«Im Juni geriet bei einigen Transaktionen Sand ins Getriebe»
Die Marktanalyse sieht nach der Zinswende ein deutlich abgeflachtes Preiswachstum im Immobilienmarkt. Ist das für die Akteure auf dem Markt schon wahrnehmbar? Wir haben Thomas Büscher, Leiter Immobilienverkauf, und Wischiro Keo, der Immobilientransaktionen für die Swisscanto-Anlagevehikel im Immobiliensektor begleitet, gefragt, wie sie die Veränderungen auf dem Markt wahrnehmen.
Interview: Othmar Köchle, Bilder: Nik Hunger
Herr Büscher, Sie sind als Leiter Immobilienverkauf nahe am Markt und verkaufen laufend Immobilien. Hat die Zinswende im Käuferverhalten Spuren hinterlassen?
Thomas Büscher: Ich muss zuerst ganz kurz beschreiben, auf welchem Marktsegment wir tätig sind. Wir haben es mit Bestandesliegenschaften zu tun, also Stockwerkeigentum, Einfamilienhäuser und Bauland, die schon länger bestehen, dazu in kleinerem Ausmass Mehrfamilienhäuser. Im Neubausegment haben wir in unserem Team keine Erfahrungen. Nun zur Frage: Anfang Jahr war am Markt noch keine Veränderung zu den letzten Jahren spürbar. Konkret: Wenn wir ein Einfamilienhaus im Wert von zirka 1,5 Millionen Franken auf den Markt brachten, verschickten wir ungefähr 75 Dokumentationen und führten vielleicht 15 Besichtigungen durch, die dann in 6 Angebote mündeten. Dieses Nachfrageverhalten hat sich stark verändert. Zwar verschicken wir immer noch zirka 50 Dokumentationen, schon die Zahl der Besichtigungen hat sich aber etwa halbiert und schliesslich liegen dann noch 2 oder 3 Angebote auf dem Tisch. Manchmal auch nur ein Kaufangebot, sodass wir gar kein zweistufiges Bieterverfahren mehr durchführen und direkt den Abschluss suchen.
Sie setzen bei der Ausschreibung einen Richtpreis, der auf einer Schätzung der Bank basiert. Geraten diese Richtpreise jetzt in Bewegung?
T. B.: Wir bewerten die Immobilie und stehen als Bank auch bezüglich Finanzierung hinter diesem Wert. Die Preise brechen zwar nicht ein, mit Preisanstiegen, wie wir sie noch Anfang Jahr sahen, ist aber in naher Zukunft bei den aktuellen Hypothekarzinsen nicht zu rechnen. Wir konstatieren auch, dass wir vermehrt zweite Marktauftritte durchführen müssen. Das heisst, wir erhalten beim ersten Marktauftritt keine Kaufangebote. Dann wird häufig der Richtpreis gesenkt und erneut ausgeschrieben.
Ab wann sahen Sie erste Anzeichen für diese Trendwende?
T. B.: Das Käuferverhalten hat sich im Frühling verändert. Mit den weiteren Zinsanstiegen über den Sommer bis heute wurde es noch deutlich spürbarer. So werden in unseren Teams weniger Verkaufsdokus versandt, weniger Besichtigungstermine vereinbart. Die Auswertungen werden zwar erst Ende Jahr vorliegen, aber die tägliche Wahrnehmung lässt keine Zweifel offen.
Wir stellten fest, dass sich das Käuferverhalten im Frühling veränderte.
Thomas Büscher, Leiter Immobilien-Verkauf, studierte an der ETH Zürich Architektur und ist ausgebildeter Immobilien-Bewerter und -Treuhänder. Seit 2012 leitet er den Immobilien-Verkauf bei der Zürcher Kantonalbank und zeichnet mit seinem Team verantwortlich für den Verkauf von jährlich rund 150–200 Bestandesliegenschaften, mehrheitlich im Kanton Zürich.
Wie sehen die Vorstellungen auf der Verkäuferseite aus? Sehen Sie bereits Anzeichen eines verstärkten Trends, aus Immobilien auszusteigen im Privatsegment?
T. B.: Die Angebotsseite wächst im Bereich der Bestandesliegenschaften. Unsere Kundenbetreuer vermitteln uns mehr Verkaufsobjekte, und wir sehen auch, dass auf dem Markt mehr Objekte zum Kauf ausgeschrieben sind. Auch die Dauer der Ausschreibung steigt tendenziell an. Früher mussten wir im Internet publizierte Liegenschaften vereinzelt schon nach zwei Tagen wieder löschen, weil die Besichtigungsliste voll war. Das passiert jetzt nicht mehr.
Inwiefern ist die Situation bei institutionellen Anlegern eine andere, Herr Keo? Sind diese noch bereit, in Renditeobjekte zu investieren?
