«Wenn man Immobilien auf den Markt wirft, denkt man wenige Jahre später: Wie dumm!»

Die Schweizerische Nationalbank hat jüngst eindringlich vor den Risiken am Immobilienmarkt gewarnt. Was das für die Branche und die Zürcher Kantonalbank bedeutet, erzählt Risikochef Roger Müller im Gespräch.

Text: Marco Metzler / Bild: Zürcher Kantonalbank

«Wir müssen unseren Kundinnen und Kunden konsequent die Risiken aufzeigen»: Roger Müller, Risikochef der Zürcher Kantonalbank.
«Wir müssen unseren Kundinnen und Kunden konsequent die Risiken aufzeigen»: Roger Müller, Risikochef der Zürcher Kantonalbank.

Das letzte Mal, dass in der Schweiz eine Immobilienblase platzte, war 1991. Können Sie sich daran erinnern?

Roger Müller: Sehr gut sogar. Damals arbeitete ich im Kreditgeschäft und war dann Teil einer Taskforce, die sich mit den Aufräumarbeiten auseinandersetzte.

Was haben Sie da gelernt?

Dass Finanzierungen auf der Substanz nicht gut sind. Dabei rechnet man den Wert der Liegenschaften oder Ländereien auf und macht mit dem durch steigende Preise gewonnenen Spielraum schon die nächste Finanzierung. Heikel ist dies vor allem, wenn es auf der anderen Seite keinen Ertrag gibt. Ein grosses Problem war damals, dass Leute im grossen Stil Ländereien zusammenkauften – mit der Idee durch grosse Überbauungen und Preissteigerungen hohe Gewinne zu erzielen. Das ist ein Unterschied zu heute: Diesmal ortet die SNB die Risiken im privaten Bereich. Die Ausgangslage von damals ist nicht mit der heutigen vergleichbar.

Ende August hat SNB-Vizepräsident Fritz Zurbrügg so eindringlich wie schon lange nicht mehr vor den Risiken am Hypothekar- und Immobilienmarkt gewarnt. Er spricht von einer Überbewertung von 30%. Sehen Sie eine Blase?

Die Menschen sind bereit, die aktuellen Marktpreise zu bezahlen. Ihnen ist es das wert. Von Blase würde ich deshalb nicht reden. Eine solche entsteht erst, wenn die Spekulation einsetzt. Das sehen wir nicht. Wird das Verhältnis von Immobilienpreisen zu Einkommen betrachtet, kommt man schon auf höhere Bewertungen als früher. Entscheidend ist letztlich, was für Finanzierungen dahinterstehen.

Laut Zurbrügg wäre bei einem Zinsanstieg auf 3% die Tragbarkeit bei 20% der neu vergebenen Hypotheken für Wohnliegenschaften nicht mehr gegeben. Bei 4% wären es sogar 30%. Hat Sie das überrascht?

Nein. Diese Statistik macht die SNB auf der Basis der von den Banken gelieferten Daten. Wir kennen die Zahlen für den Gesamtmarkt und die für unsere Bank.

Geht unsere Branche zu hohe Risiken ein?

Die Heftigkeit von Zurbrüggs Warnung hat mich schon überrascht. Aber heute setzen alle auf Wachstum, um die tieferen Margen zu kompensieren. Es gibt die Tendenz im Markt, jede Finanzierung zu ermöglichen. Als Risikochef könnte ich – wenn ich der Schuldner wäre – bei der einen oder anderen Finanzierung nicht mehr gut schlafen.

«Als Bank muss man bei den Kunden, die heute bei der Finanzierung an die Grenzen gehen, dafür sorgen, dass sie die tiefen Zinsen nutzen und Amortisationen vereinbaren.»

Die Verschuldung von Privaten beträgt hierzulande wegen den Hypotheken 150% vom BIP. Damit liegen wir weltweit an der Spitze. Ist das ein Problem?

