Der lange Weg zur nationalen Vorsorge­plattform

Die Digitalisierung der Pensionskassenbranche geht unaufhaltsam weiter. Damit steigt die Effizienz vieler Kassen, gleichzeitig sinken ihre Kosten. Trotzdem besteht Handlungsbedarf. Denn grosse Kostenvorteile bieten vor allem IT-Plattformen, da sie attraktive Skaleneffekte ermöglichen. Und auch mit Blick auf die Versicherten dürfte der Plattform-Gedanke noch stark an Bedeutung gewinnen.

Text: Susanne Kapfinger (SDA/AWP) / Bilder Simon Baumann

Stefan Betschart, Kundenbetreuer Pensionskassen, Zürcher Kantonalbank

Viele Pensionskassen haben die erste Digitalisierungswelle erfolgreich gemeistert. Die Pensionskassenverwaltung ist effizient aufgestellt, so die gängige Meinung. Das Tagesgeschäft läuft rund und die IT-Systeme funktionieren: Die Beiträge der Arbeitgeber und Arbeitnehmer werden gutgeschrieben und die Rentenleistungen ausbezahlt. Deshalb sehen viele Vorsorgeeinrichtungen wenig Anpassungsbedarf. Fakt ist aber: Der Digitalisierungsgrad in der Branche ist sehr unterschiedlich. Manche Pensionskassen sind weit digitalisiert, andere hinken hinterher und haben viel Verbesserungspotenzial, besonders in den Bereichen Prozess-Automation, Schnittstellen oder Kommunikation. «Vorsorgeeinrichtungen mit geringem Automatisierungsgrad im Frontend, Backend und bei den Schnittstellen laufen Gefahr, dass sie den Anforderungen an eine moderne Pensionskasse nicht gerecht werden», sagt Stefan Betschart, Kundenbetreuer Pensionskassen der Zürcher Kantonalbank. Die Lösung dafür sei eine gute Datenplattform. Davon würden alle profitieren, sowohl Vorsorgeeinrichtungen als auch Versicherte.

Eine Plattform-Lösung ermöglicht eine effiziente Prozess-Automation, indem für den wiederkehrenden Datenaustausch zwischen Arbeitgeber und Vorsorgeeinrichtung Schnittstellen eingerichtet und zum Beispiel Beitragsabrechnungen oder Mutationen von Stammdaten automatisiert werden. Auch die elektronische Übermittlung von Stammdaten an andere Vorsorgeeinrichtungen bei Ein- und Austritten kann verbessert werden. Für diesen standardisierten Datenaustausch zwischen Vorsorgeeinrichtungen steht denn auch bereits eine Plattform zur Verfügung, die BVG Exchange der Stiftung Auffangeinrichtung BVG. Vorsorgeeinrichtungen müssen lediglich eine Schnittstelle einrichten, um davon Gebrauch zu machen. Aber das haben bisher die wenigsten getan. Obwohl es die Plattform bereits seit über zehn Jahren gibt, nutzt sie nur jede vierte Vorsorgeeinrichtung; von 1'350 Kassen sind es gerade mal 340. «Es ist erstaunlich, dass nicht mehr Kassen die Vorteile nutzen. Die Plattform ist kostenlos und vollzieht den Datenaustausch schnell und fehlerfrei», sagt Stefan Betschart.

Es ist erstaunlich, dass nicht mehr Kassen die Vorteile von BVG Exchange nutzen. Die Plattform ist kostenlos und vollzieht den Datenaustausch schnell und fehlerfrei.

Stefan Betschart, Kundenbetreuer Pensionskassen, Zürcher Kantonalbank

Der Erfolg einer IT-Lösung misst sich auch an den Kosten

Das Beispiel zeigt, dass viele Pensionskassen in der Prozess-Automation und bei den Schnittstellen ihre Hausaufgaben machen müssen. Heute bestehen noch viele Insellösungen, obwohl eine Standardlösung naheliegend wäre, weil alle Versicherten und Kassen dieselben Daten austauschen müssen. Neue Lösungen unterliegen jedoch einer Anforderung: Der Aufwand muss tragbar sein. Die meisten Pensionskassen wissen: Der Betrieb einer eigenen IT-Lösung ist aufwendig. Jede Gesetzesanpassung und jeder Release-Upgrade kosten Geld. «Die Erfahrung zeigt aber, dass sich Digitalisierungsprojekte auszahlen», sagt Betschart. Die Effizienzgewinne würden die Kosten, die viele Kassen scheuen, bei Weitem übersteigen.

