«…und dann reicht die Rente nicht»

Erwerbstätige sind sich oft nicht bewusst: Ihre Rente wird kaum ausreichen, um den Lebensstandard nach der Pensionierung zu halten. Der Pensionierungsrechner sorgt für Transparenz.

Text: Nirmala Alther

Wer den Ruhestand geniessen will, sollte sich bereits im Erwerbsalter mit der eigenen finanziellen Situation auseinandersetzen. (Bild: Getty)

Der Anglizismus «Bias» meint gemeinhin die Verzerrung der eigenen Wahrnehmung. Obwohl zutiefst menschlich, sorgt er teilweise für schwerwiegende Folgen. Bei einem aktuellen Thema spielt er eine grosse Rolle: Obwohl die meisten Schweizerinnen und Schweizer ihre Altersvorsorge als eines der grössten Probleme benennen, wird die eigene Situation meist viel positiver bewertet, als sie der Realität entspricht. Viele Berufstätige sehen keinen Bedarf, in die eigene Vorsorge zu investieren oder sind schlichtweg zu bequem, sich mit der persönlichen Vorsorgesituation auseinderzusetzen (Quelle: Untersuchung HSLU März 2021).

Was würde Abhilfe schaffen? Claudia Kosarnig, Teamleiterin Finanzplanung und Vorsorge bei der Zürcher Kantonalbank, weist auf einen entscheidenden Faktor hin: «Ich erlebe im direkten Beratungskontakt immer wieder, wie erstaunt oder sogar erschüttert Kundinnen und Kunden sind, wenn wir mit ihnen gemeinsam ausrechnen, was ihnen voraussichtlich an Rente nach der Pensionierung zur Verfügung stehen wird oder wie hoch ihre Ausgaben nach der Erwerbsaufgabe noch sein dürfen.» Zentral ist also, Wissen und Transparenz über die eigene finanzielle Situation zu gewinnen. Schwierig ist das nicht. Neue digitale Hilfsmittel lassen eine einfache und schnelle Berechnung zu.

Der Pensionierungsrechner zeigt auf, welche verfügbaren Mittel im Ruhestand zur Verfügung stehen.

Digitale Rechner zeigen Handlungsbedarf

Der Pensionierungsrechner der Zürcher Kantonalbank, ein Onlinetool auf der Website der Bank, ist seit gut zwei Jahren im Einsatz – und wird rege genutzt. Rund 100'000 Interessierte haben mit dem Pensionierungsrechner ihr ungefähres Alterseinkommen bereits berechnet. Die Daten zeigen ein eindrückliches Bild: Bei über 70 Prozent der Anwenderinnen und Anwender resultiert eine Vorsorgelücke.

Ein Problem ortet Claudia Kosarnig bei der verankerten Fehlüberlegung, dass im Ruhestand weniger Geld benötigt würde: «Dank dem Pensionierungsrechner zeigt sich, dass über 40 Prozent der Personen nach ihrer Pensionierung einen Bedarf haben, der zwischen 80 und 90 Prozent des Einkommens vor der Pensionierung beträgt.» Unser Vorsorgesystem ist jedoch so aufgebaut, dass die 1. Säule (AHV) und 2. Säule (Pensionskasse) nur rund 60 bis 70 Prozent des heutigen Einkommens abdecken. Gemäss Claudia Kosarnig sind sich zudem viele Menschen nicht bewusst, dass gerade die Erfüllung von langfristig gehegten Träumen wie Reisen mit überdurchschnittlich hohen Kosten verbunden ist. Hinzu kommen steigende Ausgaben – vor allem für medizinische Behandlungen wie Zahnsanierungen.

Frauen kümmern sich zu wenig um ihre Vorsorge

Die Daten des Pensionierungsrechners stützen die Ergebnisse, die von Studien bereits mehrfach bestätigt wurden: Anwenderinnen und Anwender des Pensionierungsrechners sind mehrheitlich männlich. Geben diese Nutzer ihre Daten als «Verheiratete» ein, fällt auf, dass sie bei den Angaben ihrer Frau keine Pensionskassenleistungen eingeben. Bedeutet: Die Frau verfügt über kein oder nur geringenes eigenes Einkommen. Claudia Kosarnig meint dazu: «Jedes Jahr in dem eine Frau nicht voll oder gar nicht gearbeitet hat, wirkt sich auf den Rentenbetrag aus, der schliesslich ausbezahlt wird.» Die Daten zeigen aber auch: Frauen kümmern sich zu wenig um ihre Vorsorge. Viele schieben das Thema Altervorsorge vor sich her oder interessieren sich nicht dafür. Expertin Kosarnig findet dies bedenklich, vor allem da inzwischen hinlänglich bekannt ist, dass unsere Altersvorsorge in der Schweiz vor grossen Herausforderungen steht.