«Eine Stiftung kann risikoreichere Projekte finanzieren»

Jörg Müller-Ganz, Bankpräsident der Zürcher Kantonalbank, spricht über die Bedeutung von Forschung und Innovation für den Standort Zürich, das Engagement der Bank und die Impulse, welche Stiftungen mit ihrer Fördertätigkeit geben können.

Text: Takashi Sugimoto, Co-Redaktionsleiter The Philanthropist / Bilder: Désirée Good

Jörg Müller-Ganz - Interview The Philanthropist. Foto: Désirée Good
«Das Humankapital ist der wichtigste Rohstoff unseres Landes.» Jörg Müller-Ganz, Bankpräsident Zürcher Kantonalbank

Die Zürcher Kantonalbank unterstützt Forschung und Innovation. Das sind keine typischen Bankaktivitäten. Weshalb machen Sie das?

Die Zürcher Kantonalbank steht zu 100 Prozent im Eigentum der Zürcher Bevölkerung. Im Gesetz, das die Tätigkeiten der Zürcher Kantonalbank vorgibt, heisst es, dass die Bank neben der Führung einer Universalbank auch den Zweck hat, zu Lösungen bei volkswirtschaftlichen und sozialen Aufgaben im Kanton beizutragen.

In welcher Form erfüllt die Zürcher Kantonalbank diesen Zweck in Forschung und Innovation?

Konkret sind wir in vier unterschiedlichen Bereichen engagiert. Als Grundlage fördern wir die vier Hochschulen in Zürich mit erheblichen finanziellen
Mitteln. Wir sind Hauptsponsorin der sieben Innovations- und Technoparks im Kanton.

Weiter unterstützen wir verschiedene Institutionen wie gruenden.ch, die Start-ups helfen, ihren Weg in die Wirtschaft zu finden. Und schliesslich sind wir in der Schweiz die grösste Investorin in Start-ups. Niemand macht mehr. Aktuell haben rund 100 innovative Jungunternehmen Eigenkapital von der Zürcher Kantonalbank. Mit einem Wachstumsfonds bieten wir zudem seit drei Jahren institutionellen Anlegern die Möglichkeit für Direktbeteiligungen an Start-ups.

Die Zürcher Kantonalbank ist eng mit dem Standort Zürich verbunden. Welche Rolle spielt für die Bank die Qualität der Forschungsstätten vor Ort als Basis des eigenen Erfolgs?

Die Forschungs- und Lehrinstitute sind natürlich relevant für unsere Rekrutierung von Fachkräften. Ausserdem sind die Projekte, die wir mit den Hochschulen realisieren, ganz wichtige Know-how-Quellen. Verlassen wir die Mikroperspektive, so trägt die Konzentration einer weltweit führenden Forschung wesentlich dazu bei, dass die Region Zürich heute eine der prosperierendsten weltweit ist. Als die Zürcher Kantonalbank vor 150 Jahren gegründet wurde, war dies nicht der Fall. Der Erfolg als Bank mit dem höchsten Marktanteil im Kanton Zürich hängt direkt mit der wirtschaftlichen Prosperität im Kanton zusammen. Und diese ist das Resultat von Innovation, Forschung und Entwicklung.

Die Zürcher Kantonalbank unterstützt Spitzenforschung, beispielsweise über die Excellence Foundation. Genauso ist sie bei der Berufsmesse Zürich engagiert.

Das duale Bildungssystem ist ein austariertes Modell. Was nützt High-End-Engineering, wenn die Fähigkeiten zur produktspezifischen Umsetzung fehlen? Dank des dualen Bildungswegs bringt die Schweiz überdurchschnittlich qualifizierte Mitarbeitende auf allen Stufen hervor. Pflege und Entwicklung des Humankapitals sind die Wertschöpfungstreiber in unserem Land.

Sie sind Bankpräsident sowie Stiftungsrat und waren Dozent. Sie kennen die Bedeutung von Forschung und Bildung für den Standort Schweiz aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Wie beurteilen Sie das Zusammenspiel der verschiedenen Akteure?

Das Humankapital ist der wichtigste Rohstoff unseres Landes. Und es ist ein Rohstoff, den wir stetig weiterentwickeln müssen. Unser liberales Staatswesen trägt wesentlich dazu bei, dass wir ein Optimum aus dem Humankapital herausholen können. Wir haben ein durchlässiges System, das nicht elitär ist. Die Ausbildung an unseren Hochschulen ist im Quervergleich auf einem hohen Niveau. Und sie ist kostengünstig zugänglich. In den USA zahlen Studierende an den privaten Universitäten deutlich mehr als die rund 1‘000 Franken Semestergebühren.

Und das System funktioniert gut?

