Damit Gold nicht nur aussen glänzt

Woher stammt das gelbe Edelmetall, wie wird es abgebaut, verarbeitet und gehandelt? Früher interessierten diese Fragen kaum. Heute aber dürfen sie nicht unbeantwortet bleiben. Wir nehmen Sie mit auf eine goldene Reise, bei der keine Etappe im Dunkeln bleibt.

Text: Patrick Steinemann / Illustrationen: Svenja Plaas | aus dem Magazin «ZH» 3/2021

Illustration von gestapelten Goldbarren

Stellen wir uns einen Banktresor tief unter der Erde vor: schwere Panzertüren, Türme voller aufgeschichteter Barren. Glanz. Gold.

Die Realität sieht etwas nüchterner aus: Metallgestelle wie in einem herkömmlichen Logistikzentrum, schwarze Schachteln auf rohen Holzpaletten. Der Beipackzettel: schnörkellose Schrift auf weissem Papier, ein Logo des Herstellers und eines der Bank. Der Inhalt: Metallware, zwar tatsächlich hellgelb glänzend, aber irgendwie ohne Zauber. Eingepackt, eingelagert, eingetragen.

Doch diese Goldbarren sind keine gewöhnlichen. Ein eingraviertes «Z» und eine Seriennummer weisen sie als «Traceable Gold» aus. Der Lieferweg dieses in Einheiten von 250 bis 1’000 Gramm gegossenen Edelmetalls ist vollständig rückverfolgbar bis in die Mine, in der es abgebaut wurde.

Und das ist aussergewöhnlich?

In anderen Bereichen unseres Lebens ist es doch längst zum Standard geworden: Im Supermarkt strahlt uns ein freundlich lachender Bauer vom in Zellophan verpackten Kopfsalat entgegen, er nennt uns auf dem Etikett seinen Namen und garantiert, dass das Blattgemüse auf seinem Feld gewachsen ist. Und auf der Menükarte im Restaurant um die Ecke deklariert die Wirtin, von welchem Metzger im Dorf sie unser Schweinskotelett bezogen hat.

Ist vollständige Transparenz in der Lieferkette wirklich ein Novum beim Goldhandel?

Garantie über die ganze Lieferkette

«Ja, ist es», sagt Drazen Repak, Leiter des Edelmetallhandels bei der Zürcher Kantonalbank, und ordnet es sogleich ein: Klar, das Thema sei latent schon seit längerer Zeit aktuell gewesen. Klar, Nichtregierungsorganisationen hätten immer wieder auf die teilweise problematischen Zustände beim Abbau und bei der Verarbeitung hingewiesen, nicht nur beim Gold, sondern bei vielen Rohstoffen. Und klar, die Branche habe auch schon vor Jahren gehandelt – die Zürcher Kantonalbank als grösste Goldhändlerin der Schweiz etwa bereits 2015 mit dem Angebot kleiner Fairtrade-Goldbarren von 1 bis 20 Gramm. Und doch: «Mit dem Traceable Gold können wir erstmals eine Garantie über die gesamte Produktions- und Lieferkette von grossen Goldbarren abgeben», sagt Repak.

Für ihn ist das neue Angebot ein logischer Schritt: «Nachhaltigkeit ist Teil unseres Leistungsauftrags – und diese ist ohne Transparenz nicht zu erreichen.» Die Zürcher Kantonalbank stehe bei diesem Thema jedoch nicht allein: «Die Anforderungen an die Umwelt-, Sozial- und Governance-Themen steigen auch bei den Investoren ständig. Diese ESG-Themen verlangen nach neuen Pflichten beim Reporting und diese wiederum bedingen eine lückenlose Dokumentation.» Aber auch die Ökonomie spiele eine Rolle: «Heute fragen institutionelle Anleger verstärkt nach verantwortungsbewusst hergestellten Goldprodukten, denn die Rückverfolgung von Edelmetallprodukten entwickelt sich zu einem Wettbewerbsvorteil», so Repak.

Doch wie sieht eine solche transparente Lieferkette nun konkret aus? Inwiefern hat dieses «Z» auf den Goldbarren im Banktresor seine Berechtigung?