Stiegen die Zinsen stark an, würde die Verschuldung zum Problem. Dass bei einem Schock alle Schuldner ihren privaten Konsum genügend einschränken könnten, um ihre Hypothekarzinsen weiterhin zu bezahlen, glaube ich nicht. Das ist der springende Punkt: Als Bank muss man bei den Kunden, die heute bei der Finanzierung an die Grenzen gehen, dafür sorgen, dass sie die tiefen Zinsen nutzen und Amortisationen vereinbaren, um die Belehnung etwa während der Laufzeit einer zehnjährigen Festhypothek auf zwei Drittel zu senken.

Die Zürcher Kantonalbank wächst bei den Hypotheken momentan leicht über dem Schweizer Markt. Sind Sie trotzdem entspannt?

Mit Blick auf unser Risikoprofil sind wir eine sehr gut kapitalisierte Bank. Wir haben bei den Hypotheken ein sehr gesundes Gesamtportfolio. Bei dem, was über die Quartale hinzukommt, sieht man die eine oder andere Finanzierung, die durchaus auch noch ein, zwei kritische Fragen zugelassen hätte. Aber mit unserer Basis in der starken Wirtschaftsregion Zürich haben wir gute Voraussetzungen: Hier ist Wohneigentum gesucht und das Angebot begrenzt, weil wenig neu gebaut wird. Wenn Schuldner vereinzelt Probleme bekommen, finden sich Abnehmer. Durch die Einführung von Belehnungsgrenzen und verpflichtenden Amortisationen ist die Situation bei den Eigenmitteln zudem deutlich besser als früher.

Langjährige Besitzer stehen punkto Eigenmittel gut da. Bei Neuabschlüssen muss man genauer hinschauen …

Aus Sicht der Bank ist unser Risikoprofil auch hier gut. Was mich mehr beschäftigt ist die Frage: Wie setzen wir unseren Markenwert als verantwortungsvolle Bank in der Beratung unserer Kundinnen und Kunden um? Wir alle haben jetzt zwei Jahrzehnte mit steigenden Preisen und tiefen Zinsen erlebt. Es gibt viele, die sich nicht vorstellen können, was eine Immobilienkrise ist, geschweige denn, dass es in der Schweiz überhaupt schon einmal eine gab.

«Gerade wenn alle sagen, es passiere nichts, muss man ein bisschen vorsichtiger werden.»

Wie viele der Kundenberaterinnen und -berater der Bank können sich daran erinnern?

In Gesprächen spüre ich, dass es nicht mehr viele sind. Sollte es Probleme geben, könnte genau dieser Punkt der Reputation unserer Bank schaden. Wir müssen unseren Kundinnen und Kunden deshalb – wenn wir sie an Finanzierungen heranführen – konsequent die Risiken aufzeigen. Dass wir eine Finanzierung ermöglichen müssen, weil es sonst die Konkurrenz machen würde, finde ich ein schlechtes Argument. Wir sollten unseren Kunden stattdessen aufzeigen, wie sie die tiefen Zinsen und die Zeit nutzen können, um ihre Belehnung stärker als verlangt zu reduzieren.

Macht die Bank derzeit Ausnahmen bei der Tragbarkeit?

Ja. Die Preise sind so stark gestiegen, dass die Löhne nicht mithalten. Das führt automatisch zu mehr Ausnahmen. Zudem haben wir über die letzten Jahre, geprägt durch die gute Phase, bewusst etwas mehr Risiken genommen. Das muss nicht falsch sein. Denn vorher waren wir auch lange viel zu risikoavers unterwegs. Um als Bank mit den Kunden in die richtige Richtung zu gehen, müssen Finanzierungen im Dreieck zwischen Wachstum, Preis und Risiko austariert werden. Wir steuern deshalb das Geschäft fein, um nicht in eine Spitze des Dreieckes hinauszulaufen und dann mit Sofortmassnahmen korrigieren zu müssen. Als Bank wollen wir mit unseren Kundinnen und Kunden verantwortungsvoll umgehen.

Spiegelt sich dies auch in den Risiko-Modellen der Bank?

