericht zur Zukunft der Wettbewerbsfähigkeit der EU vom September 2024. Für ihre zweite Amtszeit als Präsidentin der Europäischen Kommission hatte Ursula
von der Leyen den Italiener gebeten, die wirtschaftliche Situation der EU zu analysieren und Empfehlungen auszuarbeiten. Der Bericht zeigt auf, dass das Wachstum und die Arbeitsproduktivität in der EU im Vergleich zu anderen grossen Wirtschaftsregionen abgenommen haben, und plädiert für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit über verschiedene Handlungsfelder. Ein Beispiel für die aktuell geringe Wettbewerbsfähigkeit der EU findet sich in den Strompreisen, wo die Preisdifferenz zwischen der EU und den USA immer weiter gestiegen ist (siehe Grafik 1). Mittlerweile ist Strom in der EU etwa doppelt so teuer wie in den USA. Was sind die Gründe hierfür? Primär sind die hohen Stromkosten der Tatsache zuzuschreiben, dass die EU ihre fossilen Energieträger nahezu vollständig importiert, während die USA mittlerweile Netto-Exporteur sind. Aber auch die Kosten für die Energiewende, eine geringe Verhandlungsmacht und lange Genehmigungsverfahren verteuern die Energie in der EU zusätzlich.

EU-Kommission zeigt sich einsichtig

Die EU-Kommission hat sich nun die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit auf die Fahne geschrieben. So sollen zum Beispiel Energiepreise reduziert werden, indem die Elektrifizierung vorangetrieben und der interne Energiemarkt ausgebaut wird. Mit etwa EUR 100 Mrd sollen grüne Technologien noch stärker gefördert werden. Darüber hinaus soll der Wirtschaft das Leben einfacher gemacht werden, indem die Nachhaltigkeitsberichterstattung zurückgefahren wird. Neu müssen nur noch die grössten Unternehmen eine ausführliche Nachhaltigkeitsberichterstattung liefern. Zudem werden Reporting-Pflichten reduziert und vereinfacht. Speziell kleinere Unternehmen sollen vor Belastung durch Bürokratie geschützt werden, die nach Wirtschaftsexperten in Deutschland in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Laut einer Studie des ifo-Institutes verbringen Angestellte in Deutschland im Durchschnitt 22% ihrer Arbeitszeit mit bürokratischen Tätigkeiten.

Unterstützung der Industrie bei Festhalten an Netto Null

Die EU-Klimaziele sind weltweit die ambitioniertesten. Auch wenn sie langfristig die Abhängigkeit von fossilen Energien reduzieren und für höhere Energiesicherheit sorgen, stehen die Ziele doch immer wieder in der Kritik, da kurzfristig höhere Investitionen und somit Kosten nötig sind. Die EU-Kommission zeigt sich nun lernbereit: Umfangreiche Dokumentationspflichten werden reduziert, und die Industrie soll gezielt unterstützt werden. Am langfristigen Netto- Null-Ziel hält sie jedoch fest. Es ist der Versuch, Dekarbonisierung nicht gegen, sondern mit der Industrie zu erreichen.
 

Differenz der Strompreise immer grösser

Preise für Elektrizität in USD/MWh
 

Quelle: IEA, Zürcher Kantonalbank

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