Grauer Konflikt: Geo­politisches Kräfte­messen im Indopazifik

Für die längerfristige Entwicklung des globalen Machtgefüges sind die Querelen im Indopazifik von grosser Bedeutung. Wer im Streit zwischen China und den USA um das richtige politische und technologische System punktet, wird in den nächsten Jahrzehnten in wichtigen Bereichen die Nase vorne haben, schreibt David Marmet, Chefökonom bei der Zürcher Kantonalbank, in seiner Analyse.

Text: David Marmet

Flaggen USA und China
«Pax Americana» oder «Pax Sinica»? Sowohl die USA als auch China wollen die Weltordnung entscheidend beeinflussen. (Bild: Envato Elements / twenty20photos)

Nach dem Ende des Kalten Krieges in den späten 1980er-Jahren waren die USA für zwei Jahrzehnte unangefochten die dominierende Macht, und zwar militärisch, ökonomisch, politisch und kulturell. In der Finanzmarktkrise ab 2008 bekamen die USA in ihrer Funktion als alleiniger Hegemon allerdings arge Kratzer ab. 2012 sollte der Wahl von Xi Jinping zum Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas eine wichtige Bedeutung zukommen. China, das in den letzten Jahrzehnten ein exorbitantes Wirtschaftswachstum an den Tag legte, tritt unter der Ära Xi nach innen immer autoritärer und nach aussen zunehmend konfrontativer auf. Dadurch fühlen sich die USA in ihrem hegemonialen Selbstverständnis herausgefordert.

Neuer Dreh- und Angelpunkt ist der Indopazifik. Anschauungsunterricht dazu liefern vor allem die Querelen um den Status Taiwans. Bis vor wenigen Jahren gingen die westlichen Länder fälschlicherweise davon aus, dass sich in China mit der Einbindung in die Weltwirtschaft und dem steigenden Wohlstand demokratische und rechtsstaatliche Verhältnisse quasi automatisch ergeben würden. China wurde mehr als Partner denn als Rivale betrachtet. Taiwan und China näherten sich einander von den 1980er-Jahren bis 2016 an, wenn auch hauptsächlich aufgrund wirtschaftlicher Interessen.

Reizwort Indopazifik

Während der Präsidentschaft Donald Trumps kamen die bereits seit Längerem gärenden Zerwürfnisse zwischen China und den USA stärker ans Licht. Unter anderem entwickelten die USA ihre Vision des «Free and Open Indo-Pacific (FOIP)» als strategische Antwort auf die «Belt and Road Initiative» (BRI) Chinas. Allein die Wortkreation Indopazifik ruft in den verschiedenen politischen Lagern kontroverse Sinnesreize hervor. Für den Westen ist der Begriff positiv konnotiert, versteht er doch darunter einen Gegenentwurf zur sinozentrischen Neuordnung in der Region des Pazifiks und des Indischen Ozeans. Das Reich der Mitte lehnt das Konzept Indopazifik als eine gegen Peking gerichtete Eindämmungsstrategie dezidiert ab. Bis zum 100. Jubiläum der kommunistischen Machtübernahme im Jahr 2049 will China die führende Industrienation sein.

Sicherheitsbündnisse schiessen aus dem Boden

Die demokratischen Länder Asiens und des Westens versuchen ihrerseits, mit Sicherheitsbündnissen den chinesischen Ambitionen Paroli zu bieten. Eine bedeutende Rolle könnte dabei der 2017 wiederbelebte informelle Zusammenschluss zwischen den USA, Australien, Indien und Japan, genannt «Quad» (Quadrilateral Security Dialogue), einnehmen. Quad veranschaulicht, dass die wachsenden Ambitionen Chinas gewisse Länder erst recht in die Arme des Westens treiben.

So zeigt sich Indien insbesondere seit den Grenzspannungen mit China im Himalaja im Frühjahr 2020 zu einer engeren Kooperation im Rahmen von Quad bereit. Auch das Sicherheitsbündnis «AUKUS» zwischen den USA, Grossbritannien und Australien ist aufgrund chinesischer Expansionsgelüste entstanden und zielt implizit auf die Eindämmung von Chinas militärischer Macht ab. Aus Sicht der USA stellt AUKUS vorerst den Kern eines Bündnisses dar, zu dem weitere Länder im Indopazifik hinzustossen sollen.

