Votum für Verdichtung
Angesichts des derzeitigen Bevölkerungszuwachses und des zunehmend knappen Bodens sollte der Wohnraum für künftiges Wachstum möglichst flächeneffizient entstehen. Wir zeigen, wo und wie das geschehen kann.
Text: Jörn Schellenberg, Analytics Immobilien
Die Schweiz wächst. Allein im Kanton Zürich haben sich letztes Jahr mehr als 20’000 zusätzliche Einwohner mit einem Bedarf an 10’000 zusätzlichen Wohnungen niedergelassen. Und das Bevölkerungswachstum dürfte anhalten, denn der Arbeitskräftebedarf ist angesichts der bevorstehenden Pensionierungswelle ungebrochen. Ein rekordhohes Wachstum braucht eine rekordhohe Bautätigkeit. Davon sind wir derzeit jedoch weit entfernt, und der verfügbare Boden wird knapper. Ein schonender Umgang damit ist daher unabdingbar. Es gibt derzeit viel Kritik an der Raumplanung, weil die Bautätigkeit unter der Vorgabe einer Siedlungsverdichtung nach innen der Nachfrage nicht standhält. Erste Stimmen wollen wieder mehr an den Siedlungsrändern einzonen. Doch unsere Analyse zeigt: Die Flächeneffizienz der Städte ist bestechend gut. Daher sollten wir alles daransetzen, dass die Verdichtung in den Städten gelingt.
Zusammenrücken vs. Zersiedelung
Grundlegend für einen haushälterischen Umgang mit dem Boden ist das Bauen in die Höhe. Nur so lässt sich auf geringster durch Wohngebäude versiegelter Fläche, im Folgenden als Gebäudefläche bezeichnet, die grösste Anzahl Bewohner unterbringen. Dies funktioniert umso besser, wenn ausserdem jeder Einzelne mit möglichst wenig Wohnfläche auskommt. Beides geschieht vor allem in den Städten: Die Bau- und Zonenordnung erlaubt mehr Stockwerke als in den kleinen Gemeinden, und die höheren Wohnkosten lassen die Städter zusammenrücken. Musterbeispiel ist die Stadt Zürich, wo jeder Einwohner lediglich 15m2 Gebäudefläche und 42m2 Wohnfläche beansprucht (s. Abbildung unten). Zu den flächeneffizientesten Gemeinden im Kanton Zürich zählen ferner Schlieren, Dietikon und Opfikon. Zwar ragen die Bauten hier weniger markant in die Höhe, weshalb die Gebäudefläche pro Kopf leicht höher ist als in der Limmatstadt. Dafür beanspruchen die Bewohner der genannten Agglomerationsgemeinden noch etwas weniger Wohnfläche pro Person. Auch die zweitgrösste Stadt des Kantons zeigt sehr gute Werte: Die Winterthurer kommen mit 21m2 Gebäude- und 45m2 Wohnfläche pro Person aus. In den vielen kleinen Dörfern auf dem Land hingegen liegt die Gebäudeversiegelung pro Person beim Zwei- bis Vierfachen derer der grossen Städte, und der Wohnflächenkonsum nähert sich dem der Gebäudeflächen an. D.h. pro Quadratmeter Wohnfläche wird annähernd ein Quadratmeter Boden versiegelt.
Die Rolle der Städte
Noch eindrücklicher als der Flächenkonsum ist, wie effizient die Städte aufgrund ihrer ohnehin schon kompakten Bauweise weitere Bewohner aufnehmen. So ist beispielsweise die Einwohnerzahl der Stadt Zürich von Anfang 2016 bis Anfang 2023 um 31’000 gewachsen. Dabei wurde für jeden weiteren Einwohner lediglich 5m2 zusätzlicher Boden durch Gebäude versiegelt (s. Karte unten). Das ist weniger als die Hälfte der Fläche eines typischen Parkplatzes. In Wallisellen waren es sogar nur 4m2. Zu den Zürcher Gemeinden, die das Wachstum sehr flächeneffizient bewältigten, zählen ferner Schlieren, Dübendorf, Dietikon, Uster, Bülach, Wetzikon, Winterthur und Opfikon. Allesamt beanspruchen pro Zuzüger weniger als 10m2 zusätzlich versiegelte Gebäudefläche.
Geringste Pro-Kopf-Flächenbeanspruchung in den Städten
Gebäude- und Wohnflächenverbrauch pro Person in m², Gemeinden Kanton Zürich
In vielen der genannten städtischen Gemeinden wurden vielfach in die Jahre gekommene Wohngebäude durch neue Wohnbauten ersetzt und im Zuge dessen verstärkt vorhandene Ausnützungsreserven realisiert. Dabei wird häufig nur wenig zusätzlicher Boden versiegelt. Nicht selten wohnen anschliessend doppelt so viele Menschen auf derselben Parzelle, denn die neuen Flächen sind kostspielig. Darüber hinaus wurden in den letzten Jahrzehnten grössere von der Industrie oder von der Bahn aufgegebene Flächen frei, die mindestens teilweise einer Wohnnutzung zugeführt werden (konnten). Bekannte Beispiele sind das Industriequartier im Zürcher Kreis 5 sowie die Europaallee, die Sulzerareale in Winterthur, das Areal Richti/Im Glattgarten in Wallisellen, das Gebiet Silbern/Limmatfeld in Dietikon, das Areal Geistlich/Färbi in Schlieren sowie die ehemaligen Fabrikgelände von Bülachguss und der Glasi Bülach. Der neue Wohnraum in solchen Umnutzungsprojekten beansprucht üblicherweise kaum zusätzlichen Flächenverzehr.