Illustration zum Giessen von Goldbarren

Eine widersprüchliche Geschichte

Edelmetallhändler Repak schickt uns auf dem Weg zurück zum Ursprung der Goldbarren ins Tessin. Wir sitzen im Zug nach Süden und lesen in einem dünnen Buch mit goldenem Einband. Es ist schwere Kost, die uns Bernd-Stefan Grewe mit «Gold – Eine Weltgeschichte» serviert. Der Universitätsprofessor aus Tübingen blendet uns nicht nur mit goldenen Götzen in der Antike und dem El Dorado in der Neuen Welt. Er leuchtet auch in die vielen dunklen Ecken und Zeiten: Goldraub, Eroberung, Kolonialisierung, Ausbeutung. Er berichtet vom ungeheuren Reichtum der Goldbesitzer – und vom unermesslichen Leid für alle anderen Beteiligten. Woher das Gold stammte, war den Besitzenden meistens nicht so wichtig. Wohin das Gold gelangte, haben die Schürfenden nie erfahren. Für keinen anderen Rohstoff hätten die Menschen über Jahrhunderte so grosse Strapazen auf sich genommen, kein anderes Metall habe das Handeln der Menschen je so stimuliert wie Gold, schreibt Grewe. Er schildert die oft menschenverachtenden Arbeitsbedingungen in den Minen, die gravierenden und irreparablen Eingriffe in die Ökosysteme – ob im alten Rom oder im modernen Südamerika. «Kaum ein anderer Stoff hat eine derart widersprüchliche Geschichte», lautet Grewes Fazit.

Probleme offen thematisieren

Voller widersprüchlicher Gedanken im Kopf steigen wir in Mendrisio aus. Gehen ein paar Schritte. Stranden zwischen Bahngeleisen und Fashion-Outlet-Center vor einer hohen, grauen Mauer aus Beton. Stacheldraht oben drauf. Nur der goldene Firmenname Argor-Heraeus gibt einen dezenten Hinweis, was dahinter zu finden ist. Christoph Wild, CEO der Goldraffinerie, empfängt uns in seinem Büro – und spricht genauso Klartext wie der Historiker Grewe: «Es gibt kein ethisches oder unethisches Gold. Es gibt im Goldhandel nur Akteure, die fair handeln – oder jene, die es nicht tun.» Auf welcher Seite sein Unternehmen steht, macht Wild rasch deutlich. Er spricht die teilweise nach wie vor bestehenden Probleme in seiner Branche offen an: Kinder- und Zwangsarbeit, Vergiftung von Menschen und Umwelt durch Quecksilber bei der Goldgewinnung, unfaire Goldpreise.

Wild, seit Jahrzehnten im Geschäft, kennt aber auch die Gegenmittel für diese Probleme: Ehrlichkeit, Fragen, Regeln. «Niemand ist perfekt, auch wir nicht. Aber wir streben danach, uns und unsere Prozesse ständig zu verbessern. Indem wir etwa unsere Lieferanten sehr kritisch fragen, unter welchen Bedingungen das Gold abgebaut wird. Indem wir nur mit Partnern zusammenarbeiten, deren Herstellungsbedingungen unsere Kriterien erfüllen. Oder indem wir uns selbst an alle Branchenstandards halten.» Wild ruft eine Prä­sentation auf seinem Bildschirm auf, die Buchstabenkürzel der von ­Argor-Heraeus eingehaltenen Richtlinien, Prinzipien und Industriestandards türmen sich wie die Goldbarren in unserem Gedanken-Tresor: RGG, RSG, WGC, EICC, LBMA. Wild zeigt auf die letzte Abkürzung: «Die LBMA Responsible Sourcing Guidance des Londoner Edelmetallmarkts ächtet Menschenrechtsverletzungen, bekämpft Geld­wäsche und Korruption, unterbindet Terrorismusfinanzierung und fördert den nachhaltigen Umgang mit der Umwelt.»

Illustration zu Goldschmuck

Dass Goldkunden wie Banken oder Investoren vermehrt den Finger auf die wunden Punkte legen und verstärkt Transparenz fordern, begrüsst Wild – und er schiebt gleich hinterher: «Neu ist das für uns nicht. Denn andere Endabnehmer wie die Uhren- und Schmuckindustrie setzen schon seit einiger Zeit auf faire Bedingungen und fordern uns als zentralen Akteur in der Gold-Wertschöpfungskette auf, unser verantwortungsvolles Handeln zu belegen.»

Das ist unser Stichwort, Herr Wild. Können Sie uns nun zeigen, wie dieses «Z» auf den «Traceable»-Goldbarren kommt?

Der CEO streift seine Büroschuhe aus. Zieht verstärkte Spezialschuhe an. Wirft sich einen blauen Produktionsmantel über. Und hält den Badge an eine Tür. Dann tritt er mit uns ein in eine andere Welt: Brenner fauchen. Lüftungen dröhnen. Maschinen klopfen.

