Hinschauen lohnt sich

Ein naher Badeweiher, ein schmucker Glockenturm, ein Hahn und sein morgendlicher Weckruf – was nach ländlicher Idylle klingt, kann schnell als störend empfunden werden. Allem voran Lärm, doch auch Gerüche und Erschütterungen beeinträchtigen die Wohnqualität. Bevor Sie sich für ein bestimmtes Eigenheim entscheiden, sollten Sie deshalb die dortige Nachbarschaft unter die Lupe nehmen.

Text: Simona Stalder / Illustrationen: Benjamin Hermann | aus dem Magazin «ZH» 2/2022

Illustration Eigenheimkauf

Es gehört zum Sommer wie das Raketenglacé für die Kleinen: das Grillieren. Ob auf der Dachterrasse, im Garten oder auf dem Balkon, überall lassen die Menschen das Grillgut brutzeln – am liebsten über glimmender Holzkohle und zusammen mit Freunden.

Was für die eine nach einem perfekten Sommerabend klingt, ist dem anderen ein Dorn im Auge. «Grillgeruch und Lärm, das beides bei geselligem Beisammensein im Freien entsteht, führen in einer Nachbarschaft regelmässig zu Konflikten», sagt Cornel Tanno, Leiter Rechtsberatung und Prozessführung beim Hauseigentümerverband des Kantons Zürich (HEV).

Doch auch Bäume und Sträucher, die zu nahe beim angrenzenden Grundstück wachsen, dort Schatten werfen oder dessen Bewirtschaftung mit ihren Ästen und dem Wurzelwerk erschweren, seien besonders in der warmen Jahreszeit ein Reizthema. Tanno spricht aus über 20 Jahren Erfahrung beim HEV. Er beobachtet in jüngster Zeit eine Zunahme der Nachbarschaftsstreitigkeiten. Eine Anfrage beim Verband der Friedensrichterinnen und Friedensrichter des Kantons Zürich bestätigt dies: «Seit der Corona-Pandemie gibt es mehr Fälle – nicht nur in absoluten Zahlen, sondern auch deren Anteil an sämtlichen Klagen auf Stufe Friedensrichter betreffend», sagt Reto Aschwanden, Präsident des Verbands.

Und nicht nur das, Tanno stellt ebenso eine Verschärfung im Ton fest: «Die Leute sind heute weniger bereit, das Gespräch zu suchen und Kompromisse zu finden.» Er sieht den Bedeutungsverlust nachbarschaftlicher Beziehungen und die zunehmende Anonymität, die in vielen Siedlungen herrsche, als Grund für diese Entwicklung. Häufig werde von Beginn weg über einen Anwalt oder eine Anwältin kommuniziert und auch die Hemmschwelle, die Gegenpartei anzuzeigen, sei gesunken. Ist der Streit mit der Nachbarschaft einmal entbrannt, kann die Wohnqualität erheblich sinken. In einer Studie des Online-Vergleichsdiensts ­Comparis gaben 16 Prozent der Befragten an, wegen eines Streits mit einem Nachbarn oder einer Nachbarin schon einmal umgezogen zu sein.

Es ist aber nicht immer jemand von nebenan, der einem das Zuhause verleidet – auch Partygänger, ein Sportplatz in der näheren Umgebung oder Fluglärm können sie und ihn zur Weissglut treiben. Überprüfen Sie deshalb die folgenden Punkte, bevor Sie sich für ein Haus oder eine Eigentumswohnung entscheiden.

Wer wohnt nebenan?

Illustration Schluss

Häufig zieht es junge Familien in ein Quartier, in dem bereits viele Kinder leben. Pensionärinnen und Pensionäre bevorzugen hingegen eher eine etwas weniger lebhafte Nachbarschaft. Kurz: Ob sich jemand in einem bestimmten Umfeld wohlfühlt, hängt stark von den individuellen Bedürfnissen ab.

