Künstliche Intelligenz: Hype oder Superzyklus?

Die massiven Kurs­steigerungen von Nvidia & Co. reflektieren die hohen Erwartungen an die Künstliche Intelligenz. Sie verspricht ungeahnte Produktivitäts­gewinne. Doch ist das nur ein vorübergehender Hype oder bereits der Beginn eines Superzyklus?

Autor: Stefan Fröhlich, Portfolio Manager Systematic Equities

Heutige Supercomputer sind oft das Ergebnis von Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft (Quelle: istockphoto.com).

Als Meilenstein für die Künstlichen Intelligenz (KI) galt das Deep-Learning-Modell «AlexNet», erfunden unter anderem vom Gründervater der neuronalen Netze, Geoffrey Hinton. Das Modell schlug alle anderen Ansätze in der Bildklassifikation. An diesem praktischen Beispiel wurde die Leitungsfähigkeit neuronaler Netze offen­sichtlich. Seither folgt Innovation auf Innovation – und spätestens mit der Veröffentlichung der Beta-Version von ChatGPT Ende 2022 ist KI in aller Munde.
Zu den vorläufigen Gewinnern des KI-Booms zählt exemplarisch das Technologie-Unternehmen Nvidia, das im aktuellen Umfeld über ein perfektes Geschäftsmodell verfügt. Unternehmen wie Google, Microsoft, Meta oder Tesla investieren aufgrund des enormen Wachstumspotenzials Milliarden in KI und in die dafür notwendige Infrastruktur, insbesondere in Grafikprozessoren (Graphics Processing Unit, GPU). Unabhängig vom Erfolg dieser Unternehmen profitiert Nvidia und kann als unange­fochtener Marktführer die sehr hohe Nachfrage nach GPUs kaum decken. Der Markt spekuliert darauf, dass bei Nvidia auch in Zukunft die Kasse klingeln wird. Darauf deutet das hohe geschätzte Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 48 hin.

KI lässt den Technologiesektor generell glänzen. Der Schein ist sogar noch heller als in den späten 1990er- bis Nullerjahren, sprich zu Zeiten des Dotcom-Hypes. In den vergangenen zehn Jahren ist der Anteil der zehn grössten Unternehmen am Weltaktien-Index MSCI World von 9,4% auf 23,7% gestiegen. Das sind deutlich mehr als die rund 17%, die während der IT-Blase im Jahr 2000 erreicht wurden. Der IT-Sektor macht heuer ein Viertel des Weltindex aus, was einer Verdoppelung seit 2015 entspricht.

Unter diesen Prämissen ist man versucht zu sagen: Um KI ist ein Hype entbrannt, der an die Dotcom-Blase erinnert. Doch Geschichte wiederholt sich bekanntlich nicht, sie reimt sich höchstens. Zudem gibt es durchaus plausible Gründe, KI als Startpunkt eines Superzyklus zu setzen:

  • KI ist eine Querschnittstechnologie: Kaum eine Branche bleibt davon unberührt. Überall wird KI eingesetzt, um einzelne Prozesse effektiver und effizienter zu gestalten. Dabei kann die Technologie auch die gesamte Wertschöpfungskette optimieren. Unter diesen Prämissen erhoffen sich Markteilnehmer stark steigende Erträge.
  • KI kann Fachkräftemangel reduzieren: Vorausgesetzt, KI erfüllt die Erwartungen an mehr Effizienz und Effektivität innerhalb und zwischen Organisationen, können bestehende Ressourcen mehr leisten.
  • Rasante Lerneffekte dank Investitionen: Seit dem oben erwähnten Durchbruch der KI im Jahr 2012 hat die Komplexität, gemessen an der Anzahl Parameter, von Large Language Models (LLMs) exponentiell zugenommen. Dadurch hat sich die Vorhersagekraft der Algorithmen erheblich verbessert. Die nachfolgende Grafik zeigt die Entwicklung der Anzahl der Parameter von Large Language Models (LLMs) seit den 1950er Jahren. Bis vor etwa zehn Jahren wurde die Forschung im Bereich der Künstlichen Intelligenz hauptsächlich von akademischen Instituten (hellblaue Punkte: Academia) wie der Stanford University vorangetrieben. Seit 2012 haben jedoch die grossen IT-Unternehmen (grüne Punkte: Industry) diese Rolle übernommen. Dank verbesserter Rechenleistung, sinkender Hardwarekosten, neuer Algorithmen des maschinellen Lernens und riesiger Datenmengen können sie immer grössere KI-Modelle trainieren. Heutige Supercomputer sind oft das Ergebnis von Kooperationen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft (violette Punkte: Collaboration), denn ihre Entwicklung erfordert Investitionen in Milliardenhöhe. ChatGPT-4 verfügt über rund 1,8 Billionen Parameter. Damit ist ChatGPT-4 zwar immer noch rund 100-mal kleiner als das menschliche Gehirn. Angesichts des rasanten Innovationstempos dürfte auch diese Marke in naher Zukunft geknackt werden.

 

Quellen: Sevilla, Villalobos, Ceron, et al. (2022). Parameter, Compute, and Data Trends in Machine Learning; Zürcher Kantonalbank. Anmerkung: Die Leistung eines Modells kann anhand der Anzahl der Parameter beurteilt werden.
  • Innovation und technologische Durchbrüche: Eine der vielversprechendsten Entwicklungen, die die Zukunft der künstlichen Intelligenz prägen könnte, ist die Integration von Quantencomputern. Nach dem Moore's Law verdoppelt sich die Rechenleistung klassischer Computer alle zwei Jahre, bei gleichbleibenden Kosten. Quantencomputer, an denen unter anderem IBM und Google forschen, haben das Potenzial, die Rechenleistung in bisher unerreichte Dimensionen zu katapultieren. Rechenoperationen, für die heutige Supercomputer Millionen von Jahren benötigen würden, könnten mit Quantencomputern in Minuten oder Stunden gelöst werden. Google schätzt, dass massentaugliche Quantencomputer bereits Ende dieses Jahrzehnts verfügbar sein werden. Dies würde die Entwicklung wesentlich grösserer und damit leistungsfähigerer Textgeneratoren (GPTs) ermöglichen und könnte den Weg zur Superintelligenz ebnen, bei der die KI die des Menschen übertrifft.

Fazit

Einige hoch bewertete KI-Unternehmen wie Nvidia könnten ihren Zenit erreicht haben. Ihre Erfolgsgeschichte wird sich aufgrund der zunehmenden Konkurrenz nicht ewig fortsetzen. Die zugrundeliegenden technologischen Fortschritte und die bereits sichtbaren praktischen Anwendungen von KI deuten jedoch darauf hin, dass wir es mit weit mehr als einem vorübergehenden Hype zu tun haben.

Die Frage ist nicht mehr, ob KI unsere Zukunft verändern wird – sondern wie wir diese Veränderungen gestalten und auf die neuen Herausforderungen reagieren.

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