Separate Produktion

Wild schreitet durch grosse Hallen. Zeigt, wie sich das Edelmetall über all die Produktionsschritte verbiegt, verformt, verändert. Vom groben Rohling zum unscheinbaren Sand und schliesslich zu körnigen Platten, die endlich: glänzen. Er zeigt, wie seine Mitarbeitenden Barren giessen und prägen – ganz spezielle auch mit einem grossen «Z». Und er zeigt immer wieder das Gleiche: die Beipackzettel. Hier sind sie nicht weiss wie im Banktresor, sondern grün, rot oder blau. «Jeder Zettel dokumentiert die Herkunft des Goldes, die Charge, die einzeln verarbeitet wird, und den Kunden, für den die Lieferung schliesslich bestimmt ist», erklärt Wild. Ökonomisch seien solche separaten Produktionslinien nicht unbedingt. Aber unabdingbar, um jedes Gramm des Edelmetalls jederzeit zweifelsfrei zuordnen zu können. Und vor allem sei dieses Vorgehen völlig anders als früher, als Gold zur Optimierung der Produktion häufig aus beliebigen Quellen zusammengeschmolzen worden sei.

Am Ende des Rundgangs stehen wir dort, wo die Produktion ihren Anfang hat: bei der Anlieferung der sogenannten Doré-Barren aus den Minen. Die Rohlinge enthalten oft mehr Silber und andere Metalle als Gold. «Hier», sagt Wild, «machen wir den Abstrich für den PCR-Test.» Ein Test für lebende Viren am toten Metall? Natürlich nicht: «Hier sichern wir den forensischen Beweis, dass das Rohmaterial tatsächlich aus jener Mine stammt, aus der es auch kommen sollte. Das war bisher unser letzter blinder Fleck in der Lieferkette, denn er ist nicht Teil der LBMA-Richtlinie.»

Aber wie funktioniert das denn, ein PCR-Test auf Gold?

Illustration von technischen Werkstoffen mit Goldanteilen

Drei Buchstaben für die Zukunft: DNA

Raffineur Wild schickt uns zur Beantwortung dieser Frage zurück in die Deutschschweiz. Wir lassen die Vergangenheit im Geschichtsbüchlein dieses Mal ruhen und bereiten uns vor auf die Zukunft, die uns erwartet. Erforscht und in die Praxis umgesetzt wird sie im «The Valley» in Kemptthal.

Ankunft im engen Tal bei Winterthur. Die Mauern der historischen Fabrikgebäude: beige Ziegelsteine statt grauen Betons. Der Firmen­name Haelixa an der Wand: anthrazit und grün statt goldig-gelb. Die Türen: weit offen statt mit Stacheldraht bewehrt.

Drinnen im Sitzungszimmer sitzt Michela Puddu, CEO und Co-Gründerin von Haelixa. Sie spricht von Beipackzetteln für Gold, die eigentlich gar keine sind. Denn sie bestehen hier nicht aus weissem, grünem, rotem oder blauem Papier. Sondern aus transparenter Flüssigkeit. Darin gelöst: künstliche DNA. «Wie beim Menschen ist jeder unserer DNA-Marker einzigartig und unverwechselbar», sagt Puddu. Für die Anwendung braucht es nur wenig – eine gewöhnliche Sprühflasche genügt. Der DNA-Marker wird direkt nach der Gewinnung auf das Rohgold aufgetragen, zum Beispiel in einer Mine in Nordamerika. In der Raffinerie im Tessin wird dann ein Abstrich genommen vom angelieferten Material und bei Haelixa in Kemptthal oder einem anderen Labor mittels PCR-Test ausgewertet. Das Resultat: ein Daumen nach oben oder nach unten. Das Risiko einer Fälschung des «Beipackzettels»: gleich null. Nur das Gold, das die Prüfung besteht, wird später ein «Z» eingraviert bekommen.

Ein Sprayfläschchen genügt

Puddu nimmt uns mit in eines der Haelixa-Labors in einem Nebengebäude. Früher wurden hier Duftstoffe entwickelt, heute wird im Erdgeschoss Schokolade verpackt. Im zweiten Stock sitzen Technikerinnen und Techniker von ­Haelixa an Bildschirmen, Analysegeräten – und vor dem Prototyp einer Maschine mit selbstfahrendem Sprühkopf. «Diese brauchen wir, wenn grössere Flächen oder Stoffe mit dem Marker automatisiert besprüht werden sollen, etwa in der Textilindustrie», erklärt Puddu. «Für Gold genügt aber meist ein kleines, von Hand bedientes Sprayfläschchen.» Ein Gramm Marker reicht für eine ganze Tonne Material.