Verbringen Sie etwas Zeit im Quartier, um sich einen ersten Eindruck zu verschaffen – vielleicht ergibt sich sogar ein Gespräch mit einem zukünftigen Nachbarn oder einer zukünftigen Nachbarin. Beim Stockwerkeigentum sind die Protokolle der Eigentümerversammlungen eine aufschlussreiche Quelle: «Sie vermitteln einen Eindruck vom Geist, der in einer Hausgemeinschaft herrscht, und geben einen Hinweis, wie einvernehmlich das Miteinander ist», sagt Monika Bürgi Geng, Leiterin Immobilien-Dienstleistungen bei der Zürcher Kantonalbank. Kaufinteressentinnen und -interessenten dürfen die Protokolle von der Verwaltung der Immobilie zur Einsicht verlangen. Jedoch: Bei einem solchen Blick auf die Nachbarschaft handelt es sich immer nur um eine Momentaufnahme, die Zusammensetzung kann sich jederzeit ändern.
 

Was steht im Grundbuch?

Illustration Grundbuch

Liegenschaften können mit Dienstbarkeiten belegt sein. Diese können die Nutzung eines Grundstücks stark einschränken – etwa wenn der Eigentümer vertraglich darauf verzichtet, sein Haus über eine bestimmte Höhe hinaus aufzustocken. «Bei einem Verkauf des Grundstücks ist der neue Eigentümer an diesen Verzicht gebunden, sofern er als Dienstbarkeit im Grundbuch eingetragen ist», erklärt Cornel Tanno. Gerade an Lagen mit See- oder Bergsicht seien solche Baubeschränkungen häufig anzutreffen. Weitere Beispiele von Dienstbarkeiten sind das Näherbaurecht, das einen von der Einhaltung der gesetzlich definierten Gebäude- und Grenzabstände ganz oder teilweise befreit, sowie das Leitungsrecht als Recht, Leitungen für Strom, Wasser oder Abwasser über ein benachbartes Grundstück zu führen.

Woran besteht Miteigentum?

Illustration Miteigentum

Beim Stockwerkeigentum befinden sich wesentliche Anteile des Gebäudes im Gemeinschaftseigentum – etwa das Dach, die Fassade und der Umschwung. Dass auch ein Einfamilienhaus Gemeinschaftseigentum mit sich bringen kann, ist vielen nicht bewusst. Es birgt jedoch einiges Konfliktpoten­zial. Monika Bürgi Geng weiss: «Ob es in einer Tiefgarage Ladestationen für E-Autos braucht oder ein Spielplatz vergrössert werden soll, sehen naturgemäss nicht alle Miteigentümer gleich.» Manchen Konflikten lasse sich mit einem Nutzungs- und Verwaltungsreglement vorbeugen – insbesondere, wenn dieses auch die Kostenteilung bei Renovationen und Sanierungen regle. Auch beim Stockwerkeigentum sind es oft Sanierungen, die zu Meinungsverschiedenheiten führen. Auch hier können die Protokolle der Eigentümerversammlung Aufschluss darüber geben, wie die Verhandlungen zu diesem Thema bisher verlaufen sind. «Darüber hinaus sollten Personen mit realen Kaufabsichten bei der Verwaltung Einsicht in den Erneuerungsfonds und einen allfälligen Sanierungsplan verlangen – auch um abzuschätzen, welche Zusatzinvestitionen nach dem Kauf auf sie zukommen», sagt Bürgi Geng.

Was ist sonst noch in der Nähe?

Illustration Baustelle

Ein Industriegebiet, einen Club oder eine Schweinemast wünscht sich wegen der Lärm- und Geruchsimmissionen niemand als Nachbarn. Bei anderen Anlagen ist es weniger eindeutig: Eine nahe gelegene Schule ist für Familien mit Kindern ein Glücksfall, jemand anders kann sie als Lärmquelle sehen. Das Gleiche gilt für Sportplätze, Freibäder oder Kirchtürme – die eine stört’s, den anderen nicht.

«Um herauszufinden, ob sie Art und Dimension der anfallenden Immissionen als lästig empfinden, sollten sich Interessentinnen und Interessenten zu unterschiedlichen Zeiten im Quartier aufhalten», empfiehlt Monika Bürgi Geng. Wie viel Lärm zu dulden ist, steht in der kommunalen Zonenordnung. Sie hält fest, welche Lärmempfindlichkeitsstufe einem Gebiet zugeordnet ist – von Stufe I in lärmsensiblen Erholungszonen bis Stufe IV in Industriezonen. Links und rechts des Zürcher Hauptbahnhofs gilt beispielsweise mehrheitlich Stufe III.

