Land/Wirtschaft

In kaum einem anderen Kanton liegen urbane Zentren und landwirtschaftliche Produktionsflächen so dicht beieinander wie in Zürich. Trotzdem ist meist nur vom Wirtschaftsmotor Zürich die Rede. Vergessen geht häufig, wie innovativ und für die Schweiz bedeutend die Landwirtschaft im Kanton ist.

Text: Rahel Perrot / Bilder: Véronique Hoegger | aus dem Magazin «ZH» 2/2023

Ja, Zürich ist ein Landwirtschaftskanton: Rund 41 Prozent der Fläche dienen der Landwirtschaft. Mit gut 902 Mio. Franken Jahresproduktionswert im Jahr 2022 erreichte der Kanton bei der Gesamtwertschöpfung in der Schweizer Landwirtschaft den vierten Platz – nach Bern, der Waadt und Luzern. Dies mag nicht so recht ins Bild passen, gilt Zürich doch als Wirtschaftsmotor der Schweiz und wird vor allem mit Banken, Techfirmen aus dem Silicon Valley oder dem Tourismus in Verbindung gebracht.

Grosse regionale Vielfalt

Wegen der grossen Unterschiede bei Topografie und Bodenbeschaffenheit haben sich innerhalb des Kantons regionale Spezialisierungen ­herausgebildet. Das teils sehr hügelige Knonau­eramt entlang der Albiskette erlaubt beispielsweise keinen grossflächigen Anbau von Gemüse. Getreideanbau, Gras- und Milchwirtschaft sind in dieser Region daher typisch. So auch im Zürcher Oberland: Hier findet sich die urtümlichste Landschaft des Kantons. In dieser Gegend dominieren ebenfalls Graswirtschaft und Viehhaltung. Die teilweise voralpine Region erstreckt sich mit ihren meist bewaldeten und steilen Hügeln bis zum Schnebelhorn – mit 1292  m  ü.  M. die höchste Erhebung im Kanton Zürich. Es gibt somit auch Alpwirtschaft. Diese Betriebe sind gut erschlossen und beliebte Naherholungsgebiete für die städtische Umgebung.

Das Zürcher Unterland schliesslich prägen ehemalige Moorböden, die besonders fruchtbar sind. Je nördlicher im Kanton, umso mehr finden sich Ackerbau mit Getreide und Mais, was die Gegend zur Kornkammer Zürichs macht. Spezialkulturen wie Gemüse, Früchte und Beeren wachsen hier ebenfalls gut. Das Rafzerfeld beispielsweise ist bekannt für seine Spargelproduktion. Die Region um Andelfingen ist zudem eine der trockensten und wärmsten Gegenden des Mittellands. Sie wird auch Weinland genannt, und dies nicht ohne Grund: Der Anbau von Reben gelingt hier besonders gut. Der Kanton als Ganzes verfügt über die grösste Rebfläche in Deutschschweizer Kantonen.

Verändertes Konsumverhalten, Digitalisierung und Klimafragen

Gerade der Anbau von Spezialkulturen hat in den vergangenen Jahren stark zugelegt, sagt Ferdi Hodel, Geschäftsführer des Zürcher Bauernverbands. Er ergänzt nicht ohne Stolz: «Mittlerweile sind wir schweizweit die Nummer 2 im Gemüseanbau und sogar die Nummer 1 bei Biogemüse und Biobeeren.» Mit ein Grund für die Zunahme ist der Systemwechsel von 2014 bei den Direktzahlungen: weg von einer tierbezogenen hin zu einer flächenbezogenen Zahlung. Ohnehin gehörte Zürich, anders als die Kantone Bern, Luzern oder Freiburg, noch nie zu den Grossen bei der Fleischproduktion. Dennoch hat sich die Zürcher Produktionsleistung bei Hühnern und Eiern in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt – «aufgrund einer stark wachsenden inländischen Nachfrage nach Schweizer Poulet und Eiern», erläutert Ferdi Hodel.

Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Nahrungsmittelknappheit galt in der Schweiz als oberstes Ziel, so viel wie möglich zu produzieren. «Der Staat hat vorgegeben und der Bauer hat geliefert», erklärt Ferdi Hodel das damalige Prinzip. Doch dann habe es vor 30 Jahren ein Umdenken gegeben. «Themen wie das Tierwohl oder die Boden- und Wasserqualität kamen auf. Die Gesellschaft begann, die Praktiken der vergangenen Jahrzehnte zu hinterfragen.»

