Sind nachhaltige Städte die Zukunft?
Städte übten schon immer eine grosse Anziehungskraft aus. Seit einigen Jahren leben mehr Menschen in Städten als auf dem Land. Welche Herausforderungen bringt das für die Infrastruktur in den Städten mit sich und wie kann Abhilfe geschaffen werden? Erfahren Sie die Einschätzung von Nachhaltigkeitsökonomin Silke Humbert.
Text: Silke Humbert
Petula Clark hat es in den 1960er-Jahren besungen: «Downtown, where all the lights are bright» – das zauberhafte Versprechen, das speziell in den Grossstädten in der Luft zu liegen scheint. Geht es einem schlecht, muss man nur den Weg nach Downtown finden und schon sind die Sorgen vergessen.
60 Jahre später hält der Zuzug in die Städte ungebremst an. Während Anfang der 1990er-Jahre noch knapp die Hälfte der Weltbevölkerung in der Landwirtschaft arbeitete, sind es mittlerweile nur noch etwa ein Viertel. Die meisten Zuzügerinnen und Zuzüger kommen daher nicht in die Städte, weil sie eine zu später Stunde noch offene Bar suchen, sondern weil sie auf der Suche sind nach Arbeitsplätzen und Ausbildungsmöglichkeiten.
Noch Anfang des 19. Jahrhunderts lebten global weniger als 10 Prozent der Bevölkerung in Städten. Seitdem erleben Städte weltweit hohe Zuwachsraten. Seit 2007 leben mehr Personen in Städten als auf dem Land, Tendenz steigend. Vielleicht entsteht jetzt vor Ihrem inneren Auge das Bild der ineinander übergehenden Gemeinden am Zürichsee und Sie folgern, dass mit dem Bevölkerungswachstum zwangsläufig alle zu Städtern werden? Dem ist nicht so. Global gesehen, zählt nur etwa 1 Prozent der Landoberfläche als von Menschen bebaute Region.
Stadt schlägt Land
Hinter diesem Trend verstecken sich zwei auf den ersten Blick widersprüchliche Entwicklungen. Zum einen leben mehr Menschen in grossen Städten, je einkommensstärker ein Land ist. In den sehr einkommensstarken westlichen Ländern sind es 80 Prozent der Bevölkerung und in Ländern mit geringem Einkommen nur knapp 35 Prozent, die in Städten leben. Zum anderen sind die meisten Megastädte mit über zehn Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern gerade nicht im einkommensstarken Westen zu finden. Von den zehn grössten Städten liegen acht in einkommensschwachen Ländern, wie zum Beispiel Delhi (33 Mio. Einwohner) in Indien oder Dhaka (23 Mio. Einwohner) in Bangladesch. Die UNO prognostiziert, dass der Trend bestehen bleibt und 2050 etwa zwei Drittel der Weltbevölkerung in städtischen Regionen leben wird.
Dichtestress auf einem anderen Niveau
In einer schnell wachsenden Stadt befindet sich der Ausbau der Infrastruktur quasi konstant im Wettlauf mit dem Bevölkerungswachstum. Mit einer hohen Bevölkerungsdichte potenzieren sich die Herausforderungen umso mehr: Wenn viele Menschen auf engem Raum zusammenleben, entsteht eine hohe zeitliche Synchronisation bei der Nachfrage. Sei es bei der Energie, wenn alle gleichzeitig früh morgens das Licht anschalten, oder bei der Mobilität, wenn sehr viele Menschen gleichzeitig morgens um 8:00 Uhr zur Arbeit oder in der Schule fahren. Der zunehmende Dichtestress, den wir in der westlichen Welt erleben, verblasst dabei im Vergleich zu demjenigen, den die Bevölkerung in Dhaka oder Mumbai erlebt (vgl. Grafik unten).
Bevölkerungsdichte in grossen Städten
Ein intelligente Lastensteuerung ist hier gefordert. Luftverschmutzung durch Feinstaub ist eine weitere Herausforderung grosser Städte. Die Ansiedelung von Industrie schafft zwar neue Arbeitsplätze, sorgt aber bei Einsatz fossiler Energien genauso wie bei Fahrzeugen mit Verbrennungsmotor dafür, dass die Luftqualität in Grossstädten oft sehr schlecht ist. Und das mit Folgen, denn schlechte Luftqualität ist der drittgrösste Risikofaktor für viele der am meisten verbreiteten Todesursachen.
Unterschiedliche Städte – verschiedene Ansätze
Es gibt verschiedene Ansätze, um den Verkehr und die damit verbunden negativen Folgen wie etwa Luftverschmutzung zu reduzieren. Ein raumplanerischer Ansatz besteht darin, Wege kurz zu halten, so dass möglichst auf Verkehrsmittel verzichtet werden kann. Paris strebt an, eine 15-Minuten Stadt zu werden, in der alle relevanten Wege wie etwa für Schule, Einkäufe, Arbeit, Arzt und Freizeit maximal 15 Minuten benötigen. Helsinki hingegen setzt auf eine digitale Lösung mit einer App, die jegliche Verkehrsmittel integriert, um den Gebrauch privater Fahrzeuge weiter einzudämmen. Mit der App werden Fahrten geplant, wobei sowohl private Transportmittel als auch öffentliche Verkehrsmittel gebucht werden können. Norwegen hat sich für einen anderen Weg entschieden: Das Land verbietet den Verkauf von Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2025.
Dezentral statt zentral
Auch die Energiewende kann Abhilfe für geplagte Städte schaffen. Zum einen durch den Umstieg von fossilen Brennstoffen auf erneuerbare Energien. Doch die Energiewende erschöpft sich nicht darin, lediglich Kohlekraftwerke durch Solarkraftwerke auszutauschen. Sie stellt bestehende Parameter des Energiesystems wie etwa zentral, gross und in eine Richtung fliessend auf den Kopf. Zukünftige Energiesysteme werden dezentral, kleinräumig und in zwei Richtungen nutzbar sein. War die Rolle des Endverbrauchers lange auf die des Abnehmers beschränkt, so ist er heute durch kleine, dezentrale erneuerbare Erzeugungsanlagen nicht mehr nur Konsument, sondern auch Produzent sein.
Dank intelligenter Regelsysteme kann die Lastensteuerung vorgenommen und die Infrastruktur besser ausgelastet werden. Jedes elektrisch betriebene Fahrzeug stellt dann prinzipiell eine Batterie auf Rädern dar, welches gespeicherte Energie nach Bedarf auch wieder ins Netz einspeisen kann. Erzeugungsschwankungen bei erneuerbaren Energien können so ausgeglichen werden und das Energiesystem wird resilienter. Damit die Neonlichter der Stadt weiter leuchten und das Versprechen der Grossstadt eingelöst werden kann.