Das Erbe regeln: Das beste Rezept gegen Erb­schafts­streit

Das Konfliktpotenzial beim Erbe ist gross und trotzdem schieben viele die Nachlassregelung lange hinaus. Das zeigt die Erbschaftsstudie der Zürcher Kantonalbank. Dabei lohnt es sich, den Nachlass frühzeitig zu regeln – und den Gestaltungsspielraum des neuen Erbrechts zu nutzen. Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen bei der Zürcher Kantonalbank, gibt Tipps.

Text: Ina Gammerdinger

Stefan Reinhard
Stefan Reinhard rät: «Das neue Erbrecht erweitert die Möglichkeiten bei der individuellen Regelung der Erbschaft. Eine Beratung hilft, diesen Freiraum auszuschöpfen und unterstützt bei der Auswahl des richtigen Nachlassinstruments.» (Bild: Christian Grund)

Wer mitten im Leben steht, hat andere Prioritäten als sein Testament zu verfassen. Familie, Arbeit und Hobbies geniessen die volle Aufmerksamkeit. An die Nachlassregelung denken dabei nur die Wenigsten. Auch mit zunehmendem Alter fällt es nicht unbedingt leichter, das Thema anzupacken. Denn wer setzt sich schon gerne mit dem eigenen Tod auseinander?

Darüber hinaus bringt die Nachlassregelung immer auch eine Bewertung der familiären Beziehungen mit sich. Stefan Reinhard kennt aus seiner langjährigen Erfahrung, wo oft der Schuh drückt: «Sind die Verhältnisse kompliziert oder gibt es Spannungen, fällt die Auseinandersetzung mit dem Thema umso schwerer. Und geht es um das Eigenheim oder das Familienunternehmen, ist der Entscheidungsprozess oft besonders emotional.»

Es verwundert deshalb nicht, dass viele diese Pendenz lange vor sich herschieben. Die Erbschaftsstudie der Zürcher Kantonalbank bestätigt dies: Zwar erachten es 88 Prozent der befragten Erblassenden als wichtig, den Nachlass zu regeln. Dennoch hat fast die Hälfte von ihnen noch keine konkreten Massnahmen umgesetzt.

Klare Regelung minimiert das Konfliktpotenzial

Zum Handeln bewegt in der Regel erst die Pensionierung oder ein Todesfall im persönlichen Umfeld. Noch mehr als das eigene Älterwerden führt der Tod eines nahestehenden Menschen die Dringlichkeit der Nachlassregelung vor Augen. Die Einsicht, dass immer etwas passieren kann, ist jedoch nicht der einzige Grund, das Thema rechtzeitig anzugehen. Denn eine klare Nachlassregelung verhindert vor allem auch Streit.

Konflikte möchte die grosse Mehrheit der Befragten denn auch partout vermeiden: Über 90 Prozent der Erbenden erhoffen sich mit Blick auf die künftige Erbschaft in erster Linie, dass es keinen Streit gibt. Auch für die meisten Erblassenden hat das Verhindern von Konflikten hohe Priorität. Viele befürchten jedoch Schwierigkeiten bei der Verteilung des Vermögens und 6 Prozent rechnen gar mit einem Erbschaftsstreit.

Frauen gehen mit gutem Beispiel voran

Dieser grosse Respekt vor Konflikten steht in Widerspruch zur Passivität der Befragten bei der Nachlassregelung. Dabei vertagen Männer das Thema noch deutlich häufiger als Frauen: Während unter den Erblassern weniger als die Hälfte ihren Nachlass bereits geregelt haben, sind es bei den Erblasserinnen immerhin 58 Prozent.

Überhaupt gehen Frauen das Thema Erbschaft aktiver an als Männer. So sprechen sie zum Beispiel auch eher mit ihren Erben über die Erbschaft – und dies ist enorm wichtig. «Wer in der Familie frühzeitig Transparenz schafft, kann Konflikte verhindern. Werden die Erben hingegen zu lange im Ungewissen gelassen, drohen Enttäuschungen», erklärt Stefan Reinhard.

5 Tipps für Ihre Nachlassregelung

  1. Gehen Sie die Nachlassplanung so früh wie möglich an.
  2. Unternehmerisch tätige Personen sollten besonders früh beginnen, da eine Nachfolgeregelung in Familienunternehmen über fünf Jahre dauern kann.
  3. Überlegen Sie sich zuerst, wen Sie begünstigen wollen und wie Sie die Erbmasse verteilen möchten.
  4. Prüfen Sie, ob die gesetzliche Erbfolge Ihren Vorstellungen entspricht oder ob Sie eine abweichende Regelung treffen wollen.
  5. Klären Sie ab, welches Nachlassinstrument für Sie das richtige ist: Testament, Erb- oder Ehevertrag?

Neues Erbrecht bringt mehr Spielraum

Rund die Hälfte der befragten Erblassenden möchte ihr Vermögen abweichend von der gesetzlichen Erbregelung vererben. Das neue Erbrecht eröffnet dabei neue Möglichkeiten: Die Pflichtteile wurden verkleinert und seit Anfang 2023 kann jede Person mindestens über die Hälfte des Nachlasses frei verfügen. So erhalten insbesondere Konkubinatspaare und Patchwork-Familien mehr Freiheiten bei der Verteilung ihres Vermögens.

Das neue Erbrecht vergrössert somit den Gestaltungsspielraum, wirft bei den Erblassenden aber auch Fragen auf. Nur knapp 14 Prozent haben ihre Nachlassplanung ans neue Erbrecht angepasst oder wollen dies noch tun. Zwei Drittel sehen keinen Handlungsbedarf und 20 Prozent wissen nicht, ob sie von der Revision überhaupt betroffen sind. Offenbar haben sich also manche noch nicht mit den Änderungen auseinandergesetzt und müssen sich erst Klarheit verschaffen.

Individuelle Lösungen erfordern eine Beratung

Der Beratungsbedarf beim Thema Erbschaft ist offensichtlich gross – und dies nicht nur wegen des neuen Erbrechts. Vor allem bei den älteren Befragten ist fehlendes Wissen oder mangelnde Unterstützung oft mit ein Grund, warum sie noch keine Massnahmen umgesetzt haben. Hingegen liessen sich zwei Drittel der Befragten, die ihren Nachlass bereits geregelt haben, professionell beraten. Die meisten von ihnen haben den Nachlass abweichend von der gesetzlichen Erbfolge gemäss ihren eigenen Wünschen geregelt.

Stefan Reinhard rät: «Das neue Erbrecht erweitert die Möglichkeiten bei der individuellen Regelung der Erbschaft. Eine Beratung hilft, diesen Freiraum auszuschöpfen und unterstützt bei der Auswahl des richtigen Nachlassinstruments. Je nach Situation ist ein Testament, ein Erb- oder ein Ehevertrag die optimale Lösung, wobei die Instrumente häufig auch kombiniert werden. Vor allem ist ein Austausch mit einer Fachperson ein wichtiger erster Schritt, um die Nachlassregelung endlich in Angriff zu nehmen.»