Unser Modell weist Tragbarkeitsverletzungen aus. Diese Zahlen schauen wir intern an und rapportieren sie auch der Finma. Typischerweise hat jede Bank ihr eigenes Modell. Vor ein paar Jahren stellte die SNB fest, dass das nicht der beste Weg ist. Deshalb verlangt sie nun von den Banken Daten und hat ein eigenes Benchmarking aufgesetzt. Die Finma schaut diese Daten noch genauer an. Das gibt uns eine Indikation, wo wir als Bank stehen. Und da wir im dynamischen Wirtschaftsraum Zürich tätig sind, gehören wir auf Basis dieses Benchmarkings nicht zu den risikoaversesten Banken des Landes. Aber man kann Zürich auch nicht mit dem Jura vergleichen oder unsere Daten mit denen von national tätigen Banken.

Ende der 80er-Jahre war es eine Leitzinserhöhung, die den Absturz der Immobilienpreise einleitete. Wie tracken Sie das Risiko von plötzlich stark steigenden Zinsen?

Wir machen Stresstests in allen Dimensionen. In der Verlustpotenzialanalyse schauen wir das Risiko für die Bank an. Dasselbe machen wir fürs Portfolio. Da simuliert man einerseits einen Zinsanstieg, anderseits sinkende Immobilienpreise und berechnet, was das für die Bank bedeutet. Wie viel könnten wir maximal verlieren? Was würde das für unsere Eigenmittelquote bedeuten? Auch die SNB hat die Banken schon solchen Stresstests unterzogen. Da sind wir gut weggekommen. Wichtig ist aber auch, auf das eigene Bauchgefühl zu hören: Derzeit sagen alle, Zinserhöhungen könne man sich nicht vorstellen, es gäbe keine fundamentalen Gründe dafür. Ich bin jetzt aber auch schon 40 Jahre im Geschäft. Das Fatalste ist zu glauben, etwas könne nicht passieren, und das Thema deshalb zu vernachlässigen. Gerade wenn alle sagen, es passiere nichts, muss man ein bisschen vorsichtiger werden.

Schon bei einem Preisrückgang von 20% bis 30% wäre laut SNB ein substanzieller Anteil der Hypothekarkredite nicht mehr ausreichend gesichert. Was wären die Folgen?

Je risikofähiger die Banken sind, desto eher können sie mit ihren Schuldnern auch eine schwierige Phase durchlaufen. Solange diese amortisieren und die Zinsen bezahlen, geht das, auch wenn die Hypothek nicht mehr gedeckt sein sollte. Ich bin überzeugt, die Immobilienpreise erholten sich nach einem Schock wieder. Auch das habe ich damals gelernt: Wenn man Immobilien auf den Markt wirft, denkt man wenige Jahre später: Wie dumm!

Das drückt die Preise weiter nach unten …

Genau. Als Institut treibst du die Abwärtsspirale weiter an. Die Frage lautet dann ja stets: Wie risikofähig sind alle Banken zusammen? Wenn ein Institut Probleme bekommt, beginnt es seine Kreditnehmer unter Druck zu setzen: Es verlangt zusätzliche Amortisationen und erhöht möglicherweise die Zinsen. Das kann in einer unheilvollen Entwicklung enden. Dann will niemand als Letzter zur Türe hinausrennen. Die Stresstests zeigen, dass die grossen Hypothekarbanken bei einer Immobilienkrise nicht gleich Probleme bekommen werden. Neue Player wie Finanzierungsplattformen sind schwieriger zu beurteilen. Wie reagieren deren Geldgeber? Behalten die privaten Anleger die Nerven? Die Plattformen sind zwar noch nicht so bedeutend, dass sie den Markt zum Kippen bringen könnten. Aber sie müssen im Auge behalten werden.

Bringt die SNB jetzt wieder den antizyklischen Kapitalpuffer?

Ja – ich verstehe die Rede von Fritz Zurbrügg als entsprechendes Signal.

Was hätte dessen Einführung für Auswirkungen auf die Zürcher Kantonalbank?

Es wird die Zinsmarge leicht mindern, weil wir ein wenig mehr Kapital vorhalten müssen. Einschränkend wird es dann werden, wenn die Eigenmittel zum Engpass werden. Mit unseren hohen Eigenmitteln wird dies kaum passieren. Das Geschäft wird dadurch nicht schlechter und auf die Immobilienpreise oder den Markt für Kreditvergabe wird sich das kaum auswirken, das wäre eine Illusion. Das System als Ganzes wird aber stabiler.

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