Schuldenbremse als Erfolgsmodell
Menschen werden sorglos, wenn es gut läuft. So entstand in den 1980er-Jahren die Illusion, der Schweizer Staat könne sich finanziell alles leisten. 2001 folgte mit der Einführung der Schuldenbremse eine konkrete Massnahme, die Schulden in den Griff zu kriegen. Eine Erfolgsgeschichte? Chefökonom David Marmet ordnet ein.
Text: David Marmet
Im September dieses Jahres rief die Politik gleich zweimal zum Feiern auf. Medienwirksam wurde das 175. Jubiläum der Bundesverfassung zelebriert. In kleinerem Rahmen gedachte Bundesbern der Einführung der Schuldenbremse vor 20 Jahren, die fraglos auch eine Erfolgsgeschichte ist. Nach ihrer erstmaligen Anwendung beim Budget 2003 gelang es Bundesrat und Parlament rasch, den Haushalt in ein strukturelles Gleichgewicht zu bringen. Seit 2006 weist der Bundeshaushalt mit Ausnahme des Corona-Jahres 2022 keine strukturellen Defizite mehr auf.
Wie der Vater der Schuldenbremse, Alt-Bundesrat Kaspar Villiger, zu sagen pflegte, werden die Menschen sorglos, wenn es gut läuft. So entstand in den 1980er-Jahren die Illusion, der Staat könne sich finanziell alles leisten. In der Folge häuften sich strukturelle Defizite, die selbst in der Hochkonjunktur nicht verschwanden. Die Verschuldungsquote des Bundes stieg rasant an.
Zwar war schon damals in der Bundesverfassung der Grundsatz verankert, dass Schulden in der Bilanz des Bundes abzutragen sind – nur haperte es an der konkreten Umsetzung. Schliesslich rauften sich die wirtschaftspolitischen Akteure ernsthaft zusammen, um einen griffigeren Mechanismus zur Eindämmung der Verschuldung auszuarbeiten. Der Vorschlag kam 2001 vors Volk und wurde mit überaus deutlicher Zustimmung von 85 Prozent der Stimmberechtigten angenommen. Damit war die Schuldenbremse geboren. Diese sieht vor, dass der Bundeshaushalt über einen Konjunkturzyklus hinweg ausgeglichen ist. In der Hochkonjunktur müssen zwingend Überschüsse erwirtschaftet werden, um Defizite der darauffolgenden Rezession kompensieren zu können.
Die Erfolgsgeschichte
Seit Einführung der Schuldenbremse im Budget 2003 bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie sanken die Bruttoschulden des Bundes von CHF 124 Mrd auf CHF 97 Mrd. Die vor der Abstimmung 2001 ins Feld geführten Einwände, wie das Totsparen des Sozialstaates, die Vernachlässigung von Investitionen oder die Verschärfung von Rezessionen, haben sich bis heute nicht manifestiert. Aufgrund des konsequenten Schuldenabbaus war die Schweiz sogar in der Lage, die Lasten der Coronapandemie ohne Verschlechterung ihres Finanzratings zu stemmen. Und so steht der Bundeshaushalt heute im internationalen Vergleich hervorragend da. In den vergangenen Jahrzehnten haben mehrere Länder in Anlehnung an das Schweizer Erfolgsmodell eine regelbasierte Finanzpolitik eingeführt.
Schuldenbremse vorübergehend ausgesetzt
Derweil sieht das Schweizer Gesetz vor, dass im Falle aussergewöhnlicher, vom Bund nicht steuerbarer Entwicklungen die Schuldenbremse vorübergehend ausgesetzt werden darf. Von dieser Möglichkeit wurde in der Corona-Krise Gebrauch gemacht. Die Verlockungen sind gross, dies auch in Zukunft des Öfteren zu wiederholen, denn die gesellschaftlichen Herausforderungen sind mannigfaltig und der Finanzierungsbedarf ist riesig.
Generationenvertrag gilt auch für Staatsschulden
Primäre Ursachen für höhere Ausgaben sind die älter werdende Bevölkerung und die damit verbundene Finanzierung der Altersvorsorge und des Pflegebereichs, aber auch für den wirtschaftlichen Umbau aufgrund des Klimawandels müssen immer mehr Mittel aufgewendet werden. Die politischen Akteure werden zweifelsohne auch in nächster Zeit einfallsreich argumentieren, wieso gerade in ihrem Interessensbereich eine aussergewöhnliche oder eben vom Bund nicht steuerbare Entwicklung vorliege. Indes sind wir es den kommenden Generationen schuldig, keine strukturellen Defizite anzuhäufen. Der vielzitierte Generationenvertrag gilt auch in Bezug auf die Staatsschulden.