Der Bienen Völkerverständigung
Annäherung mittels Membran: Im 10. Teil der Kunstserie zu den Neuankäufen der Zürcher Kantonalbank stellt Simone Wirz Brigham Bakers «Hive» vor.
Text: Markus Wanderl / Bilder: Flavio Pinton
Völkerverständigung täte not in diesen Zeiten. Einmal mehr. Aber wie sich schon Nachbarn im Kleinen mitunter wegen Blättern auf dem Grundstück zu bekriegen vermögen, können im Grossen Blätter – hier Papier – manchmal Kriege verhindern. Der gebürtige Kalifornier, doch längst in Zürich heimisch gewordene Künstler Brigham Baker macht in seinem Werk «Hive» deutlich, wie Völkerverständigung funktioniert: nämlich nach den Prinzipien der sukzessiven Annäherung. Da wird nicht gleich über den Zaun gebrüllt: Auf gute Nachbarschaft! Aber es wird auch nicht gleich aus allen Rohren gefeuert, um dem Nachbarn anzuzeigen: Bis hierhin und nicht weiter!
Kein Hauen und Stechen
Hätte Baker die beiden Bienenvölker, die er zu vereinen plante, mir nichts, dir nichts aufeinander losgelassen, es hätte ein Hauen und Stechen gegeben. Viele Tote hätte es gegeben, viele Verwundete, und ein Bienenspital gibt es nicht. Aus verschiedenen Gründen möchte Simone Wirz von der Kunstkommission der Zürcher Kantonalbank in dieser Kunstserie zu den Neuankäufen Bakers Werk vorstellen – dazu gleich mehr – doch zunächst sei ein aus ihrer Sicht ganz besonderer genannt: dass nämlich «Hive» schlicht die Schönheit einer Völkerverständigung abbilde.
Dass sich die beiden in einem ersten Schritt zur Nachbarschaft verdonnerten Bienenvölker peu à peu annähern konnten, geschah so: Der Bienenkästen sind viele, aber Baker, 32, nahm welche aus der Schweiz – im Weltformat. Konkret: zwei. Sodann stapelte er sie aufeinander und schob eine Zeitung dazwischen: jene Blätter Papier. Denn eben: Das eine Bienenvolk mit Königin und das andere ohne sollten nicht übereinander herfallen, sondern sich zunächst voreinander geschützt langsam annähern. So geschah es. Nach knapp einer Woche hatten sich die beiden Bienenvölker durch jene Art Membran gefressen und sich in der Folge friedlich vereint.
Bienen als Wegweiser
Dass besondere Kräfte – hier Bienen – in einem System – hier Bienenstöcke – ein Bild kreieren, dies ohne grosses Zutun des Künstlers, es sind einerseits jene schlichten Prozesse wie dieser, die den Künstler Baker so faszinieren. Doch weil Baker andererseits alles Plakative ablehnt, tat er alles, um bei der Betrachterin und dem Betrachter bloss nicht den Gedanken auszulösen, wonach die Bienen bei ihrem Weg auf sich zu ja auf bunte Bilder und vielleicht bunte Artikel jener Zeitung gestossen seien. Das (Zeitungs-)Papier färbte er deshalb vorher blau ein – und übertünchte auf diese Weise alles. Alles? Natürlich nicht das, wozu Bienen imstande sind. Wie formuliert es Simone Wirz so wunderbar: «Bakers Bienen können uns Wegweiser, Inspirationsgrundlage und last but not least Hoffnungsträger sein.» Fürs Erklären der Details nun Bühne frei für: Simone Wirz.
