Nachfolger für das BIP gesucht

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) wird immer wieder als aussagekräftige Messgrösse für den Wohlstand eines Landes in Frage gestellt. Die Forschung unter dem Begriff «Beyond GDP» stellt dies auf den Prüfstand. Derzeit gibt es drei unterschiedliche Ansätze. Erfahren Sie mehr im Beitrag von Nachhaltigkeitsökonomin Silke Humbert.

Text: Silke Humbert

Berechnungen an der Wandtafel
«Bis jetzt hat sich kein Ansatz als vielversprechender Anwärter in Position bringen können, um das allgegenwärtige BIP abzulösen. Jedoch gibt es viele alternative Indikatoren», erklärt Silke Humbert. (Bild: Getty Images)

Die Aussagekraft des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beschränkt sich in der Regel darauf, Auskunft über die wirtschaftliche Aktivität eines Landes zu geben. Aussagen über die soziale Wohlfahrt eines Landes lassen sich damit kaum treffen. Immer wieder wird Kritik laut, dass das BIP keine geeignete Messgrösse ist, den Wohlstand eines Landes zu beziffern.


Seit der frühere französische Präsident Nicolas Sarkozy im Jahr 2009 eine Kommission unter Joseph E. Stiglitz, Amartya Sen und Jean-Paul Fitoussi ins Leben gerufen hat, um das BIP als geeignete Zielgrösse für Volkswirtschaten auf den Prüfstand zu stellen, floriert die Forschung unter dem Begriff «Beyond GDP». Strukturell lassen sich drei Ansätze unterscheiden, die auf unterschiedlichen Grundlagen basieren und nachstehend beleuchtet werden.

Ansatz 1: Auf dem BIP aufbauend

Der «Human Development Index (HDI)», der 1990 von der UNO zum ersten Mal berechnet wurde, ergänzt das BIP um die Aspekte Lebenserwartung und Schulbildung. Der Vorteil dieses Indikators liegt in der einfachen Berechnung verfügbarer quantitativer Daten. Allerdings kann der Indikator die eigentliche Kritik am BIP nur begrenzt abfangen. So kommt die Natur im HDI beispielsweise ebenso wenig vor wie im klassischen BIP. Hier setzt das «grüne BIP» an, welches vom BIP diejenigen Umweltkosten abzieht, die durch Wirtschaftswachstum entstanden sind. Das grüne BIP ist daher zumeist geringer als das traditionelle. In China ist es deshalb wieder aus der offiziellen Berichterstattung verschwunden, während es in der restlichen Welt gar nicht erst seinen Weg bis in die offizielle Berichterstattung gefunden hat.

Ansatz 2: Zum BIP komplementär

Der Ansatz der OECD besteht darin, die Gesellschaft an der Diskussion zu beteiligen, wie Wohlfahrt definiert werden soll. In ihrem «Better Life Index» werden für elf Bereiche Daten erhoben, die über die OECD Länder hinweg verglichen werden können. Dabei geht es um klassische Kriterien, die definieren, was ein gutes Leben ausmacht, zum Beispiel Bildung, Gesundheit und Sicherheit. Die Gewichtung der Kriterien kann individuell eingestellt werden.

Die bisher präsentierten Indikatoren erheben unterschiedliche Daten, die miteinander verknüpft werden müssen, um dadurch Aussagen über die Wohlfahrt eines Landes zu erhalten. Ein weiterer Ansatz besteht darin, den Umweg über die komplexe Datenerhebung zu vermeiden und stattdessen die Bürgerinnen und Bürger direkt zu fragen, wie es ihnen geht. Diese Forschung wird als Glücksforschung oder Forschung zu subjektivem Wohlbefinden bezeichnet. Ein Resultat dieser Forschung ist zum Beispiel, dass materieller Wohlstand zwar das subjektive Wohlbefinden erhöht, dieser Zuwachs an Wohlbefinden jedoch abnimmt, je höher der materielle Wohlstand ist.

Ansatz 3: Auf Vermögensbildung fokussiert

Indikatoren wie der «Inclusive Wealth Index» widmen sich der Frage, wie Vermögen auf- oder abgebaut wird. Um das zu beantworten, muss man sich von der Flussgrössenbetrachtung des BIP, das ja nur die wirtschaftliche Aktivität innerhalb eines festgelegten Zeitraums berechnet, lösen und stattdessen auf die langfristig kumulierten Vermögenswerte schauen. Hierbei wird zwischen Humankapital, produziertem Kapital (zum Beispiel Infrastruktur) und Naturkapital unterschieden. Diese Betrachtungsweise hat ihre Berechtigung, da diese drei Vermögenswerte zumeist Voraussetzung dafür sind, dass weiterer Wohlstand überhaupt erst geschaffen werden kann. Ein Resultat dieser Betrachtungsweise zeigt auf, dass in den entwickelten Ländern das Naturkapital in den letzten Jahren abnahm, während produziertes Kapital und Humankapital aufgebaut wurden.

Rennen um den Nachfolger noch nicht entschieden

Bis jetzt hat sich kein Ansatz als vielversprechender Anwärter in Position bringen können, um das allgegenwärtige BIP abzulösen. Aber es gibt mittlerweile viele Indikatoren, die es erlauben, wertvolle zusätzliche Aussagen zu treffen und so die blinden Flecken des klassischen BIP zu reduzieren.

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