Vereinzelt wurden obendrein selbst in den grösseren Städten noch umfangreiche Freiflächen überbaut, beispielsweise im Hochbordquartier in Dübendorf, wo mit dem Jabee-Tower ein 100 Meter hohes Wohngebäude in den Himmel ragt, welches erst der Anfang einer umfassenden Quartierentwicklung war. Inzwischen wurde das ehemals höchste Mietwohnhochhaus mit seinen 218 Wohnungen bereits von den drei Three-Point-Türmen mit 445 Wohnungen übertroffen. In diesem Wachstumsquartier ist es noch etwas früh, Bilanz zu ziehen. Bereits kurz vor Abschluss ist dagegen der Glattpark in Opfikon (s. Vergleichsbilder am Schluss des Beitrags), der seit 2006 auf einem ehemaligen Sumpf- und Landwirtschaftsgebiet entstanden ist. Auf dem 67 Hektar grossen, unmittelbar an die Stadt Zürich angrenzenden Areal wurden in dichter Bauweise zahlreiche 6- bis 7-geschossige Gebäude errichtet. Trotz der Erschliessung eines zuvor unberührten Geländes, bei der jeder Quadratmeter Gebäude ein zusätzlich versiegelter Quadratmeter ist, ist die Flächenbilanz auch hier erfreulich: Jeder Glattpark-Bewohner beansprucht lediglich 11m2 Gebäudefläche. Die Wohnfläche pro Person ist mit 43m2 ebenfalls eher bescheiden.
Städte beherbergen Zuzüger besonders flächenschonend
Zusätzlich durch Gebäude versiegelte Fläche in m2 pro zusätzliche Person 2023 zu 2016
Wohnbau in den Städten fördern
Die vorliegenden Analysen zum Flächenverbrauch fokussieren auf Gebäude- und Wohnflächen. Es liegt aber auf der Hand, dass in verdichteten Siedlungen die gesamte Infrastruktur effizienter genutzt wird. So muss auf dem Land jedes einzelne Einfamilienhaus flächenzehrend an das Strassennetz angebunden werden. In der Stadt lässt sich dagegen zusätzlicher Wohnraum schaffen, ohne dass die öffentliche Hand noch wesentlich in Infrastruktur investieren muss. Zudem ist die räumliche Trennung von Wohnen, Arbeiten und Freizeitgestaltung mit Verkehr verbunden. Städter haben diesbezüglich in aller Regel kürzere Wege, was zu einer geringeren Verkehrsbelastung führt. Von der zunehmenden Bevölkerungsdichte profitiert auch die lokale Wirtschaft. Das Anbieten von Handel und Dienstleistungen lohnt sich immer mehr. Dies ermöglicht eine Nahversorgung im wahrsten Sinne des Wortes. Der höhere Wert des Bodens in der Stadt führt ferner in der Tendenz dazu, dass die gewiss schon grössere erlaubte Ausnutzung in höherem Masse auch realisiert wird und weniger eine theoretische Reserve bleibt.
Der von der Raumplanung eingeschlagene Weg der Innenverdichtung ist im Hinblick auf den haushälterischen Umgang mit der Ressource Boden folglich sicher der richtige. Dies ist – wie erläutert – vor allem in den Städten effizient. Die Praxis zeigt allerdings, dass die fortschreitende Verdichtung hier zunehmend anspruchsvoller wird. Grössere Freiflächen stehen kaum noch zur Verfügung, ebenso rar sind verlassene Industrieareale. Die künftige Entwicklung muss daher primär über das Schliessen von Baulücken, Ersatzneubauten oder Aufstockungen erfolgen. Damit das gelingt, müssen die Städte und ihre Bewohner das Wachstum allerdings auch zulassen. Dies könnte zum Beispiel über Aufzonungen und die flexiblere Handhabung von Umnutzungen, z.B. von Büro zu Wohnen, geschehen. Im Gegensatz zu vielen Landgemeinden, wo fehlende Regelungen zum Mehrwertausgleich zu Verzögerungen führen können, ist dieser in den meisten Städten bereits in der Bau- und Zonenordnung umgesetzt.
Substanziell ist ferner die Beschleunigung der derzeit stockenden Baubewilligungsprozesse durch vereinfachte und vollständig digitalisierte Bewilligungsverfahren und das Verhindern von Verzögerungen mittels Rekursen ohne Aussicht auf Erfolg. Das zweifellos wichtige Recht auf Einsprache sollte ausgewogen mit dem grossen Bedarf an der Erstellung zusätzlicher Wohnungen in Einklang gebracht werden. Professionelle Investoren können zwar auf andere Projekte ausweichen, wenn die Verfahren stocken. Mehr als die Hälfte der Bestandesgebäude ist aber noch in der Hand Privater, die bei Verzögerungen von Entwicklungsprojekten rasch in finanzielle Probleme geraten können. Nur wenn Bauen wieder attraktiver wird, lässt sich die Bautätigkeit signifikant steigern und das starke Bevölkerungswachstum absorbieren. Die Verdichtung in den Städten kann die grosse Nachfrage flächenschonend auffangen und ausufernde Preise und Mieten verhindern.