Dies hat die landwirtschaftliche Produktionsweise in verschiedener Hinsicht beeinflusst. Gemäss Bauernverband werden heute halb so viel Pflanzenschutzmittel eingesetzt wie noch vor 15 Jahren. Auch bei der Gabe von Antibiotika – mit Blick auf die nationale Strategie zur Eindämmung von Antibiotika­resistenzen von 2015 – sind Landwirtinnen und Landwirte zurückhaltender als früher. Dennoch erziele man heute eine ähnlich hohe Produktivität, nicht zuletzt wegen der auch in der Landwirtschaft voranschreitenden Digitalisierung. ­

«Bereits heute kommen Roboter bei der Unkrautbekämpfung zum Einsatz. Damit kann jeweils der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und schweren Maschinen massiv verringert werden. Viele Betriebe nutzen zudem GPS-Systeme, Melkroboter oder computergesteuerte Fütterungssysteme», erläutert Ferdi Hodel. «Durch die Automation von Prozessen können die Betriebe effizienter arbeiten. Sie fingen an, sich zu spezialisieren und Nischenprodukte anzubieten. Die Bauern wurden zu Unternehmern.»

Immer grössere Betriebe

Die Anzahl der Landwirtschaftsbetriebe im Kanton Zürich hat in den letzten Jahren kontinuierlich abgenommen. Waren es nach der Jahrtausendwende 4’724 Betriebe, sind es heute noch 3’078. Gleichzeitig nimmt die Zahl grosser Höfe mit mehr als 30 Hektaren Fläche zu: Innerhalb von zehn Jahren hat sich ihr Anteil verdoppelt. Im Kanton Zürich machen sie heute knapp 30 Prozent aus. Die Milchwirtschaft steht dabei exemplarisch für die auch schweizweit zu beobachtende Entwicklung hin zu grösseren und effizienteren Betrieben: Die durchschnittlich produzierte Milchmenge pro Betrieb stieg zwischen 2008 und 2017 um 45 Prozent. Die Zahl der Milchproduzenten ging im gleichen Zeitraum pro Jahr um fünf Prozent zurück.

Mehr Zusatzdienstleistungen

Nicht nur die Grösse, auch das Angebot der Zürcher Höfe verändert sich. Landwirtschaftliche Dienstleistungen wie Waldarbeiten für Dritte oder nicht landwirtschaftliche Nebentätigkeiten wie Agrotourismus haben zugenommen, auch die Direktvermarktung ab Hof. «Gerade im städtisch geprägten Kanton mit einer hohen Affinität zu Ernährungsthemen und -trends hat der Verkauf ab Hof ein hohes Potenzial», sagt Ferdi Hodel, fügt aber auch an: «Der erneute Schub während der Corona-Pandemie ist leider wieder weg. Konsumentinnen und Konsumenten sind angesichts der gegenwärtigen Teuerung sehr preissensibel.»

Je städtischer eine Gegend, umso wichtiger ist die Landwirtschaft auch unter dem Aspekt der Naherholung. Einzelne Betriebe hätten sich daher auch auf Erlebnisangebote wie Ferien auf dem Bauernhof oder Events spezialisiert. «Sie leisten damit einen wichtigen Beitrag zur Aufklärung und zur Imagepflege», ist der Geschäftsführer überzeugt. Denn die städtische Bevölkerung habe nur noch wenig Bezug zur Landwirtschaft. Kaum jemand habe noch Verwandtschaft, die auf einem Hof tätig sei. Hier setzen auch Kommunikationskampagnen des Verbandes wie «Farmfluencer» oder «Naturtalent» an, indem sie mit YouTube-Videos den Alltag der Landwirtinnen und Landwirte vermitteln, gerade auch der jüngeren Generation.

Fachkräfte von morgen

Junge Menschen für die Landwirtschaft begeistern und Fachkräfte von morgen ausbilden: Der Strickhof, eine Abteilung des Amts für Landschaft und Natur des Kantons Zürich, ist das Deutschschweizer Kompetenzzentrum für Bildung und Dienstleistungen in Land- und Ernährungswirtschaft. Das Schuljahr 2022/23 zählte 4’313 Lernende in der Aus- und Weiterbildung, davon 533 in der landwirtschaftlichen Grundbildung. Diese Zahl war in den vergangenen Jahren sukzessive zurückgegangen, kann sich nun aber halten.

Der Strickhof arbeitet eng mit Hochschulen zusammen. So zum Beispiel beim AgroVet-Strickhof mit Standorten in Lindau und Winterthur: Hier treffen universitäre Bildung und Forschung im Bereich der Agrar- und Veterinärwissenschaften von ETH und Universität Zürich auf die praktischen Bedürfnisse der Landwirtschaft, im Speziellen bei der Rindviehhaltung. Themen wie das Tierwohl in der Nutztierhaltung oder die Reduktion von Methan stehen bei den Forschungsprojekten im Zentrum. Am AgroVet-Strickhof untersuchen aktuell drei Versuchsanlagen, wie der Methanausstoss von Rindern durch unterschiedliche Futterzusätze reduziert werden kann.

Seit 2019 werden zudem im Projekt «Preci­sion-Farming-Technologien» neue Anwendungen getestet. Dadurch sollen der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln weiter reduziert sowie die mechanische Unkrautbekämpfung verbessert werden. Mit «Innovativi Puure» besteht seit ein paar Jahren ein Dienstleistungsangebot zur Förderung unternehmerisch-innovativer Landwirtinnen und Landwirte im Kanton Zürich. Mit Anlässen und Berichterstattungen zu erfolgreichen Innovationen sollen Betriebsleitende zu betrieblichen Innovationen animiert werden. Mittels Businessplan-Kursen und Coaching werden Erfolg versprechende Innovationsideen gefördert.

