Die Welt mit anderen Augen sehen

Am 2. April ist Welt-Autismus-Tag. Worum geht es?

Dieser Tag lenkt die Aufmerksamkeit auf jene ein bis zwei Prozent der Schweizer Bevölkerung – also weit über 100'000 Menschen –, die betroffen sind. Es ist eine Chance, breitenwirksam über Autismus aufzuklären, zu sensibilisieren und mit Vorurteilen aufzuräumen.

Vorurteile?

Autismus ist sehr individuell und nicht immer sofort erkennbar. Nicht alle Betroffenen sind wie Greta Thunberg oder Elon Musk, die mit dem Asperger-Syndrom leben – einer Form des Autismus. Deshalb werden alle Formen von Autismus seit einiger Zeit im Begriff «Autismus-Spektrum» zusammengefasst.

Gibt es dennoch Herausforderungen, die Menschen im Autismus-Spektrum teilen?

Generell ist es für Betroffene anstrengend, Beziehungen aufzubauen und zu pflegen, weil sie Zwischenmenschliches in der Regel kognitiv erlernen müssen. Zum Beispiel verstehen sie Sprache eher wortwörtlich. Ein Student mit Autismus, der in einer Bibliothek ein Schild mit der Aufschrift «Bitte leise reden» sieht, fragt sich vielleicht, mit wem er jetzt leise reden soll und weshalb. Auch nehmen Betroffene Reize aller Art, wie Berührungen oder Gerüche, sehr intensiv wahr, weshalb es rasch zu einer Reizüberflutung kommen kann. Dann braucht es Zeit, bis sich die Person wieder davon erholt. Menschen im Autismus-Spektrum brauchen wiederkehrende Strukturen und Rituale – kurzfristige Änderungen oder Unbekanntes lösen grossen Stress aus.

Was zeichnet Menschen mit Autismus im Allgemeinen aus?

Die Betroffenen können bei einem Thema, das sie interessiert, eine sehr hohe Motivation, Konzentrationsfähigkeit und Ausdauer zeigen. Das kann sich in grosser Zuverlässigkeit und Loyalität bemerkbar machen. Ihr ausgeprägtes analytisches und detailorientiertes Denken kann ganz andere Einblicke in einen Bereich ermöglichen. Gleichzeitig können sie kreative und ungewöhnliche Lösungen finden, weil sie die Welt aus einer ganz anderen Perspektive als die meisten Menschen betrachten.

Wo stehen wir in der Schweiz punkto Inklusion?

Mit der Bundesverfassung, dem Sozialversicherungsrecht, dem Behindertengleichstellungsgesetz und der Ratifizierung der Uno-Behindertenkonvention verfügt die Schweiz über gute Grundlagen, die volle und selbstbestimmte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am gesellschaftlichen Leben sicherzustellen. Inklusion muss aber vor allem in den Köpfen der Menschen ankommen, und sie muss im Alltag gelebt werden, sei es in der Bildung, im Sport oder in der Wirtschaft. Deshalb sind Aufklärung sowie konkrete Engagements von Privaten und Organisationen wichtig.

Was kann der Einzelne tun?

Sich zu informieren ist ein wichtiger erster Schritt. Hier können autismus schweiz (as) und ihre Partnerorganisationen in der Romandie und im Tessin professionelle Unterstützung leisten. Wir sind die erste Anlaufstelle für Interessierte, die sich erkundigen möchten, wie sie betroffenen Menschen in ihrem Umfeld helfen können – sei es persönlich oder finanziell.

Welcher Aspekt rund um das Thema Autismus liegt Ihnen besonders am Herzen?

Es ist wichtig und für beide Seiten gewinnbringend, dass wir uns auf Menschen im Autismus-Spektrum einlassen. Ihren Bedürfnissen sollten wir mit Verständnis begegnen. Ihre Fähigkeiten und ihre andere Art zu denken und wahrzunehmen, sind bemerkenswert - eine spannende, bereichernde Welt wird sich eröffnen. Wir verpassen eine Chance, wenn wir es diesen Menschen nicht ermöglichen, sich mit ihrem grossen Potenzial in unsere Gesellschaft einzubringen. Unterstützen wir sie, ein selbstbestimmtes, erfolgreiches und glückliches Leben zu führen!

Dieser Beitrag wurde aktualisiert. Ursprüngliche Veröffentlichung am 31. März 2023.