Säuglinge als Indikator für Lebensqualität

Die Säuglingssterblichkeit gilt als präziser Indikator für Lebensqualität. In der Schweiz liegt die Quote bei 3.1, was im OECD-Vergleich gut ist, aber nicht an der Spitze. Finnland führt mit 1.6. Interessant ist, dass trotz verbesserter Indikatoren wie BIP und Einkommen die Lebenszufriedenheit in der Schweiz abnimmt.

Text: David Marmet , Chefökonom Schweiz

«Die Lebenszufriedenheit in der Schweiz hat tendenziell abgenommen, obwohl sich Säuglingssterblichkeit, verfügbares Einkommen und BIP pro Kopf verbessert haben.», erklärt David Marmet.

In der Schweiz sind beinahe zwei von fünf Personen mit ihrem jetzigen Leben sehr zufrieden. Die Zufriedenheit steigt mit dem Alter ‒ ab 18 Jahren ‒ sowie mit dem Bildungsniveau und dem Einkommen. Subjektive Lebenszufriedenheit ist eines der Masse für die Lebensqualität einer Gesellschaft. Andere Indikatoren sind zum Beispiel das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf oder das verfügbare Einkommen. Es gibt eine Vielzahl von Indikatoren, die verschiedene Aspekte der Lebensqualität zu erfassen versuchen. Alle decken Teilaspekte ab und haben sowohl Vor als auch Nachteile.

Vaclav Smil schreibt in seinem lesenswerten Buch «Zahlen lügen nicht», dass die Säuglingssterblichkeit eine besonders geeignete Variable für Lebensqualitätsvergleiche ist. Diese misst die Zahl der Neugeborenen pro 1 000 Lebendgeburten, die vor ihrem ersten Geburtstag sterben. Ein funktionierendes Gesundheitswesen sowie eine zeitgemässe pränatale, perinatale und neonatale Diagnostik sind entscheidend, damit Säuglinge ihr erstes Lebensjahr überleben. Eine gesunde Ernährung der Mutter und des Säuglings, eine hygienische Wohnsituation und ausreichende soziale Hilfen für benachteiligte Familien sind weitere wichtige Faktoren. Wie Smil schreibt, hängen einige dieser Voraussetzungen von der Bereitstellung finanzieller Mittel durch den Staat und Privathaushalte sowie von gut bewirtschafteten Infrastrukturen ab ‒ Infrastrukturen, die so bewirtschaftet werden, dass sie genug Erträge für die Instandhaltung und den Gebrauch generieren. All dies zusammen erleichtert den Start in das oft zitierte gute Leben.

Schweiz im OECD-Vergleich: Gute, aber nicht Spitzenwerte

Wie schneidet nun die Schweiz bei diesem Wohlstandsindikator ab? In einem OECD-Ranking mit Daten von 2021 liegt die Schweiz mit einer Quote von 3.1 weit vorne – aber nicht, wie vielleicht viele von uns erwartet hätten, ganz vorne. Finnland führt die Rangliste mit einer Quote von 1.6 an, gefolgt von Japan (1.7) und Schweden (1.8). Zwei Dinge stechen bei der Durchsicht der Rangliste ins Auge. Länder mit der geringsten Säuglingssterblichkeit haben oft eine kleine Bevölkerung (weniger als 10 Millionen, so zum Beispiel Finnland und Slowenien) und/oder eine recht homogene Bevölkerung (z.B. Japan, Island, Südkorea). Diese Länder haben zudem meist eine niedrige Geburtenrate.

Das Gegenbeispiel liefert die USA, mit einem der teuersten Gesundheitssysteme. Sie liegen im Ranking mit einer Quote von 6.0 deutlich unterhalb des OECD-Durchschnitts. Gründe dafür sind die ausgeprägte wirtschaftliche Ungleichheit der USGesellschaft, die hohe Zuwanderung aus oftmals einkommensschwachen Ländern und die Grösse des Landes. Auch in der Schweiz ist die Zuwanderung einer der Gründe, dass unser Land nicht an der absoluten Spitze des Rankings anzutreffen ist. So liegt die Quote bei ausländischen Kindern aktuell bei 4.5, während sie bei Kindern mit Schweizer Staatszugehörigkeit unter 3 liegt.

Lebenszufriedenheit und Lebensqualität

Zu denken gibt, dass die eingangs erwähnte Lebenszufriedenheit in der Schweiz in den letzten Jahren tendenziell abgenommen hat, obwohl sich Säuglingssterblichkeit, verfügbares Einkommen und BIP pro Kopf markant verbessert haben. Lebensqualität ist keine Einbahnstrasse; physisches und psychisches Wohlbefinden sind nicht immer zwingend im Einklang.

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