China: Perspektiven unter neuem Covid-Regime

Drei Jahre rigoroser Virusbekämpfung haben deutliche Spuren in der chinesischen Volkswirtschaft hinterlassen. Dank dem neuen Covid-Regime präsentieren sich die Aussichten für dieses Jahr aber deutlich besser. Lesen Sie mehr über Chinas Wachstumsperspektiven im Beitrag von Marina Zech, Senior Economist Emerging Markets.

Text: Marina Zech

Die chinesische Volkswirtschaft hat heftig unter der knapp dreijährigen Virusbekämpfung gelitten. Nach anfänglichen Erfolgen dieser sogenannten Zero-Covid-Strategie nahmen die ökonomischen Kosten mit der leichteren Übertragbarkeit neuer Virusvarianten exponentiell zu. Mit dem abrupten Kurswechsel Ende des Jahres 2022 breitete sich die Viruswelle dann in rasantem Tempo aus. Insgesamt hat die chinesische Volkswirtschaft diese Welle bisher besser überstanden als erwartet. Doch die strikte Virusbekämpfung während drei Jahren hat Spuren hinterlassen: Ende Jahr notierte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) um 5 Prozent unter dem Wachstumspfad vor der Pandemie.

Es dürfte zunehmend schwierig werden, das aktuelle Potenzialwachstum zu halten.

Marina Zech, Senior Economist Emerging Markets

Hochfrequente Konjunkturindikatoren belegen, dass die Bevölkerung seit Jahresbeginn wieder mobiler geworden ist. In der arbeitsfreien Zeit um das Neujahrsfest Ende Januar nahm die Reisetätigkeit um mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu. Allerdings notierte sie immer noch knapp 50 Prozent unter dem Vorpandemieniveau von 2019, da einige Städter von Reisen zu ihren Familien auf dem Land abgesehen haben dürften, um diese zu schützen. Mit der steigenden Genesungsrate reduzieren sich jedoch Ansteckungsängste und Arbeitsausfälle. So haben jüngst auch die Einkaufsmanagerindizes signalisiert, dass die konjunkturelle Erholung bereits eingesetzt hat.

Grosses Aufholpotenzial

Dank dem neuen Covid-Regime haben sich die Wachstumsaussichten Chinas markant aufgehellt. Das Aufholpotenzial ist in der Tat gross. Insbesondere der kontaktintensive Dienstleistungssektor litt stark unter der strikten Viruseindämmung. So brach das Konsumentenvertrauen 2022 regelrecht ein. Die Normalisierung des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens wird die Stimmung unter den Konsumenten sicherlich bald verbessern. Wie weit die chinesische Bevölkerung ihr Portemonnaie öffnen wird, ist derzeit jedoch schwierig abzuschätzen.

Haushalte haben viel Geld zur Seite gelegt

Ein Blick auf die Beschäftigungskomponente des Einkaufsmanagerindexes zeigt, dass sich die Arbeitsmarktlage im vergangenen Jahr drastisch verschlechtert hat. Das Fehlen eines staatlichen sozialen Netzes dürfte gewissen Teilen der Erwerbsbevölkerung arg zugesetzt haben. So hat nicht nur der Mangel an Konsummöglichkeiten, sondern auch der Wunsch nach Absicherung dazu geführt, dass die chinesische Bevölkerung seit Ausbruch der Pandemie vermehrt Geld zur Seite gelegt hat. Die zusätzlichen Ersparnisse der Konsumenten werden sicherlich für eine Wachstums-beschleunigung in der ersten Jahreshälfte sorgen (vgl. Grafik). Angesichts der Lage am Arbeitsmarkt erwarten wir aber, dass die Haushalte ihre angehäuften Ersparnisse mit Bedacht ausgeben werden.

Wachstumsbeschleunigung steht bevor

Grafik: Zürcher Kantonalbank

Begrenzte Übertragungseffekte

Da der Aufschwung vorwiegend binnenorientiert im Konsum ausfallen wird, fallen Spillover-Effekte (Übertragungseffekte) auf andere Länder eher überschaubar aus. Zu einem gewissen Grad dürften Exporteure von Industriegütern wie Südkorea oder Taiwan profitieren. Vielversprechender ist die Öffnung der chinesischen Grenzen, die den Tourismus im Ausland ankurbelt. Vor allem der asiatische Raum dürfte sich über die höheren Einnahmen freuen, allen voran die beliebte Tourismusdestination Thailand.

Der Konsumanstieg sollte zwar die Nachfrage Chinas nach Energierohstoffen steigern, weshalb Energieexporteure wie Kolumbien mit höheren Ausfuhren rechnen können. Doch der chinesische Exportsektor kämpft derzeit mit der globalen Konjunkturabkühlung, und auch die anhaltende Immobilienbaisse dämpft die chinesische Importnachfrage nach Industrierohstoffen. Seit der Fall Evergrande vor eineinhalb Jahren publik geworden ist, sind die Immobilienverkäufe eingebrochen, und die Bautätigkeit hat aufgrund von Finanzierungsengpässen stark abgenommen. Obwohl sich dank der Stützungsmassnahmen der Regierung aktuell eine gewisse Bodenfindung abzeichnet, bleibt abzuwarten, ob sich diese Stabilisierung als nachhaltig erweist. Darüber hinaus zog in der Vergangenheit die wachstumsrelevante Neubautätigkeit ohnehin erst mit einer Verzögerung von drei bis vier Quartalen an. Deshalb erwarten wir, dass die chinesische Wirtschaft lediglich im 2. Quartal dieses Jahres über Potenzial wachsen wird. Für das Gesamtjahr 2023 prognostizieren wir ein Wachstum von 5.4 Prozent.

Temporärer Inflationsdruck

Die Aufholeffekte im Konsum werden die Inflation nur vorübergehend und in moderatem Ausmass anheizen. China durchlebt die öffnungsbedingte Erholung inmitten einer globalen Konjunkturabkühlung. Gleichzeitig haben sich die weltweiten Lieferengpässe bis auf wenige Ausnahmen weitgehend aufgelöst. Der Teuerungsdruck im Güterbereich dürfte sich also in Grenzen halten, während die Preise im Dienstleistungssektor durchaus steigen werden. Dies eröffnet der Zentralbank Spielraum, die konjunkturelle Erholung in der ersten Jahreshälfte über ihre diversen geldpolitischen Kanäle zu stützen. Erst in der zweiten Jahreshälfte rechnen wir schliesslich mit einer allmählichen Normalisierung der Geldpolitik.

Abnehmendes Potenzialwachstum

Trotz den sich verbesserten Wachstumsperspektiven Chinas bleibt der langfristige Ausblick getrübt. Beispielsweise wird die Handhabung der aktuellen Immobilienkrise kaum für eine Bilanzbereinigung sorgen. Entsprechende Altlasten dürften das Wachstum zu einem späteren Zeitpunkt wieder belasten. Zudem haben die staatlichen Eingriffe während der vergangenen Jahre Ineffizienzen gefördert und das Innovationspotenzial geschmälert. Seit letztem Jahr schrumpft nun auch noch die Bevölkerung. Es dürfte also zunehmend schwierig werden, das aktuelle Potenzialwachstum zu halten. Die strukturelle Wachstumsverlangsamung wird sich also wohl oder übel fortsetzen.

Kategorien

Anlegen