Transithandel: Die Schweiz als Drehscheibe
Erfahren Sie im Beitrag von David Marmet, Chefökonom Schweiz, wie unser Land zum Hotspot im Transithandel geworden ist und wie hoch der Wertschöpfungsbeitrag am heimischen Bruttoinlandsprodukt tatsächlich ist.
Text: David Marmet
Angesichts des Krieges in der Ukraine kam es jüngst vermehrt zu Forderungen, den gesamten Rohstoffhandel mit Russland einzustellen. Bei diesem Thema steht auch die Schweiz immer wieder unter Beobachtung, ist unser Land doch ein wichtiger Spieler im globalen Rohstoffhandel. Wie wichtig die Schweiz tatsächlich ist, darüber scheiden sich die Geister.
Detaillierte Statistiken zum Schweizer Transithandel sind bis heute Mangelware. Unter Transithandel versteht man grob all jene Geschäfte, bei denen Rohstoffe gekauft und verkauft werden, ohne dass die Güter die Schweizer Grenze jemals überschreiten. Der Bundesrat hatte 2018 in einem Bericht festgehalten, dass regelmässig offizielle Statistiken zur Rohstoffbranche veröffentlicht werden sollen. 2021 hat das Bundesamt für Statistik zum ersten Mal eine offizielle Schätzung über die Anzahl der Beschäftigten im Rohstoffhandel publiziert.
Die Schweiz zählt rund 900 Rohstoffhändler, die gut 9'800 Personen beschäftigen. Dies entspricht gerade mal knapp 0,2 Prozent aller Beschäftigten in der Schweiz. Ganz anders sieht es dagegen beim Wertschöpfungsbeitrag des Transithandels aus. Gemäss volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung beträgt dieser rund 6 Prozent des Schweizer Bruttoinlandsprodukts (BIP). Wieviel davon auf Geschäfte mit Russland entfallen, darüber schweigt die offizielle Statistik. Ausser Zweifel steht indes, dass die Schweiz ein bedeutender Handelsplatz für russische Rohstoffe ist.
Politische Stabilität der Schweiz gefragt
Wie kommt es, dass ein kleines, notabene rohstoffarmes Binnenland wie die Schweiz zu einem Hotspot für den Transithandel geworden ist? Wie die Schweizer Historikerin Lea Haller in ihrem 2019 publizierten Buch «Transithandel» schreibt, waren es die vorteilhaften politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Bereits im 19. Jahrhundert reisten kapitalkräftige Kaufleute nach Indien, Afrika und Südostasien und sondierten Exportmöglichkeiten. Die offizielle Schweiz unterstützte sie dabei mit Freundschafts- und Handelsverträgen, die sie mit Ländern in diesen Regionen abschloss. Dadurch hatten bereits Ende des 19. Jahrhunderts mehrere wichtige Rohstoffhändler ihren Hauptsitz in der Schweiz. Sie nutzten die politische Stabilität und profitierten gleichzeitig von den kolonialen Infrastrukturen der europäischen Mächte.
Starker Bankensektor bot ideales Umfeld
Zudem boten Schweizer Banken Rohstoffhändlern ein ideales Umfeld, hatten sie doch neben Problemen wie staatlichen Kapitalverkehrskontrollen, Währungsabwertungen und Preisschwankungen vor allem auch einen exorbitant hohen Kapitalbedarf. Nach dem Ölpreisschock in den 1970er-Jahren erfuhr der Rohstoffhandel eine neue Dynamik. Nicht mehr langfristige Lieferverträge waren gefragt, sondern der Handel «on the spot», also Kontrakte mit einer Erfüllungsfrist von wenigen Tagen waren der letzte Schrei. Damit erfuhr das Akkreditivgeschäft eine Wiederbelebung. Die Bank lieh dem Händler das Geld nicht mehr aufgrund dessen Bilanz oder Kreditwürdigkeit aus, sondern gegen den Wert der Fracht. Das Zusammenspiel von politischer Stabilität, einem starken Bankensektor und internationaler Verflechtung machte die Schweiz also zur globalen Drehscheibe des Transithandels.
Wachsende Konkurrenz im Transithandel
Droht diese Drehscheibenfunktion mit dem Ukraine-Krieg zu erodieren? Nein. Ein Embargo des Westens von russischem Erdöl würde aufgrund des Wertschöpfungsbeitrages aus dem Transithandel zwar eine Rezession in der Schweiz auslösen, angesichts der wenigen betroffenen Arbeitsstellen würde die Rezession aus gesamtwirtschaftlicher Sicht aber nur schwach spürbar sein. Stärker ins Gewicht fällt die bereits seit Jahren zunehmende internationale Konkurrenz. Insbesondere Singapur bietet ebenfalls ein gedeihliches Umfeld für Rohstoffhändler. Im erwähnten Bericht des Bundesrates von 2018 bekennt sich dieser dezidiert zum Rohstoffhandel, da er nicht zuletzt die Wettbewerbsfähigkeit und Integrität des Wirtschaftsstandorts Schweiz stärke. Der politische Wille ist also da, dass die Schweiz weiterhin eine Drehscheibe für den Transithandel bleiben wird.