Inflation: Kein perfekter Sturm wie in den 70ern
Hohe Inflationsraten wie in den 70er-Jahren sind zwar nicht auszuschliessen, aber unwahrscheinlich, sagt Chief Investment Strategist Manuel Ferreira. Denn: Neben einem Ölpreisschock sowie einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik versagte damals auch die Geldpolitik
Text: Manuel Ferreira
Der jüngere Teil der heute aktiven Bevölkerung kennt Inflation von über 5% nur aus den Geschichtsbüchern. Blendet man die zwei Weltkriege aus, so dient insbesondere die Inflationsentwicklung von 1972 bis 1985 als abschreckendes Beispiel für eine ausufernde und schädliche Inflation – die sogenannte Stagflation. In den G7-Ländern erreichte die Inflation während jener Periode Werte von über 10% und war so hoch, dass die US-Notenbank unter der Leitung von Paul Volker Anfang der 1980er-Jahre eine drastische Zinserhöhungsphase einleiten musste, um die Inflation in den Griff zu bekommen. Andere Notenbanken folgten.
Die logische Konsequenz war ein wirtschaftlicher Abschwung. Zurück in der Gegenwart wird die jüngste Inflationsentwicklung – die jährliche Teuerungsrate stieg in den USA auf 5% – gerne mit der Inflationsentwicklung in den 1970er- und 1980er-Jahren verglichen. Es gibt tatsächlich Parallelen, die Sorgen bereiten. Geld- und währungspolitische Errungenschaften machen eine Inflationsentwicklung wie damals allerdings sehr unwahrscheinlich.
Ein perfekter Sturm braut sich zusammen
Der Grundstein für die hohe Inflation in den 1970er-Jahren wurde lange vor dem Ölpreisschock 1973 gelegt. Während den 1960er-Jahren war der US-Staatshaushalt stark defizitär. Das Wettrüsten im Kalten Krieg, die Raumfahrtprogramme und die Armutsbekämpfung (Great Society Plan) liessen die Staatsausgaben stark steigen.
Gleichzeitig nahmen die Löhne in der Goldenen Ära dank den mächtigen Gewerkschaften stetig zu. Es etablierte sich eine prosperierende und konsumfreudige Mittelschicht – auch in Europa. In den G7-Ländern fielen die erhöhten Inflationsraten in den 1960er-Jahren nicht weiter ins Gewicht, zumal das durchschnittliche reale BIP-Wachstum die Teuerung überkompensierte.
Das Ende von Bretton Woods und der Ölpreisschock
Gegen Ende der 1960er-Jahre weitete sich das US-Staatsdefizit wegen hohen Militärausgaben für den Vietnamkrieg weiter aus. Auf der anderen Seite des US-Leistungsbilanzdefizits standen gewichtige Volkswirtschaften mit Leistungsbilanzüberschüssen bzw. wegen der US-Dollar-Anbindungen mit hohen US-Reserven. Die wichtigsten Währungen waren damals unter dem Bretton Woods- Abkommen an den US-Dollar gebunden. Dafür konnten Nicht-US-Notenbanken ihre Dollarbestände beim Fed gegen Gold eintauschen. US-Präsident Richard Nixon sah sich 1971 gezwungen, die Golddeckung des US-Dollars aufzugeben, da die USA gar nicht in der Lage waren, der im Abkommen vereinbarten Goldeintauschpflicht für US-Dollar nachzukommen. Das Vertrauen in den zu diesem Zeitpunkt stark überbewerteten US-Dollar war dahin. 1973 brach das Bretton Woods-System zusammen, was zu einer starken Abwertung des US-Dollars führte. Gleichzeitig drosselten die OPEC-Staaten wegen des Jom-Kippur-Krieges die Ölförderung wirksam und der Ölpreis schoss in die Höhe. Der schon fast perfekte Sturm.
Notenbanken ohne konkretes Inflationsziel
Dass der perfekte Inflationssturm globale Dimensionen erreichte, hing damit zusammen, dass die Notenbanken in einem System mit fixen Wechselkursen wie Bretton Woods keine autonome Geldpolitik betreiben konnten. Die drei währungspolitischen Ziele; fixe Wechselkurse, freier Internationaler Kapitalverkehr und autonome Geldpolitik sind nicht vereinbar. Es können immer nur zwei Ziele gleichzeitig erreicht werden. Da der Welthandel bereits während des Bretton Woods-Systems zunahm, wurde auch der Kapitalverkehr zunehmend liberalisiert. Die expansive Geldpolitik des Fed in den 1960er-Jahren zwang Notenbanken von Ländern mit Leistungsbilanzüberschüssen zu immer höheren US-Dollar-Reserven. Diese Interventionspflicht blähte die Notenbankbilanzen auf und führte zu einer erzwungenen kompetitiven Abwertung von Währungen exportorientierter Nationen.
Das erwies sich als heimtückisch. Die starke Nachfrage aus dem Ausland führte auch ausserhalb der USA zu einer boomenden Wirtschaft und zu einer völlig unnötigen Ausweitung der Geldmenge. Die Notenbanken – auch das Fed – verfügten zu jenem Zeitpunkt weder über die nötige Erfahrung noch über effektive Instrumente, um die steigende und importierte Inflation zu bekämpfen. Unbeholfene Versuche mit Einschränkung des Aussenhandels und Konjunkturdämpfungsmassnahmen bremsten zwar das Wachstum, doch die Inflation bzw. Stagflation blieb.
Von der Stagflation zur «Great Moderation»
Die Bereinigung der weltweiten Währungsungleichgewichte sorgte zusammen mit den nun flexiblen Wechselkursen anfänglich noch für starke Konjunkturschwankungen. Als die Inflation allmählich gebändigt schien, folgte 1979 der zweite Ölpreisschock. Die Notenbanken hatten ihre Lehren gezogen und waren nun auf Inflationsbekämpfung getrimmt – allen voran das Fed unter der Ägide des pragmatischen Monetaristen Paul Volker. Seit die Notenbanken unabhängig voneinander ein Inflationsziel verfolgten, stieg die
Inflation nur noch moderat und die Konjunkturschwankungen nahmen ab. Die »Great Moderation«-Periode hielt bis zum Minsky-Moment 2007 an. Dieser hat aber nichts mit Inflation, sondern mit Übertreibungen am Kreditmarkt zu tun.
Der perfekte Inflationssturm ist nicht in Sicht
Eine starke Stimulierung der Wirtschaft, Lieferengpässe, Nachholbedarf, Basiseffekte, Deglobalisierungsideen sowie eine vorübergehend erhöhte Inflation sind nach einer heftigen Rezession normal. Alle diese Faktoren bilden zusammen mit der alternden Bevölkerung eine inflationäre Basis. Doch damit Inflation persistent wird, muss sich die Produktionslücke schliessen, Vollbeschäftigung einstellen und die Löhne sowie die Preise für unverzichtbare Güter stetig steigen. Bedrohlich wird es erst, wenn die Notenbanken, die Währungs- und Fiskalpolitik kollektiv versagen. Dass die Wirtschaft wieder auf den alten Pfad zurückkehrt, ist wahrscheinlicher als ein perfekter Sturm.