«Es ist zweierlei, warum mich dieses Werk von Baker besonders anspricht. Zunächst: Ich bin im Financial Institutions International (III) Länder- und Bankenverantwortliche für Greater China (China, Hongkong, Taiwan und Macau). Regelmässig erhält die Zürcher Kantonalbank Kundenbesuch von unseren chinesischen Bankenkunden – sie kommen gern mit einer grossen Delegation. Ich erinnere mich an den September 2019, als wir im Bankratsaal den Präsidenten und überhaupt das Topmanagement der China Construction Bank zu Gast hatten. Ich darf verraten: Der Präsident der CCB, Giuping Liu, war wie gefesselt vom Anblick des von Shirana Shahbazi entworfenen Terrazzobodens. Er stellte dann sehr präzise Fragen zu diesem herrlichen Werk, wollte alles genauestens von Chris Sandercock, unserer Leiterin Fachstelle Kunst, wissen: Welche Pigmente verwendet worden seien, wie die Farben in den Terrazzoboden gemischt worden seien – und vieles mehr.
Energie durch Kunst
Den Präsidenten einer der grössten Banken der Welt in dieser unerwartet anderen Energie zu erleben, von einer sensiblen und kunstaffinen Seite – das hat mich wirklich gerührt. Und ja, dieses Erlebnis hat auch meinen Stolz auf die Kunst der Zürcher Kantonalbank noch einmal verstärkt. Ich will dies noch erzählen: Mit grosser Freude durfte ich dann 2020 meiner pensionierten Kollegin Salome Handschin in der Kunstkommission nachfolgen. Denn schon als ich vor viereinhalb Jahren zur Zürcher Kantonalbank gestossen bin, war ich beeindruckt von der Kunst am Bau und den Kunstwerken in den Sitzungszimmern. Nach 13 Jahren bei internationalen Banken in Genf und New York hatte ich – ganz ehrlich gesagt – niemals derart diverse und moderne Gegenwartkunst bei der Bank erwartet.
Divers ist ein gutes Stichwort – zu den Bienen. Einerseits empfinde ich seit je einen tiefen Respekt für sie im Besonderen und für die Biodiversität im Allgemeinen, diese Fülle unterschiedlichen Lebens in diesem und jenen Landschaftsraum. Bienen sind hochintelligente Wesen, hochentwickelt. Sie bestäuben etwa 80 Prozent unserer Nutz- und Wildpflanzen – und wie unermüdlich sie das tun. Kann das in den Medien ja zuhauf thematisierte Bienensterben nicht gestoppt werden, muss davon ausgegangen werden, dass sich weltweit unsere Nahrungsgrundlagen grundlegend verändern, verknappen und verteuern werden. Weil es überhaupt die Aufmerksamkeit auf die Bienen lenkt, freue ich mich sehr, dass Bakers Bild Bestandteil dieser Kunstsammlung ist. Wie sehr die Nachhaltigkeit unseren Leistungsauftrag und unsere Geschäftspolitik berührt, ist evident.
Annähern und kennenlernen
Andererseits weist dieses Werk Parallelen zu unseren gesellschaftlichen Prozessen auf. Angst, Vorurteile und Abneigung vor dem Fremden schwinden, wenn das Fremde allmählich durch Erkennen ersetzt werden kann. In meinem Alltag treffe ich dieses Phänomen des Öfteren punkto gewissen Haltungen Chinas gegenüber an. Ich stelle immer wieder fest, wie wenig unsere Kulturkreise sich eigentlich kennen, ob das Geschichte, Kultur, Wertesysteme oder Mentalitäten meint. Geopolitisches Machtverhalten von Regierungen setzen wir tendenziell leider mit Völker- und Menschenbetrachtungen gleich. Darin, sich nicht von Vorurteilen leiten zu lassen, sondern sich anzunähern und kennenzulernen, sehe ich einen Schlüssel zur konstruktiven Zusammenarbeit bis hin zur friedlichen Koexistenz.»
Kreativwirtschaft im Kanton unterstützen
Die Zürcher Kantonalbank fördert im Sinne des Leistungsauftrages die Kreativwirtschaft im Kanton und sammelt seit bald zwanzig Jahren Zürcher Gegenwartskunst. Über 1'000 Werke, die diesem Konzept entsprechen, nennt unsere Bank ihr Eigen. Die Entscheidung, ob und welche neuen Werke angekauft werden, trifft die Fachstelle Kunst unter Einbeziehung der Kunstkommission nach sorgfältiger Abwägung.