Food-Trends aufgreifen

Innovativ sein, auf sogenannte Food-Trends eingehen: Der Strickhof experimentierte 2018 beispielsweise mit Quinoa. Dieses aus Südamerika stammende Gänsefussgewächs ist reich an Inhaltsstoffen und wird erst seit kurzer Zeit auch in Europa kultiviert. Entsprechend fehlte es an Erfahrungen zu dessen Anbau. Das trockene und warme Jahr 2018 erwies sich als ideal für Quinoa. Auch Ferdi Hodel nennt aktuelle Beispiele, wo für die Schweiz neue Arten angepflanzt werden: «Die Familie Müller baut auf ihrem Gemüsebaubetrieb in Steinmaur seit acht Jahren Ingwer an. Mit dem scharfen Gewürz aus biologischer Produktion
reagierte sie nicht nur auf eine wachsende Nachfrage, sondern auch auf das sich ändernde Klima. In der Zwischenzeit werden in Steinmaur jährlich zirka zwei Tonnen Ingwer geerntet, und das exotische Sortiment wurde auf Kurkuma ausgeweitet.»

Zurzeit seien auch Kichererbsen sehr gefragt. An verschiedenen Standorten würden daher Anbauversuche laufen. Das grosse Potenzial könne aber noch nicht ausgeschöpft werden. «Es sind noch einige Weiterentwicklungen bei den Anbausorten nötig», gibt Ferdi Hodel zu bedenken und fügt an: «So gerne wir auf Ernährungstrends eingehen, von heute auf morgen kann kaum ein Betrieb umsatteln. Investitionen in einen Milchkuhstall beispielsweise müssen sich zuerst mortisieren. Neu bewirtschaftete Böden brauchen zudem teils mehrere Jahre, bevor sie Ertrag abwerfen – eine finanzielle Herausforderung für die Betriebe.»

Landwirtschaft im Wandel

Die Biodiversität, sprich die Vielfalt an Lebensräumen, Tier- und Pflanzenarten, nimmt seit Jahren ab. Gründe dafür sind die Ausdehnung von Stadtflächen und Infrastrukturen, die Umweltbelastung, die Zunahme invasiver, also gebietsfremder Tier- und Pflanzenarten sowie der Klimawandel. So sind gemäss Pro Natura seit 1900 in der Schweiz 95 Prozent der Trockenwiesen und -weiden verschwunden, 60 Prozent der Insekten sind gefährdet.

Die Landwirtschaft im Kanton Zürich gibt hier etwas Gegensteuer: Der Anteil der ökologischen Ausgleichsflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche liegt mit 15 Prozent doppelt so hoch wie durch den ökologischen Leistungsnachweis gefordert. Die sogenannten Biodiversitätsförderflächen haben über die Jahre stetig zugenommen. Hier leisten Bäuerinnen und Bauern nicht nur Landschaftspflege, sondern tragen auch zum Artenschutz bei und zum Erhalt diverser Ökosystemleistungen. Besondere Beispiele sind die Bestäubung oder die natürliche Schädlingsregulierung.

Der Landwirtschaftssektor im Kanton Zürich befindet sich im Wandel. Es ist davon auszugehen, dass Wetterextreme in den kommenden Jahren zunehmen. Trockenperioden müssen mit schlauen Bewässerungsanlagen aufgefangen werden können. In den letzten drei Jahrzehnten hat die Bodenqualität global abgenommen, auch in der Schweiz. Eine Umstellung heutiger Bewirtschaftungspraktiken ist darum die Grundlage für die Sicherung der Ernährung. Ferdi Hodel vom Bauernverband Zürich sieht es so: «Ein gesunder Boden liegt im Interesse aller Landwirtinnen und Landwirte. Er ist unsere Grundlage. Wir müssen deshalb für ihn Sorge tragen.»

Landwirtschaft in Zahlen

3’078

Anzahl Landwirtschaftsbetriebe im Kanton Zürich 2022. 904 davon bewirtschaften über 30 ha. Ihr Anteil hat sich in den letzten zehn Jahren fast verdoppelt, zulasten der mittelgrossen Betriebe zwischen 10 und 30  ha.

16,5 %

Anteil der Bio-Fläche an der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche, bewirtschaftet von 476 Betrieben. 2010 betrug der Anteil Bio-Fläche 9,1 % bei 315 Betrieben.

CHF 41,2 Mio.

So hoch lag der Produktionswert von Geflügel und Eiern im vergangenen Jahr. Verglichen mit dem Jahr 2000 entspricht dies einer Verdoppelung (CHF 20,2 Mio.).

0,3 %

Anteil der Landwirtschaft an der gesamten Zürcher Bruttowertschöpfung. Er liegt seit Jahren stabil bei rund 0,3% und entspricht aktuell rund CHF 375 Mio.

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