Damit es funktioniert, braucht es das Zusammenspiel von drei Anspruchsgruppen: Wissenschaft beziehungsweise Forschung, Wirtschaft und Politik. Das funktioniert recht gut. In anderen Ländern, etwa in Israel, ist die Verbindung enger. Wir sind also gut, können aber noch besser werden.

Welche Rolle können Stiftungen einnehmen?

In unserem Land finanziert im Wesentlichen der Staat die Universitäten. Die Unternehmen tragen die betriebliche Forschung und Entwicklung. Zusätzlich nehmen Stiftungen sowohl bei Universitäten wie auch bei Unternehmen eine ergänzende Rolle ein.

Wie das?

Auch staatliche Mittel sind begrenzt. Genau hier kann eine Stiftungsfinanzierung neue Ideen und Konzepte schneller anschieben und ihnen zum Durchbruch verhelfen. Das erlebe ich bei der ETH Foundation. Sie kann risikoreichere Projekte finanzieren. Auch in der Start-up-Szene gibt es immer wieder Stiftungen, die innovative Jungunternehmen direkt finanzieren, wenn es ihrem Stiftungszweck entspricht. Die Finanzierung von Forschung und Innovation ist nicht die Grundaufgabe der Stiftungen in der Schweiz. Aber sie können eine wichtige Zusatzfunktion einnehmen.

Mit der unsicheren Beziehung zur EU ist auch die Teilnahme am Horizon-Förderprogramm gefährdet. Können Stiftungen hier einspringen?

Horizon 2020 ist bis jetzt für unser Land als voll assoziiertes Mitglied des Programms wichtig gewesen. Seit 2003 hat die EU Milliarden Euro an die Forschung in der Schweiz gegeben. Diese Unterstützung hat eine Hebelwirkung, da sie zusätzliche Mittel von Unternehmen auslösen kann. Stiftungen können dies nicht kompensieren.

Funktioniert Stiftungsfinanzierung also als Ergänzung zu staatlichen Mitteln?

Die staatlichen Mittel garantieren auf Stufe Volks-, Berufs- oder Universitätsbildung das sehr hohe Niveau. Dennoch nimmt die Unterstützung durch Private und Stiftungen zu. Sie ermöglichen Projekte, denen die Finanzierung fehlt. So engagiert sich zum Beispiel die Zürcher Kantonalbank über die ETH Foundation am Zurich Information Security and Privacy Center. Hier tragen wir mit anderen Unternehmen dazu bei, dass die Sicherheit im Internet zunimmt. Aus dieser Forschung ist kürzlich ein Start-up entstanden, welches bereits eine beachtliche Grösse hat und Innovationen im Bereich Sicherheit entwickelt. Ohne Beiträge von Stiftungen, Unternehmen oder Privaten wäre eine Stärkung in diesem Ausmass nicht möglich gewesen. Dies bringt Mehrwert für die ganze Gesellschaft.

Kritiker sehen die Unabhängigkeit der Universitäten durch private Finanzierungen in Gefahr.

Natürlich muss jede Universität sicherstellen, dass es eine klare Entkoppelung von Unternehmergeld und Einflussnahme auf die Forschung gibt. Das ist in unserem Land zentral.

Jörg Müller-Ganz - Interview The Philanthropist. Foto: Désirée Good
«Genau hier kann eine Stiftungsfinanzierung neue Ideen und Konzepte schneller anschieben und ihnen zum Durchbruch verhelfen.» Jörg Müller-Ganz

Ist es ein Vorteil, wenn die Unterstützung über eine Stiftung wie die ETH Foundation läuft?

Die ETH Foundation kann eine Zusatzrolle übernehmen. Sie kann die Unabhängigkeit zwischen Geldgeber und Hochschule gewährleisten, damit die Interessen der Hochschule und der Unternehmen sowie der Stiftungszweck eingehalten werden. Als Verbindungsfunktion kann sie dies ausbalancieren. Förderungsstiftungen von Universitäten und Hochschulen haben genau diese Funktion, die Forschungsstätten zu unterstützen.

Bei der Unterstützung durch die Stiftung: Geht es nur um die finanzielle Unterstützung oder gibt es noch weitere Förderung über das Netzwerk oder das Know-how im Stiftungsrat?

Hauptzweck ist die Finanzierung. Wir müssen den Forschenden nicht erklären, was sie forschen sollen. Dennoch ist der Stiftungsrat der ETH Foundation mit prominenten Vertreterinnen und Vertretern aus der Wirtschaft besetzt. Diese können Türen öffnen.

Die Stiftung Technopark Zürich und die Zürcher Kantonalbank vergeben den Pionierpreis. Welche Bedeutung hat die Unterstützung von Pionierarbeit und Start-ups für die Zürcher Kantonalbank?