Ebenfalls unbeliebt sind langwierige Bauarbeiten auf benachbarten Grundstücken. «Bei unbebauten Parzellen in Bauzonen muss ich damit rechnen, dass irgendwann die Bagger anrücken – das kann in einem Jahr sein, aber auch erst in fünf Jahren», sagt Bürgi Geng. Auch bei eingeschossigen Gebäuden könne es im Zuge einer Verdichtung jederzeit passieren, dass sie aufgestockt oder durch einen mehrgeschossigen Neubau ersetzt würden. Immerhin: Die Unannehmlichkeiten einer Baustelle sind vorübergehend. Ist jedoch die Bergsicht einmal verbaut, die den Ausschlag für den Kauf eines Objekts gab, ist guter Rat teuer. Es kann sich deshalb lohnen, vorab zu recherchieren, ob bereits ein Bauprojekt ausgeschrieben wurde, das die Aussicht beeinträchtigt.

Wie ist die Verkehrs­anbindung?

Illustration Verkehr

Niemand möchte an einer stark befahrenen Strasse, unter einer Flugschneise oder an einem Bahngleis wohnen, alle möchten aber eine gute Verkehrsanbindung mit kurzen Pendelzeiten. Die gute Nachricht ist: «Das eine schliesst das andere nicht aus», wie es Ursina Kubli, Leiterin Immobilienresearch bei der Zürcher Kantonalbank, formuliert. Sie und ihr Team haben für jedes Schweizer Wohngebäude analysiert, wie exponiert dieses gegenüber Strassenlärm ist. Dabei zeigte sich: In den grössten Städten wohnt es sich nicht immer am lautesten. Zürich liegt beispielsweise im Mittelfeld. Und Winterthur liegt schweizweit gar auf Platz 2 der Städte mit der geringsten Lärmbelastung in Wohngebieten. Auch innerhalb der Zentren lohnt sich genaues Hinhören. Kubli: «In Zürich sind die Gebäude entlang der Rosengartenstrasse sehr stark durch Strassenlärm belastet. Bereits eine Strasse weiter kann es aber sehr ruhig sein.» Es ist also besser, sich von Fall zu Fall ein Bild zu machen, als eine Gegend per se grossräumig auszuschliessen.

Fazit: Auf zentrale Punkte fokussieren

In einer idealen Welt lautete die Empfehlung, diese Punkte sorgfältig und in aller Ruhe abzuklären. Fakt ist jedoch, dass der Immobilienmarkt noch immer stark ausgedünnt ist. Die Transaktionszeit – also die Zeit von der Insertion einer Immobilie bis zum Abschluss des Kaufvertrags – hat sich dadurch verkürzt: Inserate für Einfamilienhäuser im Kanton Zürich sind heute im Durchschnitt 24 Tage lang online – halb so lang wie vor fünf Jahren. Neben der Höhe des Kaufangebots ist also auch das Tempo entscheidend, ob eine Interessentin oder ein Interessent den Zuschlag erhält. Sie sollten sich deshalb auf die für Sie zentralen Punkte fokussieren und diese schnell klären. «Ein absolutes Muss ist ein Blick auf den Grundbuchauszug», sagt Cornel Tanno. «Der Kaufvertrag geht auf Dienstbarkeiten selten en détail ein. Ist er einmal unterschrieben, gibt es kein Zurück mehr.» Es kann aber auch eine Strategie sein, bestimmte Immissionen bewusst in Kauf zu nehmen. «Wer etwa gegen Lärm eher unempfindlich ist, kann bei exponierten Objekten von einem Preis­­abschlag gegenüber vergleichbaren Standorten mit geringer Lärmbelastung profitieren», sagt Ursina Kubli. An der Zür­cher Rosengartenstrasse liegt die lärmbedingte Mietpreisreduktion bei bis zu vier Prozent. Weil der Faktor Lärm bei Wohneigentum stärker ins Gewicht fällt als bei Mietobjekten, ist der Preisabschlag bei Wohneigentum sogar noch grösser. Bei den aktuellen Rekordpreisen für Immobilien dürfte dies auch des Nachbars Grillabend in einem anderen Licht erscheinen lassen.