Es macht wirtschaftlich also wenig Sinn, eigene Insellösungen zu betreiben. Jede Insellösung braucht technische Wartung, ein digitales Archiv, Backup- und Recovery-Systeme. «Da alle Pensionskassen bezüglich der IT-Systeme grundsätzlich die gleichen Anforderungen haben, ist die Nutzung gemeinsamer IT-Plattformen sinnvoll», erklärt Philipp Sutter, Geschäftsführer der Beratungsgesellschaft der 2. Säule (Berag), die eine eigene anschlussfähige Plattform betreibt. Es sei besser, sich mit anderen Vorsorgeeinrichtungen zu einem Softwarepool zusammenschliessen, anstatt die Software mit einer Softwarefirma selbst zu entwickeln. So lassen sich Synergien nutzen. «Je mehr Pensionskassen sich einer Plattform anschliessen, desto günstiger ist die IT-Infrastruktur für die einzelne Kasse», weiss Sutter aus Erfahrung.

Emanzipierte Kundschaft

Online-Plattformen bieten auch deutlich mehr Möglichkeiten der Interaktion und erlauben sogar «goldene Portale». Davon spricht man, wenn die angeschlossenen Betriebe und versicherten Destinatäre mit der Vorsorgeeinrichtung direkt digital interagieren können. Die darin integrierten Software-Lösungen erlauben es, Geschäftsvorfälle selbstständig abzuwickeln – ähnlich wie bei den Online-Portalen im Bankwesen. «Die Emanzipation der Kunden vollzieht sich auch im Vorsorgebereich. Sie wollen ihre Vorsorgefragen digital beantwortet haben, und zwar wann und wo sie wollen», ist Sutter überzeugt.

Im Bereich der Kommunikation hat sich derweil schon einiges verbessert: Auf vielen Homepages sind elektronische Dokumente verfügbar. Teilweise gibt es Portale für Versicherte, die den Einblick in die eigene Vorsorgesituation sowie Simulationen ermöglichen. Gute Beispiele dafür sind etwa die Kundenportale der Pensionskassen­verwaltungsfirma Trianon oder der Luzerner Pensionskasse. Sie entlasten die Mitarbeitenden und ermöglichen den Versicherten gewisse Anliegen unabhängig von Öffnungszeiten anzubringen. Beides ist fortschrittlich, doch die Digitalisierung muss noch einen Schritt weiter gehen.

Open Pension weist den Weg in die Zukunft

Während die Versicherten in der zweiten und dritten Säule weitgehend über verlässliche Vorsorgedaten verfügen, fehlen diese für die erste Säule. «Es ist unverständlich, warum den Versicherten kein gesamthaftes Bild über ihre Vorsorgesituation bereitgestellt wird», sagt Stefan Betschart. Das Ziel muss sein, dass die Versicherten ihre Vorsorgesituation über alle drei Säulen hinweg auf einer Plattform überblicken können. Zudem sollten sie ihre Vorsorge auch aktiv beeinflussen können, beispielsweise bei der Wahl der Finanzierung, dem Kapitaleinkauf oder dem Kapitalbezug für Wohneigentum. Änderungen geschehen heute meist über ein handschriftlich ausgefülltes Formular. Effektiver wäre es, den Wechsel direkt per Klick zu veranlassen.

