«Inflation Reduction Act» – ein rhetorischer Geniestreich
In den USA wurde im Sommer 2022 der «Inflation Reduction Act» unterzeichnet. Im Beitrag von Silke Humbert, Nachhaltigkeitsökonomin, erfahren Sie, was er beinhaltet und weshalb es ein rhetorischer Geniestreich ist.
Text: Silke Humbert
Das «Build-Back-Better»-Programm war den Demokraten sehr wichtig und die Mehrheit dafür war sehr knapp. Alle, wirklich alle demokratischen und die beiden unabhängigen Senatoren mussten ihre Zustimmung signalisieren. Lang gehegte Vorhaben der Demokraten wie beispielsweise bezahlte Krankheitstage und eine ambitionierte Klimapolitik sollten mit dem Entwurf auf den Weg gebracht werden. Doch die aussergewöhnlich hohen Inflationsraten von über 8 Prozent rückten die Wichtigkeit der Preisstabilität ins Bewusstsein der Amerikaner.
Die Bekämpfung der Inflation wurde mit Abstand zum wichtigsten und drängendsten Thema auf der Tagesordnung und schien das Vorhaben der Demokraten zunichtezumachen. Der demokratische Senator Joe Manchin betonte, er werde nichts akzeptieren, was die Inflation weiter anheizen könnte. Am Ende wurde ein Gesetzesentwurf verabschiedet, dessen Name einfängt, was sich die Mehrheit der Amerikaner zu jenem Zeitpunkt am meisten wünschte, und der gleichzeitig das grösste Klimaschutzprogramm der USA beinhaltet. Reduziert der «Inflation Reduction Act» nun tatsächlich die Inflation? Oder ist es doch eher ein Klimagesetz unter anderem Namen?
«Inflation Reduction Act» – Worum geht es?
Das Gesetz zur Reduktion der Inflation umfasst drei Bereiche: Steuern, Medikamente und Energie. Auf der Ausgabenseite sind knapp USD 400 Milliarden für grüne Technologien und USD 100 Milliarden für Gesundheit vorgesehen. Auf der Einnahmenseite erhofft man sich USD 300 Milliarden von der Pharmaindustrie und USD 500 Milliarden durch Steuern. Davon entfallen USD 300 Milliarden auf den neuen Mindeststeuersatz von 15 Prozent für Unternehmen. Die erste Fassung sah deutlich höhere Sozialausgaben vor. Geplant waren beispielsweise die Ausweitung von Medicare, der Wegfall der Gebühren für Kindergarten und Kinderbetreuung, bezahlter Familienurlaub und bezahlter Krankenurlaub.
Welche Wirkung entfaltet das Gesetz?
Der Effekt des Programms auf die Inflation ist umstritten. Subventionen zum Aufbau grüner Technologie führen zuerst einmal zu einer Zunahme der Staatsverschuldung. Manche Experten argumentieren, dass mehr Geld im Umlauf zu mehr Konsum und zu höheren Investitionen führe. Dadurch steige die Inflation zwangsläufig an. Die Gegenargumentation fusst auf der Perspektive eines Privathaushalts. Über 40 Prozent der aktuellen US-Inflation lassen sich auf die gestiegenen Preise fossiler Energieträger zurückführen. Da erneuerbare Energien mittlerweile kostengünstiger sind als fossile, wird eine Umstellung der Infrastruktur mittelfristig die Energiekosten senken. Auf lange Sicht wird zudem die Staatsverschuldung um USD 400 Milliarden reduziert, was inflationsdämpfend wirkt.
Der Effekt des Programms auf das Klima ist hingegen eindeutig positiv zu beurteilen. Innovationen und der Aufbau grüner Technologien werden in grossem Stil finanziell gefördert, beispielsweise in den Bereichen erneuerbare Energie, Batterietechnologie, Kohlendioxidabscheidung oder Wasserstoff. Die Umstellung auf emissionsarme Gebäude und Verkehrsmittel wird sowohl für Privatpersonen als auch für die öffentliche Hand finanziell unterstützt. Zusätzliche Finanzhilfen gibt es auch für die Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft. Mit dem «Methane Reduction Program» wird der Ausstoss von klimaschädlichem Methan, der gerade bei der Schiefergasförderung sehr hoch ist, gezielt bekämpft.
Rhetorik macht politischen Balanceakt möglich
Um die Inflation nicht weiter anzuheizen, wurden tatsächlich viele Wünsche der Demokraten, die die Ausgaben erhöht hätten, vom ursprünglichen «Build Back Better»-Plan gestrichen. Besonders ins Auge sticht jedoch die dem Programm zugrunde liegende Ambition, konkrete Klimaziele zu erreichen. Politik ist die Kunst des Machbaren. Und geschickte Kommunikation verschiebt die Grenzen des Machbaren – das weiss auch Senator Joe Manchin. Das Gesetz ist kein «grüner Deal», so der Senator, sondern ein «rot-weiss-blauer Deal».