Wohnraum ist so knapp wie zuletzt vor zwanzig Jahren
Die Mietleerwohnungsziffer im Kanton Zürich wird in diesem Jahr weiter sinken, auf das niedrigste Niveau seit 2003. Darauf deuten einige aktuelle Indikatoren hin. Die Wohnungssuche wird zur Geduldsprobe, und der Druck auf die Politik steigt.
Text: Benedikt Lennartz, Analytics Immobilien
«Die Lage auf dem Wohnungsmarkt spitzt sich in den Zentren zu. […] Die Schweizer Bevölkerung wächst überdurchschnittlich – und der individuelle Wohnraumbedarf nimmt weiter zu. Andererseits sind in den letzten Jahren zu wenig Wohnungen gebaut worden.» Diese Einschätzung würden aktuell wohl viele Marktbeobachter teilen. Während die Zuwanderung seit vergangenem Jahr stark ansteigt, wird die Bautätigkeit im Kanton Zürich in diesem Jahr voraussichtlich leicht sinken. Es überrascht vielleicht, dass die oben zitierte Einschätzung bereits über 20 Jahre alt ist – vorgenommen hat sie die NZZ am Sonntag im Oktober 2003. Nach einer Zeit des Überangebots vor einigen Jahren befindet sich der Markt aktuell wieder in einem zyklischen Rückgang in Richtung Wohnungsmangel.
Wir gehen davon aus, dass in diesem Jahr im Kanton Zürich nur knapp 0,5 Prozent der Mietwohnungen leer stehen werden. Das sind so wenige freie Wohnungen wie zuletzt vor zwanzig Jahren. Wohnungsknappheit ist längst nicht mehr ausschliesslich auf die Städte begrenzt. In der Stadt Zürich gab es bereits im letzten Jahr praktisch keinen leeren Wohnraum mehr. Unsere Prognose geht von sinkenden Leerständen im gesamten Kanton Zürich aus.
Mietleerwohnungsziffer im Kanton Zürich
Schwindende Wohnungsinserate
Die Prognose stützt sich auf verschiedene Indikatoren am Zürcher Mietwohnungsmarkt. Online-Plattformen wie Homegate lassen uns den Puls des Marktes in Echtzeit spüren. So ist das Angebot ausgeschriebener Wohnungen in den letzten Jahren stark zurückgegangen. Wer online nach einer passenden Wohnung Ausschau hielt, fand selbst im ländlichen Raum immer weniger Wohnungsinserate vor.
Gleichzeitig ist die Vermarktungsdauer von Mietwohnungen in den vergangenen Jahren immer kürzer geworden. War ein Mietwohnungsinserat im Kanton Zürich im Jahr 2018 noch typischerweise rund drei Wochen aufgeschaltet, ist es nun nur noch eine Woche.
Auch die Anzahl Inserate, die länger als drei Monate verfügbar sind – gewissermassen die digitalen Ladenhüter – sind in diesem Jahr erneut gesunken. Wohnungssuchende und Vermieter dürften diese Zahlen bestätigen können. Angebote, die vor ein paar Jahren noch schwer vermittelbar gewesen wären, finden nun innert kürzerer Zeit einen Abnehmer. Der im Vergleich zur Schweiz prononciertere Rückgang der drei Indikatoren deutet klar auf einen weiteren Anstieg der Wohnungsknappheit im Kanton Zürich hin.
Indikatoren für Mietwohnungen im Kanton Zürich (2018 = 100)
Noch mehr Bewerber auf Wohnungen
Folglich steigt die Konkurrenz für die noch freistehenden Wohnungen immer mehr an, und mit ihr die Mieten. So waren die Angebotsmieten in der Stadt Zürich in diesem Juni knapp zehn Prozent höher als vor einem Jahr. Eine Wohnung in der Stadt ist also längst zum Luxusgut geworden, für das vielen Haushalten der finanzielle Spielraum fehlt. Der immer knappere Wohnraum schwächt zudem die Verhandlungsposition der Bestandesmieter. Wer seit Kurzem von einer Mietzinserhöhung aufgrund des steigenden Referenzzinssatzes konfrontiert ist, kann seine Lage durch einen Umzug meist nur noch einmal verschlechtern. Gut möglich also, dass sich viele Miethaushalte zum Kostensparen gezwungen sehen, hin zu weniger Wohnraum an weniger zentralen Lagen.
Politischer Druck steigt
Unterdessen ist die Wohnraumknappheit längst Spielfeld einer aufgeheizten politischen Debatte geworden. Das naheliegendste Ziel wäre eine höhere Bautätigkeit, um die zunehmende Knappheit am Mietwohnungsmarkt perspektivisch zu reduzieren. Doch aktuell gleicht der Wohnungsbau einem Hürdenlauf. Weitgehende Einsprachemöglichkeiten lassen die Projektdauer steigen. Durch einen Hürdenabbau könnten zumindest bereits geplante Projekte eher realisiert werden. Mehr Wohnungsbau könnte die ersehnte Entlastung herbeiführen. Dies ist erneut eine Parallele zur Situation vor zwanzig Jahren. Damals reduzierte ein starker Anstieg der Neubautätigkeit die Wohnungsknappheit merklich. Langfristig besteht also Hoffnung auf die nächste Trendwende am zyklischen Immobilienmarkt.