Mit dieser Idee beschäftigt sich seit geraumer Zeit das nationale Projekt Open Pension von Swiss Fintech Innovations (SFTI) – einem unabhängigen Zusammenschluss von Finanzinstituten. Die Initiative zielt darauf ab, allen in der Schweiz lebenden Menschen den einfachen Zugriff auf ihre Vorsorgedaten und deren Weitergabe zu ermöglichen. Remo Schmidli, Leiter IT, Operations & Logistics der Zürcher Kantonalbank und Mitglied des Kernprojektteams von Open Pension sagt: «Sämtliche Interaktionen mit der Pensionskasse könnten über ein cloudbasiertes Portal ablaufen». Dabei würden alle administrativen Aufgaben an die Versicherten und die angeschlossenen Arbeitgeber ausgelagert. Das Portal kontrolliert die Eingaben und verarbeitet die Transaktionen. Einzig komplexe Spezialfälle müssten manuell bearbeitet werden.

Open Pension weist den Weg in die Zukunft: «Durch die hohe Standardisierung des Pensionskassengeschäfts ist diese Entwicklung äusserst naheliegend, aufgrund der Heterogenität der Branche sind aber leider noch viele Hürden zu überwinden», sagt Pensionskassenspezialist Betschart.

Die digitale Öffnung von Vorsorgedaten

Die Vorsorgebranche steht in der Pflicht, allen in der Schweiz lebenden Menschen den Zugang zu ihren Vorsorgedaten zu ermöglichen. Denn: wer seine Altersvorsorge verbessern will, braucht ein fundiertes Verständnis der aktuellen Situation. Dazu ist die digitale Verfügbarkeit von Vorsorgedaten über alle Säulen hinweg nötig. Diese Mission hat sich Swiss Fintech Innovation (SFTI) mit der Initiative Open Pension auf die Fahne geschrieben. Der unabhängige Zusammenschluss Schweizer Finanzinstitute will den Versicherten die Hoheit über ihre Daten an die Hand geben – angefangen bei der beruflichen Vorsorge. Die Versicherten sollen Daten berechtigten Dritten, wie Finanzberatern, digital und einfach weitergeben können.

Im Hinblick auf die potenzielle Öffnung von Vorsorgedaten auf einer unabhänigen Datenplattform ergab eine Pensionskassen-Umfrage der SFTI folgendes Bild:

Grosses Interesse: 90% der Umfrageteilnehmenden begrüssen den Zugang zu Renten- und Risikoleistungsdaten, wie sie derzeit im Vorsorgeausweis ersichtlich sind. 60% erachten Dienstleistungen wie beispielsweise automatische Updates und Online-Simulationen von Rentendaten als wichtig.

Bestehende Hürden: Wenn berechtigte Dritte Zugang zu Daten von Versicherten aus der zweiten Säule erhalten, erwarten die Umfrageteilnehmenden folgende Hürden: mangelnde Abstimmung der Interessengruppen, mangelnde Governance sowie Standardisierung und Interoperabilität.

Vorhandener Wille: 20% der Datenanbieter geben an, ausgewählten Dritten bereits digitalen Zugang zu den Vorsorgedaten der zweiten Säule zu gewähren. Rund ein Drittel der Datenanbieter würde den Zugang nur gewähren, wenn dies gesetzlich vorgeschrieben wäre.

Differenzen bei der Umsetzung: 52% befürworten eine marktgetriebene Öffnung, während 38% eine Regulierung befürworten. Fast alle Umfrageteilnehmer sind sich aber darin einig, dass der Datenzugang nicht auf staatliche Stellen beschränkt werden sollte: nur 11% sind dafür.

Zentrale Verantwortung: 37% bevorzugen eine neue Organisation, die als Public-Private-Partnership strukturiert ist und für die Entwicklung und Pflege sowohl von Standards als auch von zentralen IT-Infrastrukturelementen zuständig ist.

Nutzbare Plattformen: Die Befragten nennen zahlreiche bestehende Plattformen, auf denen der Datenzugriff abgewickelt werden könnte: bLink (28% der Nennungen), BVG Exchange (19%), eBVG/EASX (14%).

Erwarteter Zeitplan: Ein regulatorischer Ansatz wird als der schnellste Weg zu einem breiten digitalen Zugang zu Rentendaten für sichere Drittanbieter angesehen. 45% der Befragten erwarten, dass dies weniger als fünf Jahre dauern wird. 37% gehen von sechs bis zehn Jahren aus.

 

Die vollständigen Umfrage-Ergebnisse finden Sie hier.

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