Ist dies das Ende der expansiven Geldpolitik in Japan?
Die Finanzmärkte rechnen bereits mit dem Ende der expansiven Geldpolitik in Japan. Im Beitrag von Sascha Jucker, Senior Economist, erfahren Sie, weshalb diesbezüglich Skepsis angebracht ist.
Text: Sascha Jucker
Einmal mehr hat Haruhiko Kuroda als Chef der japanischen Zentralbank die Märkte auf dem falschen Fuss erwischt. An ihrer jüngsten geldpolitischen Lagebeurteilung vom 20. Dezember 2022 hat die Bank of Japan (BoJ) zwar ihren Leitzins unverändert im negativen Bereich belassen. Mit der Anpassung ihrer Zinskurvenkontrolle haben die Währungshüter nun aber doch noch vollzogen, was einige Marktbeobachter bereits während des globalen Zinsanstiegs im ersten Halbjahr 2022 erwartet hatten.
Konkret wurde das Toleranzband der Zinskurvenkontrolle für zehnjährige japanische Staatsanleihen (JGB) von +/-0.25% auf +/-0.5% erweitert. Als offiziellen Grund gaben die Notenbankvertreter eine Verschlechterung der Liquidität und der Marktfunktionsfähigkeit am heimischen Obligationenmarkt an, was angesichts des hohen JGB-Bestandes der japanischen Zentralbank von über 50% nicht verwundert.
Heftige Reaktionen auf den globalen Zins- und Devisenmärkten
Die von der BoJ als Feinsteuerung heruntergespielte Änderung führte zu heftigen Marktreaktionen: Nicht nur die Renditen der japanischen Staatsanleihen stiegen um 20 Basispunkte an. Auch die Zinsen der Staatsobligationen in anderen Industrienationen legten am gleichen Tag deutlich zu. Mit den höheren Renditen in Japan gewinnen diese Anleihen wieder an relativer Attraktivität, was an den globalen Obligationenmärkten zur Befürchtung führte, dass japanische Investoren ihre Anleiheninvestitionen wieder vermehrt im heimischen Markt tätigen könnten, zumal sie dort keine Fremdwährungsabsicherung tätigen müssen.
Japan als wichtiger ausländischer Investor
Da Japan der grösste internationale Gläubiger ist, können geldpolitische Veränderungen grosse internationale Geldflüsse verursachen. Gemäss Schätzungen halten japanische Investoren z.B. rund 20% des gesamten australischen Staatsobligationenmarktes. Mit einem Renditesprung von 20 Basispunkten waren die Auswirkungen am australischen Obligationenmarkt denn auch am heftigsten. Aber auch in den USA – dem grössten Anleihenmarkt der Welt – repräsentiert Japan mit 4% die wichtigste ausländische Investorengruppe.
Ist das die geldpolitische Wende?
Die bisher erratische Vorgehensweise der BoJ und der Hang von Haruhiko Kuroda, den spekulativen Obligationenhändlern die Stirn zu bieten, lassen keine zuverlässigen Prognosen zu. Entsprechend haben sich zwei Meinungslager gebildet. Auf der einen Seite scheinen sich die Finanzmärkte bereits auf eine restriktivere Geldpolitik der BoJ positioniert zu haben. So schlagen die JGB-Renditen bereits wieder am oberen Rand des Zielbandes an und testen den Willen der Währungshüter, ihre neuen Parameter der Zinskurvenkontrolle zu verteidigen. Darüber hinaus haben sich an den Terminmärkten die Erwartungen einer baldigen Leitzinserhöhung gebildet. Auf der anderen Seite zeigen sich Ökonomen skeptischer und verweisen auf die Hartnäckigkeit der Zentralbank, ihren geldpolitischen Weg unabhängig von den Markterwartungen zu gehen. Obwohl die Risiken einer restriktiveren Geldpolitik nicht wegzudiskutieren sind, überwiegen unserer Meinung nach die Gründe, welche gegen einen restriktiveren Kurs der Notenbank sprechen.
Sehr hohe Staatsverschuldung in Japan
Ein wichtiger hindernder Faktor für eine zusätzliche Verwässerung der Zinskurvenkontrolle ist die massive Staatsverschuldung Japans. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt liegt diese mit über 260% so hoch wie in keinem anderen Land. Selbst andere hochverschuldete Nationen wie Italien (150%), die USA (137%) oder Grossbritannien (97%) sehen neben Japan wie finanzpolitische Musterschüler aus. Zwar versuchen die Politiker seit Jahren den Staatshaushalt durch Mehrwertsteuererhöhungen ins Gleichgewicht zu bringen. Die Pandemie hat ihnen allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein Anstieg der japanischen Staatsanleihenrenditen wäre zwar kein unmittelbares Problem, da ein Grossteil der laufenden Obligationen zu sehr tiefen Zinsen emittiert wurde und die Mehrheit dieser Anlagen im Besitz der BoJ ist. Mittel- und langfristig würde der fiskalpolitische Spielraum aber durch die steigenden Zinskosten eingeschränkt.
Zielband wurde bereits zweimal angepasst
Gegen ein Ende der Tiefzinspolitik sprechen auch der jüngste Zinsausblick sowie die flankierenden Massnahmen der Zinskurvenkontrolle. Die Währungshüter liessen nämlich verlauten, dass sie von anhaltend tiefen kurz- und langfristigen Zinsen ausgehen und diese bei Bedarf sogar weiter senken werden. Zudem erhöhten sie die monatlichen JGB-Käufe um fast einen Viertel. Diese Käufe finden unabhängig vom Zinsniveau statt und deuten darauf hin, dass die BoJ am Instrument der Zinskurvenkontrolle festhalten will. In der Vergangenheit hat es bereits mehrere Anpassungen des Zielbandes gegeben, welche dann über mehrere Jahre Bestand hatten. Die jüngste Entscheidung muss somit nicht automatisch zu einem Regimewechsel führen.
Kurzes Zeitfenster für Kurodas Nachfolge
Ob die BoJ im nächsten Jahr einen Regimewechsel vornehmen wird, hängt davon ab, wer die Zentralbank nach dem Abtreten von Kuroda im März 2023 präsidieren wird. Als Favorit gilt aktuell sein Stellvertreter Masayoshi Amamiya, der eine ähnliche geldpolitische Haltung wie Kuroda aufweist.
Unter seiner Führung rechnen die wenigsten mit einer geldpolitischen Neuausrichtung. Sollte sich der Teuerungsdruck in den nächsten Monaten weiter auf den Dienstleistungssektor ausweiten und sich die japanische und globale Konjunktur als widerstandsfähiger erweisen als von uns angenommen, wäre eine weitere Anpassung der Zinskurvenkontrolle denkbar.
Viel wahrscheinlicher erscheint uns jedoch, dass sich die Weltwirtschaft bis dahin stark abgekühlt hat, die Rohstoffpreise weiter gesunken sind, der JPY als sicherer Hafen erstarkt ist und damit deflationär auf die Import- und Konsumentenpreise in Japan wirkt. Für den neuen Notenbankchef hätte sich das Zeitfenster für eine restriktivere Geldpolitik dann bereits wieder geschlossen.