Partner, Konkurrent und Rivale

Wird der oft zitierte Kalte Krieg 2.0 nun Wirklichkeit? Wohl kaum. Auch wenn in den Medien oft suggeriert wird, China sei im Westen innerhalb weniger Jahre von «Everybody's Darling» zum Feindbild mutiert, ist diese Sicht schlicht falsch. Analysiert man die mannigfaltigen Strategiepapiere, die verschiedene Länder – unter anderem auch die Schweiz – zu China erarbeitet haben, fällt auf, dass China gleichzeitig als Partner, Konkurrent sowie als Rivale deklariert wird.

Als Partner, wenn Lösungen für globale Probleme wie den Klimawandel gesucht werden. Als Konkurrent, wenn es um die Produktion von und den Handel mit Gütern und Dienstleistungen geht. Und als Rivale, wenn das politische System einschliesslich des Umgangs mit ethnischen Minderheiten Thema ist. Die in unserer Kultur sozialisierte binäre Sichtweise «Friede oder Krieg» gehört einem Konzept der Vergangenheit an. Heute gestaltet sich die geopolitische Lage viel komplexer.

Grauer Konflikt, nicht Kalter Krieg

Die Bezeichnung Kalter Krieg ist fehl am Platz, befinden wir uns vielmehr in einem grauen Konflikt. Dieser beschreibt einen Zustand, der weder das reine Weiss noch das absolute Schwarz kennt. Kriege werden immer weniger mit konventionellen Waffen, sondern mehr und mehr mit hybrider Kriegsführung ausgetragen. Das bedeutet, dass Konfliktparteien auf eine Kombination aus wirtschaftlichem Druck, Cyberangriffen sowie Propaganda in Medien und sozialen Netzwerken setzen. Destabilisierung, Einmischung und Manipulation sind demnach erste Wahl, während klassische Militäreinsätze nur noch Ultima Ratio sind.

Rennen um Normen und Standards als Beispiel

Die Systemrivalität und das Rennen um Standards und Normen ist bereits heute heiss gelaufen. Beispielhaft hierfür ist der Ausbau der 5G-Netzwerkinfrastruktur. Aus Diplomatenkreisen ist immer wieder zu vernehmen, dass mit sehr harten Bandagen um die Bestimmung technischer Standards gekämpft wird. So werden die 193 Mitgliedsländer der in Genf ansässigen UNO-Organisation ITU, die weltweit Telekommunikations- und Internetstandards festlegt, sowohl von chinesischer als auch von US-amerikanischer Seite hart umworben, für ihre Sicht der Dinge zu stimmen.

Opportunitäten für Investoren

Die «Pax Americana», also der Anspruch der USA, die Weltordnung entscheidend zu bestimmen, bröckelt. Eine «Pax Sinica» (chinesischer Weltmachtanspruch) würde zwar in die Strategie von Xi Jinping passen, der Weg dahin ist aber steinig. Es ist unklar, wie sich die Welt aus geopolitischer Sicht entwickeln wird. Klar ist hingegen, dass die Entwicklung im Indopazifik richtungsweisend für die Ausgestaltung der zukünftigen Weltordnung ist.

Bei all den Unsicherheiten und Risiken ergeben sich für Investoren unter diesen Gegebenheiten durchaus Chancen. So lehrt uns die Geschichte, dass Wettbewerb dem Gedeihen der Weltwirtschaft durchaus zuträglich ist. Der Wettbewerb der Systeme fördert die Entwicklung neuer Ideen und verleiht Innovationen Rückenwind. Natürlich wäre es aber wünschenswert, wenn Innovationen primär unter gesunden Wettbewerbsbedingungen und nicht unter dem Druck der Systemrivalität entstünden. In vielen Länder, unter anderem auch in der Schweiz, sind Anstrengungen diesbezüglich im Gange.

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