Lassen Sie mich ein Beispiel nennen, das mich stark beeindruckt hat. 1887 hatten Charles Brown und Walter Boveri die Idee für ein Unternehmen. Sie scheiterten an der Finanzierung. 1890 lernte Walter Boveri seine spätere Frau Victoire Baumann kennen. Ihr Vater war erfolgreicher Seidenindustrieller aus Zürich. Der zukünftige Schwiegervater vertraute ihm und sprach massgebliche Mittel für die Idee der beiden. Das Ergebnis ist bekannt. ABB gehört heute zu den grössten Industrieunternehmen in unserem Land. Dieser Fall zeigt noch etwas anderes: Heute hat die Seidenindustrie keine Bedeutung mehr. ABB ist aber Vertreterin einer zukunftsträchtigen Industrie. Sie verbindet Elektrifizierung, Robotik, Automation und Antriebstechnik mit Software. Das Beispiel belegt, dass wir mit Innovation die Wohlfahrt und Wertschöpfung von morgen bauen können. Und weil nicht alle einen reichen Schwiegervater haben, der gute Ideen finanziert, übernehmen Investoren wie wir diese Aufgabe. Die Zürcher Kantonalbank ist für Start-ups die grösste Risikokapitalgeberin unter den Banken in der Schweiz.

Und welche Rolle hat der Pionierpreis?

Der Preis prämiert Projekte am Übergang von innovativer Idee zur Marktfähigkeit. In diesem Moment sind die Start-ups noch weit davon entfernt, ein Produkt zu verkaufen. Geld zu erhalten, ist in dieser Phase sehr schwierig. Der Preis unterstützt Jungunternehmen gleich zweifach. Zum einen ist er mit rund 100’000 Franken Startkapital dotiert. Zum anderen hat er eine grosse Breitenwirkung. Die Publizität über Print- und soziale Medien ist sehr hoch. Ausserdem nehmen an der Preisverleihung rund 500 Menschen teil, darunter Privatpersonen mit Interesse an Direktinvestitionen. Daraus können sich zusätzliche Finanzierungsmöglichkeiten ergeben.

Welche Wirkung hat der Preis in den vergangenen 20 Jahren erzielen können?

Die Preisträger der vergangenen Jahre haben Tausende von Arbeitsplätzen in der Schweiz geschaffen.

Die Zürcher Kantonalbank könnte selbst einen solchen Preis vergeben. Was ist der Vorteil, mit der Stiftung zusammenzuarbeiten?

Heute sind Start-ups «everybody’s darling». Man kann sie nicht genug fördern. Vor 30 Jahren war das ganz anders. Der Technopark Zürich wurde 1990 gegründet. Damals war der Begriff Start-up für die breite Masse, die Bevölkerung wie auch für Unternehmen noch unbekannt. Der Technopark entstand in einer Industriebrache in Zürich-West. Es war an sich schon mutig, dort ein Gebäude zu bauen – heute sind dort 300 Jungunternehmen angesiedelt. Der Technopark ist ein Leuchtturm der Innovationsförderung in unserem Land. Gemeinsam mit diesem einen Preis zu vergeben, hat eine grosse Wirkung.

Gibt es ein Start-up, das Sie besonders beeindruckt hat?

Get Your Guide ist ein Spin-off der ETH. Es bietet weltweit Dienstleistungen rund ums Reisen an, wie etwa das Buchen eines persönlichen Guides. Es war das erste Unicorn aus der ETH. Ein Unicorn ist ein Start-up, das mit mehr als einer Milliarde US-Dollar bewertet wird. Am Anfang klappte die Finanzierung nicht. Ein Mitarbeiter der Zürcher Kantonalbank hat sie dann motiviert, nicht aufzugeben, und hat die Finanzierung organisiert. Es ist für mich noch heute ein Paradebeispiel eines Technologieunternehmens, das aus der Schweiz heraus erfolgreich wurde.

Was ist Ihre persönliche Motivation, sich als Stiftungsrat für Forschung und Innovation einzusetzen?

Es hat viel mit meinem eigenen Werdegang zu tun. Ich war Partner und Miteigentümer eines Unternehmens, das Beratungs- und Entwicklungsdienstleistungen anbietet. In dieser Zeit lernte ich die Stimmung von Innovation und Industrie kennen. Genau das finde ich spannend. Heute noch gehe ich gerne in produzierende Unternehmen. Ich habe Freude an Technologie und Innovation, insbesondere wenn unser Land weltmarktführende Unternehmen in verschiedenen Sektoren hervorbringt. Ich habe das Glück, dieses Feuer und diese Freude mit dem Zweck der Bank verbinden zu dürfen. Das ist ganz persönlich befriedigend.

Dieses Interview erschien ursprünglich in «The Philanthropist», September 2021.

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