Reallöhne im Aufwind

Die Schweiz hat im vergangenen Jahr zum dritten Mal in Folge einen realen Kaufkraftverlust bei den Löhnen hinnehmen müssen. Wie es mit den Reallöhnen in der Schweiz weitergeht, erfahren Sie im Beitrag von Ökonom Kevin Gismondi.

Text: Kevin Gismondi

«Für die nächsten zwei Jahre ist mit leichten Zuwächsen bei den Reallöhnen zu rechnen», erklärt Kevin Gismondi. (Bild: Getty Images)

Der durchschnittliche Schweizer Haushalt hat im letzten Jahr einen Kaufkraftverlust erlitten. Gemäss den neuesten Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) stieg der Nominallohnindex im Jahr 2023 gegenüber dem Vorjahr um durchschnittlich 1,7 Prozent. Im selben Zeitraum nahm das hiesige Preisniveau um 2,1 Prozent zu.

Die Kaufkraft der Löhne, die sich aus der Anpassung der Nominallöhne an die Inflation ergibt, verringerte sich in der Folge um 0,4 Prozent. Unter dem Strich resultiert damit bereits der dritte reale Kaufkraftverlust der Löhne in Folge.

Mit dieser Entwicklung steht die Schweiz nicht allein da. Im übrigen Europa war die Inflation im Nachgang der Pandemie und aufgrund des Ukraine-Krieges deutlich stärker gestiegen als hierzulande. Der Kaufkraftverlust und folglich der Aufholbedarf bei den Löhnen waren in umliegenden Ländern wie Deutschland entsprechend erheblich grösser. Die rigiden Arbeitsmärkte in grossen Teilen Europas – Entlassungen sind kompliziert und kostspielig – hemmten zugleich das Lohnwachstum. Mit realen Lohneinbussen zwischen 0 und 2 Prozent in den letzten drei Jahren kam die Schweiz vergleichsweise glimpflich davon.

Grosse Unterschiede innerhalb der Sektoren

Nach Wirtschaftszweigen bewegte sich die Reallohnentwicklung in der Schweiz im letzten Jahr zwischen -2,7 und +1,5 Prozent. Die grosse Bandbreite unterstreicht die Vielfalt der Lohndynamik in den einzelnen Wirtschaftszweigen. Am stärksten sind die Reallöhne in der öffentlichen Verwaltung gestiegen. Die grösste Einbusse hatten die freiberuflichen Tätigkeiten. Wenn die Reallohnentwicklung über einen etwas längeren Zeitraum betrachtet wird, ist die Divergenz zwischen den Sektoren ebenfalls erstaunlich hoch (vgl. Grafik).

Indexiertes Realllohnwachstum (2010 = 100)

Quellen: Zürcher Kantonalbank, Bundesamt für Statistik

Wissensintensive Branchen mit hoher Wertschöpfung wie die IT oder Finanz- und Versicherungsdienstleis-tungen konnten die Kaufkraft ihrer Löhne über das letzte Jahrzehnt um 6 bis 7 Prozent steigern. Interessanterweise ist das absolute Lohnniveau dieser zwei Branchen mit einem Medianlohn zwischen CHF 9'000 und CHF 10'000 bereits Schweizer Spitzenwert. Zum Vergleich: Das schweizweite Bruttogehalt für eine Vollzeitstelle in der Gesamtwirtschaft betrug im Jahr 2022 im Median CHF 6'788.

In derselben Zeitspanne resultierte für andere Bereiche wie die Gastronomie oder das Gesundheitswesen ein sehr bescheidenes Reallohnwachstum von durchschnittlich unter 3 Prozent. Insbesondere für Arbeitnehmende in Niedriglohnbranchen, wie beispielsweise dem Gast- und Beherbergungsgewerbe, ist dies problematischer. Denn das mittlere Monatsgehalt von rund CHF 4'500 markiert im Branchenvergleich das Schlusslicht, sodass Kaufkraftverluste in diesen Sektoren entsprechend schwieriger auszugleichen sind. Die Reallöhne der Kunst- und Unterhaltungsindustrie sind aufgrund des pandemiebedingten Einbruchs sogar noch auf dem gleichen Level wie im Jahr 2010. Während das Lohngefälle zwischen den Geschlechtern weiter abnimmt, hat sich die allgemeine Lohnschere – das heisst der Gesamtabstand zwischen den höchsten und den tiefsten Löhnen – zwischen 2008 und 2022 kaum verändert.

Höhere Reallöhne erwartet

Die Zukunft sieht etwas besser aus. So zeigen die Ergebnisse der Lohnumfrage der Konjunkturfor-schungsstelle der ETH Zürich, dass die Unternehmen von einem nominalen Lohnwachstum von knapp 2 Prozent in den nächsten zwölf Monaten ausgehen. Aufgrund der tiefen erwarteten Inflation dürfte die Phase sinkender Reallöhne im laufenden Jahr damit zu Ende gehen. Die Experten der Zürcher Kantonalbank rechnen für die nächsten zwei Jahre mit leichten Zuwächsen bei den Reallöhnen. Doch selbst das prognostizierte positive Lohnwachstum von 2025 wird noch nicht ausreichen, um den Kaufkraftverlust der letzten drei Jahre wettzumachen – umso weniger, wenn man noch die höheren Krankenkassenprämien berücksichtigt. In der Eurozone hingegen dürften die Realeinkommen etwas stärker zulegen als in der Schweiz.

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