Schweizer Franken dämpft Inflation nur leicht
Die Schweizer Inflation liegt unter der des europäischen Auslands. Kann dies mit dem starken Franken erklärt werden – so, wie es in der wirtschaftspolitischen Diskussion derzeit gerne ins Feld geführt wird? Nur bedingt, sagt David Marmet, Chefökonom Schweiz bei der Zürcher Kantonalbank. Relevanter sei der hiesige Energiemix.
Text: David Marmet
Die Sorge um die Preisstabilität nimmt zu. Das schon tot geglaubte Gespenst der Inflation ist wieder zurück und in aller Munde. Was allerdings in der Schweiz auffällt, ist die im Vergleich zu anderen europäischen Ländern geringe Teuerungsrate. In der wirtschaftspolitischen Diskussion wird der bereits starke und weiter stärker werdende Schweizer Franken immer wieder als Inflationshemmer ins Feld geführt. Bei näherer Betrachtung steht dieses Argument im aktuellen Umfeld allerdings auf wackeligen Füssen.
Eine Frage des Blickwinkels
In der öffentlichen Wahrnehmung dominiert die Sicht auf den EUR/CHF-Wechselkurs: Eine Aufwertung des Schweizer Frankens wird generell mit einer Aufwertung zum Euro gleichgesetzt. In der zweiten Jahreshälfte 2021 hat der Franken gegenüber dem Euro tatsächlich um satte 4.5% zugelegt. Betrachten wir jedoch den handelsgewichteten Schweizer Franken, so beträgt der Anstieg nur rund 3%. Notabene ist eine Frankenaufwertung um 3% folglich nicht einem Anstieg der Konsumentenpreise um denselben Prozentsatz gleichzusetzen.
Ökonomen sprechen in diesem Zusammenhang von «Exchange Rate Pass-Through», also der Weitergabe des Wechselkurses. Sie untersuchen entsprechend, wie stark sich eine Auf- oder eine Abwertung des Frankens bei den inländischen Endpreisen bemerkbar macht. Zwar liefern die für die Schweiz zur Verfügung stehenden Studien unterschiedliche, teilweise sogar sich widersprechende Ergebnisse. Dennoch sind einige Resultate häufiger anzutreffen – und sollen hier berücksichtigt werden. Preise importierter Güter reagieren relativ rasch auf Wechselkursänderungen. So zeigt sich, dass bei einer CHF-Aufwertung um 10% die Importpreise innerhalb der ersten drei Monate um knapp 4% sinken. Auf die aktuelle Aufwertung umgerechnet würde der effektiv wechselkursbedingte Preisabschlag also über 1% betragen. Angesichts der rasanten Preiserhöhungen für Energieträger in den letzten Monaten ist dieser Effekt indes als recht bescheiden zu taxieren.
Der beschriebene Mechanismus gilt für die importierten Güter. Im Warenkorb vom Landesindex der Konsumentenpreise (KPI) werden indes knapp 24% der Güter als importierte Güter ausgewiesen. 76% stammen folglich aus inländischer Produktion. Dies erstaunt insofern nicht, als besagter Warenkorb 59% Dienstleistungen und «nur» 41% Waren beinhaltet. Dienstleistungen können bekanntlich ungleich schwerer über Landesgrenzen importiert und exportiert werden, da deren Leistungserstellung und Konsum oft zeitgleich erfolgt. Einschlägiges Beispiel hierfür ist der Friseurbesuch.
Inflation: Energiemix relevanter als starker Franken
Die dämpfende Wirkung einer Frankenaufwertung auf die Importpreise macht sich trotz alledem allmählich beim KPI bemerkbar. Nur, dieser Effekt ist klein. Die Anwendung älterer Studienergebnisse auf heute würde ergeben, dass die im letzten Semester beobachtete Aufwertung des Schweizer Frankens von 3% sich um 0.5% dämpfend auf den KPI auswirkt. Ende Oktober 2021 betrug die Schweizer Inflation 1.2%, in der Eurozone lag sie bei 4.1% und in Deutschland gar bei 4.5%. Diese Zahlen verdeutlichen, dass die grosse Inflationsdifferenz zwischen der Schweiz und den übrigen europäischen Ländern nur zu einem kleinen Teil auf den starken Schweizer Franken zurückzuführen ist. Im aktuellen Umfeld ist der nach Ländern stark divergierende Energiemix ein viel bedeutenderer Inflationstreiber. Da der durchschnittliche Schweizer Haushalt vergleichsweise wenig Energie aus fossilen Brennstoffen verbraucht, machen sich beispielsweise die exorbitanten Preissteigerungen bei Kohle und Gas im KPI nur wenig bemerkbar. Die Kaufkraft der Schweizer Privathaushalte nimmt durch die niedrige Inflationsrate im Ländervergleich zwar zu, die Frankenaufwertung ist aber nicht der bestimmende Faktor.