Vorhersagen zum Weltuntergang
Der Bericht des «Club of Rome» aus den 1970er-Jahren warnte vor den Grenzen des Wachstums, doch unser Lebensstandard ist gestiegen und die Armut hat abgenommen. Heute stehen wir jedoch vor neuen Herausforderungen: Sechs von neun planetaren Grenzen sind überschritten. Können wir die erste Generation sein, die nachhaltig lebt?
Text: Silke Humbert
Können Sie sich noch an die Grenzen des Wachstums des «Club of Rome» erinnern? (Nein, das ist keine Anspielung auf Ihr Alter.) Dieser 1968 gegründete Zusammenschluss von Experten verschiedener Disziplinen aus mehr als 30 Ländern legte Anfang der 1970er-Jahre einen ersten Bericht vor, der – nomen est omen – vorhersagte, dass wir mit den bisherigen Wachstumsraten unseren Lebensstandard nicht halten werden können. 50 Jahre später ist unser Lebensstandard weiter angestiegen, der Anteil der Menschen in Armut hat sich mehr als halbiert, und auch die Rohstoffpreise sind nicht durch die Decke gegangen. Waren die Grenzen des Wachstums also nur Schwarzmalerei?
Die Apokalypse ist nicht eingetreten
Die Simulationen aus den 1970er-Jahren gründeten auf Annahmen zur Entwicklung der Weltbevölkerung, Industrialisierung, Umweltverschmutzung, Nahrungsmittelproduktion und der Ausbeutung natürlicher Rohstoffe. Sie wurden für ihre Zeit sehr fortschrittlich berechnet. Dass die befürchtete Apokalypse nicht eingetreten ist, hat im Wesentlichen zwei Gründe:
- Der Bericht hatte damals hohe Wellen geschlagen, wurde in Dutzende Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft. Vermutlich hat er, gerade weil er so bekannt wurde, auch den Verlauf der Geschichte geändert. Dass China eine Ein-Kind- Politik ins Leben gerufen hat, wird zum Beispiel darauf zurückgeführt.
- In Simulationen fliessen viele Annahmen ein, wobei gegenseitige Wechselwirkungen und der menschliche Innovationsgeist schwierig abzuschätzen sind. Manche Ökonomen bemängeln, dass der Preismechanismus bei derlei Prognosen zu wenig Beachtung findet. Steigt zum Beispiel der Preis eines Rohstoffs, verlagert sich die Nachfrage entweder auf ein Substitutionsgut, oder die Effizienz des eingesetzten Rohstoffs erhöht sich – Innovationen sei Dank.
Die planetaren Grenzen aus heutiger Sicht
Der rein naturwissenschaftliche Ansatz der planetaren Grenzen hingegen macht keine Annahmen über zukünftige Innovationen. 2009 haben Johan Rockström, Direktor des PotsdamInstituts für Klimafolgenforschung, und eine Gruppe internationaler Wissenschaftler neun Prozesse definiert, welche die Stabilität und Resilienz des Erdsystems regulieren und damit menschliches Leben auf dem Planet Erde ermöglichen (siehe Grafik). Der bekannteste Prozess ist sicher der Klimawandel. Aber auch die Integrität der Biosphäre rückt immer mehr ins Bewusstsein, wie auch die Agenda der Abstimmungen in der Schweiz zeigt. Die Rate des Artensterbens ist heutzutage zum Beispiel bis zu 100-mal höher als im Durchschnitt der vergangenen 10 Millionen Jahre. Auch Prozesse, von denen wenig in den Medien zu lesen ist, werden von den Wissenschaftlern aufgeführt. Dazu gehören zum Beispiel neuartige Substanzen, die Landnutzung und Süsswasser, der Stoffkreislauf, die Ozeanversauerung, die Luftverschmutzung und die Ozonschicht. Für jeden dieser Prozesse haben die Wissenschaftler Grenzwerte definiert, deren Einhaltung für menschliches Leben auf der Erde wichtig ist. Das Fazit? Sechs von neun Grenzen sind aktuell überschritten.
Sind wir nun doch dem Untergang geweiht?
Die naturwissenschaftliche Betrachtungsweise des Status quo zeichnet also kein gutes Bild unseres Planeten. Im Gegenteil: Während die Grenzen des Wachstums den Niedergang zumindest erst in der Zukunft verorteten, zeigen uns die planetaren Grenzen an, dass sechs von neun Grenzen bereits heute überschritten sind. Das muss trotzdem nicht bedeuten, dass wir zwangsläufig dem Untergang geweiht sind. Wir sollten uns nicht als letzte Generation sehen, erläutert auch die schottische Datenwissenschaftlerin Hannah Ritchie in ihrem Buch «Not the end of the world». In Ländern wie etwa Deutschland, der Schweiz oder auch den USA ist zum Beispiel das Wirtschaftswachstum bei einer Pro-Kopf-Betrachtung durch höhere Energieeffizienz und den Einsatz erneuerbarer Energien schon heute von den CO2-Emissionen entkoppelt. Nach Ritchie können wir also auch die erste Generation sein – die erste Generation, die nachhaltig lebt.