Wischiro Keo: Es ist interessant, wie schnell die Märkte im Eigenheimmarkt reagieren. Bei uns im Immobilientransaktionsmarkt der institutionellen Anleger werden die Objekte ab circa 10 Millionen Franken gehandelt. Aus unserer Sicht war die Nachfrage im ersten Halbjahr bis etwa im Mai noch ungebrochen. Im Juni, als die risikolosen zehnjährigen Bundesanleihen auf bis rund 1,4 Prozent angestiegen sind, geriet bei einigen Transaktionen jedoch Sand ins Getriebe. Wir vermuten, dass die Entscheidungsgremien bei den grossen Anlegern dann teilweise intervenierten und die Strategien ab Juni neu evaluierten. Die Nachfrage nach Anlagemöglichkeiten ist aber nach wie vor gross. Im ersten Halbjahr sahen wir bei den Fonds noch kräftige Kapitalerhöhungen, und ein weiterhin hoher Anlagebedarf verlangt nach weiteren Investitionen. Im bisherigen zweiten Halbjahr sind die Käufer bei der Preisfindung aber vorsichtiger geworden.
Reagieren zum Beispiel Pensionskassen auf die neue Zinssituation? Werden Assets umgeschichtet? Und wo stehen Immobilien bei diesen Umschichtungen?
W. K.: In der Vergangenheit haben sich viele Vorsorgeeinrichtungen von den klassischen risikolosen Anlagen wie Staatsanleihen eher abgewendet und dafür die Immobilienquote erhöht, da Immobilien vergleichsweise interessante Renditen boten und dabei Stabilität vorweisen konnten. Durch die Zinsschritte könnten nun andere Anlageklassen im Vergleich zu Immobilien wieder an Attraktivität gewinnen.
Der Markt bietet jetzt zwar vermehrt Chancen auf gute Objekte, allerdings sind auch mehr Risiken und Unsicherheit im Markt.»
Wischiro Keo, Asset Management Immobilien, war von 2015 bis im Sommer 2022 für den Immobiliendienstleister JLL im Transaktionsbereich für institutionelle Immobilienanlagen tätig. Seither arbeitet er bei der Zürcher Kantonalbank im Asset Management Immobilien, wo er für Transaktionen von grossvolumigen Immobilienanlagen für die Swisscanto Anlagestiftung, die Swisscanto Immobilienfonds sowie für die Pensionskasse der ZKB verantwortlich ist.
Sie kaufen und verkaufen ja Renditeliegenschaften für vier Immobilien-Anlagevehikel der Swisscanto und haben ein Mandat der Pensionskasse der Zürcher Kantonalbank. Ist es in der Käuferrolle einfacher geworden?
W. K.: Bei einzelnen Investitionsopportunitäten kommen wir spürbar leichter in die zweite Bieterrunde, sogar wenn wir ein Angebot abgeben, das aus unserer Sicht im ersten Halbjahr noch eher nicht gereicht hätte. Wir haben immer noch Wachstumsziele, gerade für die Anlagestiftung, die thesaurierend investiert. Der Markt bietet jetzt zwar vermehrt Chancen auf gute Objekte, allerdings sind auch mehr Risiken und Unsicherheit im Markt, die wir in der Preisfindung entsprechend berücksichtigen.
Wie sehen Sie die Entwicklung bei der Anzahl der Angebote? Merken Sie hier Veränderungen ähnlich, wie sie Thomas Büscher in seinem Marktsegment sieht?
W. K.: Das ist so. Wir haben seit dem Sommer spürbar mehr Verkaufsdossiers von Anlageimmobilien erhalten, gerade auch an peripheren Lagen. Das mahnt uns zur Vorsicht. Entsprechend selektiv gehen wir vor, wenn wir Investitionsopportunitäten für den Ankauf prüfen.
T.B.:Finanzieren Sie sich auch über Fremdkapital oder ausschliesslich durch Eigenkapital?
W. K.: Grundsätzlich investieren wir hauptsächlich Eigenkapital, das ist auch regulatorisch festgelegt. So gesehen ist der institutionelle Immobilienanlagemarkt weniger von den Fremdfinanzierungskonditionen abhängig. Wir optimieren aber die Finanzierung gegebenenfalls auch mit Fremdkapital. Wir versuchen dabei, die hohe Zinsvolatilität im Finanzierungsumfeld zu unseren Gunsten zu nutzen. Unsere Experten beobachten hierzu den Markt täglich.
T. B.: Im Gegensatz zum institutionellen Anleger wird der private Mehrfamilienhauskäufer, der mit einem hohem Fremdkapitalanteil kauft, nicht mehr bereit sein, die aktuellen Preisvorstellungen zu bezahlen.
Wie schätzen Sie die langfristigen Folgen der Zinswende ein?
T. B.: Natürlich haben steigende Zinsen einen grossen Einfluss auf den Immobilienmarkt, und es könnte längerfristig Folgen auf der Nachfrageseite geben. Die Schweiz ist jedoch attraktiv und die Einwanderung ungebrochen. Ein Eigenheim zu besitzen, ist nach wie vor ein Wunsch vieler Schweizer. Es wird deshalb aus meiner Sicht längerfristig immer eine Nachfrage geben.
W. K.: Da stimme ich zu. Zudem darf man nicht vergessen, dass der Boden ein beschränktes Gut ist und langfristig an Wert gewinnt. Boden zu besitzen, ist allein aus diesem Grund schon attraktiv.