Dass die DNA-Technologie in der Schweiz entwickelt und für Goldbarren angewendet wird, ist kein Zufall: Erforscht hat Puddu die Technologie an der ETH Zürich zusammen mit zwei Professoren. Später hat sie mit einem Partner das Unternehmen Haelixa gegründet, um die Technologie zu kommerzialisieren. Die Zürcher Kantonalbank war Entwicklungshelferin beim Start-up – und brachte als Kundin ihren Edelmetall-Lieferanten Argor-Heraeus für die Zusammenarbeit beim Gold mit ins Boot. «Unsere Markierungstechnologie für den Beweis der Produktauthentizität und -integrität wird mittlerweile in diversen Branchen erfolgreich eingesetzt. Unser Ziel ist es, dass sich der DNA-Fingerabdruck als Standard durchsetzen wird», sagt Puddu.

Ist also die DNA-Technik die alles entscheidende Lösung auf dem Weg zum «sauberen Gold»?

Illustration einer Goldmine

Entscheidend sind die Menschen

Forscherin Puddu verweist uns für die Antwort zu dieser Frage zurück zur Bank. Nach einer langen Reise auf den Spuren des «Traceable Gold» sitzen wir nochmals Drazen Repak gegenüber. Kann er in die goldene Zukunft blicken?

«Nein», sagt der Edelmetallhändler, «das kann wohl niemand.» Aber eines hält er für sicher: «Eine Abkehr vom neuen Standard – nennen wir ihn einmal: ‹Transparenz und Integrität› – wird es nicht geben.» Dieser gehöre fortan zu den anderen, während der Jahrhunderte gefestigten Fakten rund ums Gold: dass es mit seiner natürlichen Knappheit ein «Safe Haven» in finanzpolitisch stürmischen Zeiten ist. Dass es ein Währungsstabilisator und eine handfeste Reserve der Zentralbanken ist. Und dass es mit seinem hohen emotionalen Wert immer mehr sein wird als eine blosse Ware.

Repak tönt nun fast wie Raffineur Wild im Tessin: «Gold findet immer seinen Weg in den Markt, woher es auch kommt. Entscheidend sind die Menschen: die Produzenten, die Verarbeiter, die Händler – und die Kunden. Sie haben es in der Hand, diese Transparenz zu fordern, zu verankern – und zu gewährleisten.»

In Gedanken sind wir wieder im Banktresor am Anfang unseres Weges. Und plötzlich leuchtet uns ein: Auch beim Gold ist der Glanz nicht alles. Was zählt, sind die inneren Werte – und ein schlichtes, eingraviertes «Z» aussen drauf.

Der Weg des Goldes

1 – Goldmine / Goldrecycling

Weltweit werden rund 3’000 Tonnen Gold pro Jahr gefördert, der Hauptteil davon in industriellen Grossminen. Nur etwa zehn Prozent der Menge stammen aus Klein- und Kleinstminen. Goldschrott aus industriellen Prozessen und Recycling von Goldschmuck steuert mit rund 1’500 Tonnen einen Drittel der jährlichen Gesamtproduktionsmenge von rund 4’500 Tonnen Gold bei.

Illustration einer Goldmine

2 – Goldraffinerien

Die Raffination und Transformation des Roh- und Recyclinggolds in Münzen, Barren und Halbfabrikate geschieht in Raffinerien. Rund die Hälfte der weltweiten Goldverarbeitung findet in der Schweiz statt.

Illustration zum Giessen von Goldbarren

3 – Zentralbanken / Handelsbanken

Fast ein Fünftel der weltweiten Goldbestände lagern als Vermögenswerte und Krisenschutz bei Zentralbanken. Banken wie die Zürcher Kantonalbank handeln mit Goldmünzen und -barren sowie Goldfonds.

Illustration von gestapelten Goldbarren

4 – Luxusuhren- und Schmuckindustrie

Die von den Raffinerien angelieferten Halbfabrikate, zum Beispiel Teile für Uhrgehäuse oder Ringe, werden weiterverarbeitet.

Illustration zu Goldschmuck

5 – Technische Industrie

Gold wird auch für elektronische Leiterstrukturen und Schaltkontakte oder für wärmereflektierende Beschichtungen auf Gläsern und Spiegeln verwendet.

Illustration von technischen Werkstoffen mit Goldanteilen

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