Schenkungen und Erbvorbezüge sind sinnvoll – aber heikel
Zuwendungen zu Lebzeiten haben in der Schweiz eine höhere Bedeutung als im benachbarten Ausland. Die Erbschaftsstudie der Zürcher Kantonalbank unterstreicht: Die meisten Erblassenden möchten ihre Nachkommen mit Schenkungen und Erbvorbezügen unterstützen. «Doch dabei ist Vorsicht angebracht», weiss Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen bei der Zürcher Kantonalbank, und klärt auf.
Text: Ina Gammerdinger
Erbschaften tragen wesentlich zum Wohlstand in der Schweiz bei. Jeder zweite Vermögensfranken ist geerbt. Die Weitergabe der Gelder an die nächste Generation folgt dem «Matthäus-Prinzip»: Wer hat, dem wird gegeben. Die ungleiche Verteilung der Vermögen spiegelt sich in den Erbschaftsaussichten. Zehn Prozent der Erbenden erhalten drei Viertel der gesamten Erbmasse und rund die Hälfte der Bevölkerung erhält nur ein geringes oder gar kein Erbe.
Im Jahr 2022 wurden schätzungsweise 88 Milliarden Franken vererbt oder verschenkt. Das ist fast doppelt so viel Geld, wie jährlich über die AHV verteilt wird. Dabei wächst die jährlich anfallende Erb- und Schenkungsmasse rasant. In den letzten 30 Jahren hat sich das Schweizer Erbschaftsvolumen (inklusive Schenkungen) fast verfünffacht. Zum Vergleich: Das Bruttoinlandprodukt (BIP) hat sich in dieser Zeit lediglich verdoppelt.
Schenkungen haben in der Schweiz eine hohe Bedeutung
Rund ein Viertel des Schweizer Erbschaftsvolumens wird bereits zu Lebzeiten an die Nachkommen schenkungsweise weitergegeben. Diese grobe Schätzung ist ein Indiz für die hohe Bedeutung von Schenkungen und Erbvorbezügen. Die Erbschaftsstudie (PDF, 1 MB) der Zürcher Kantonalbank belegt dies mit genauen Zahlen: 42 Prozent der befragten Erblassenden haben bereits Schenkungen bzw. Erbvorbezüge ermöglicht oder möchten dies noch tun.
Offensichtlich hegen jedoch noch deutlich mehr Schweizerinnen und Schweizer den Wunsch, Vermögenswerte bereits vor dem Tod weiterzugeben: 64 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu, dass Personen, die es sich leisten können, möglichst viel schon zu Lebzeiten an die Nachkommen weitergeben sollten.
Diese Werte sind im Vergleich mit Umfragen aus dem Ausland erstaunlich hoch. Gemäss einer Studie in Deutschland kann sich nur knapp ein Viertel vorstellen, einen Teil des Vermögens bereits vor dem Tod weiterzugeben. Zwei mögliche Erklärungen für diesen grossen Unterschied sind das im Vergleich tiefere Vermögensniveau in Deutschland sowie das besser ausgebaute Vorsorgesystem der Schweiz.
Das häufigste Motiv ist der Hauskauf der Kinder
Der mit Abstand häufigste Grund für eine Übertragung von Vermögenswerten zu Lebzeiten ist der Erwerb von Wohneigentum durch die Nachkommen. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, mit einer Schenkung oder einem Erbvorbezug den Hauskauf eines Erben unterstützen zu wollen. Zudem werden Nachkommen auf diesem Weg vielfach auch bei der Finanzierung ihrer Ausbildung unterstützt.
Stefan Reinhard, Leiter Erbschaften und Stiftungen bei der Zürcher Kantonalbank, weiss aus seiner langjährigen Beratungserfahrung: «Schenkungen und Erbvorzüge sind grundsätzlich eine gute Sache. Denn gemäss Statistik kommen die meisten erst in den Genuss eines Erbes, wenn sie im Ruhestand sind. In jüngeren Jahren wird dieses Geld ohne Frage dringender benötigt. Allerdings bringt die Weitergabe von Vermögenswerten zu Lebzeiten auch einige Stolpersteine mit sich.»
5 Tipps zu Schenkungen und Erbvorbezügen
- 1 Regeln Sie Erbvorbezüge oder Schenkungen immer schriftlich.
- 2 Legen Sie fest, ob und in welchem Umfang die Zuwendung ausgleichungspflichtig ist.
- 3 Lassen Sie sich beraten, welche Option für Ihre Bedürfnisse optimal ist: Schenkung, Erbvorbezug oder Darlehen?
- 4 Stellen Sie sicher, dass Sie trotz der Schenkung über die nötigen Mittel verfügen, um die Lebenshaltungskosten im Alter zu decken.
- 5 Schaffen Sie Transparenz innerhalb der Familie. Thematisieren Sie Erbvorbezüge und Schenkungen nicht nur mit den Begünstigten.
Schenkungen wollen wohlüberlegt sein
Stefan Reinhard führt aus: «Zum einen sollten Schenkungen und Erbvorbezüge auf die Vorsorgesituation abgestimmt werden. Erblassende müssen sich gut überlegen, ob sie auch wirklich über genügend finanzielle Mittel verfügen, um den gewohnten Lebensstandard im Alter aufrecht zu erhalten. Insbesondere die Pflegekosten werden dabei häufig unterschätzt. Auch kann ein Erbvorbezug dazu führen, dass der Anspruch auf Ergänzungsleistungen wegfällt oder diese zumindest gekürzt werden. So kann die Schenkung schnell zum Bumerang werden. Zum anderen ist das Konfliktpotenzial bei Erbschaften grundsätzlich hoch – und bei Schenkungen oder Erbvorbezügen erst recht. Der Grund: Zuwendungen zu Lebzeiten an direkte Nachkommen sind ausgleichspflichtig. Das bedeutet, dass sie ans Erbe angerechnet und bei der Verteilung der Vermögenswerte wieder ausgeglichen werden müssen. Allerdings lassen sich Kinder auch von der Ausgleichspflicht befreien. Diese Regeln und mögliche Ausnahmen können leicht zu Streitigkeiten führen.»
Schriftliche Vereinbarungen verhindern Konflikte
Hinzu kommt, dass es verschiedenste Optionen gibt, sein Geld schon zu Lebzeiten weiterzugeben: Bei einem Erbvorbezug hat sich die beschenkte Person das Erhaltene am späteren Erbe anrechnen zu lassen. Eine nicht ausgleichungspflichtige Schenkung wird hingegen in der späteren Erbteilung nicht mehr berücksichtigt, solange die Pflichtteile von weiteren Erben gewahrt bleiben. Daneben gibt es weitere Alternativen wie die gemischte Schenkung oder das Darlehen.
«Eine professionelle Beratung hilft, die optimale Lösung für das eigene Schenkungsvorhaben zu finden. Unter Beizug von Fachpersonen lässt sich vor allem auch die rechtliche Situation klar regeln. Zwar ist eine schriftliche Vereinbarung bei Erbvorbezügen und Schenkungen nicht immer vorgeschrieben. Dennoch sollten Zuwendungen zu Lebzeiten in jedem Fall schriftlich festgehalten werden. So lassen sich spätere Konflikte unter den Erben vermeiden», rät Stefan Reinhard.
Dieser Beitrag wurde aktualisiert. Ursprüngliche Veröffentlichung am 19. April 2023.