Achtung Gefahr!
Etwa jedes sechste Wohnhaus in der Schweiz ist von Naturgefahren wie Hochwasser bedroht. Der Klimawandel verschärft diese noch. Immobilienkäufer sollten sich der Situation bewusst sein.
Von Jörn Schellenberg und Andrea Horehájová, Analytics Immobilien

Im Frühsommer 2023 richteten sich alle Blicke auf das idyllische Dorf Brienz in der Gemeinde Albula, mitten im Herzen Graubündens. Dem am 12. Mai evakuierten Dorf drohte ein Bergsturz. In der Nacht zum 16. Juni war es tatsächlich so weit: Unter lautem Donnern lösten sich ca. 1,2 Millionen Kubikmeter Gestein. Der Strom kam nur wenige Meter vor dem Dorf zum Stillstand. Die rund 90 Bewohner konnten erleichtert in ihre unversehrten Häuser zurückkehren. Doch Mitte November 2024 mussten sie das Dorf aufgrund des rutschenden Schutthanges erneut auf unbestimmte Zeit verlassen. Ein weiterer Bergsturz beschleunigte den Hangrutsch über dem Dorf. Schneeschmelze und Starkregen können die Rutschung jederzeit weiter vorantreiben. Inzwischen wird sogar erwogen, Brienz dauerhaft umzusiedeln.
Die bedrohlichen Bilder aus dem kleinen Bündner Bergdorf sorgten für Aufmerksamkeit bis weit über die Landesgrenzen hinaus. Schliesslich war hier neben Gebäuden und Infrastruktur auch Leben akut gefährdet. Die präventiven Evakuierungen und die Kommunikation der Behörden mit der Bevölkerung und den Medien gaben wertvolle Einblicke in modernes Krisenmanagement und den Umgang mit Naturgefahren, die bis in die USA mediale Beachtung fanden. Zentrales Element der Gefahrenprävention und des Risikomanagements sind die Gefahrenkarten, deren Erstellung für die Kantone verpflichtend ist. Diese Karten zeigen, wo in der Schweiz Siedlungen und Verkehrswege durch Hochwassergefahren, Rutschungen, Sturzprozesse und Lawinen bedroht sind1. Für Brienz weisen die Karten eine erhebliche Gefahr von Rutschungen und eine Restgefährdung durch Sturzprozesse aus.
Brienz – ein Dorf in der roten Zone

Naturgefahren in den Kantonen und Gemeinden
Um einen umfassenden Eindruck der Gefährdungslage in der Schweiz zu gewinnen, haben wir die von insgesamt 21 Kantonen frei verfügbaren Daten ausgewertet. Mithilfe unseres Geographischen Informationssystems (GIS) haben wir analysiert, welche Wohngebäude den genannten Naturgefahren in welchem Masse ausgesetzt sind. Annähernd jedes sechste Wohnhaus ist nach aktuellem Stand der Gefahrenkartierung von einer Naturgefahr bedroht, jedes hundertste sogar von mehreren Naturgefahren. Besonders eindrücklich ist die Situation im Glarnerland, wo die Hälfte der Wohngebäude mindestens einer Naturgefahr ausgesetzt sind. Es folgen die Kantone Wallis (36 Prozent), Schwyz (30 Prozent), Graubünden (29 Prozent) und Sankt Gallen (27 Prozent). Selbst im Kanton Basel-Land ist jedes vierte Wohnhaus gefährdet. Trotz des grossen Medieninteresses an den Ereignissen im Albulatal sind Bergstürze und Rutschungen bei weitem nicht die häufigste Bedrohung für unsere Wohnhäuser, sondern Hochwasser (s. Grafik unten).
Bergkantone am stärksten gefährdet

Gerade in den engen Tälern der Bergkantone fliessen die oftmals besonders intensiven Niederschläge an den steilen Hängen rasch ab und lassen zunächst die Wasserpegel der Bäche und in der Folge auch der Flüsse rapide ansteigen. Wenn Starkregen zusätzlich mit der Schneeschmelze zusammenfällt oder die Böden bereits wassergesättigt sind, wird die Situation schnell kritisch. Wir haben dies letztes Jahr beispielsweise in Saas-Grund, im Rhonetal um Sion und im Goms eindrücklich gesehen, wo infolge von Überschwemmungen Einheimische und Feriengäste evakuiert werden mussten. Im Misox wurde die A13 teilweise weggespült. Sie konnte erst nach zwei Wochen ununterbrochener Arbeit wieder provisorisch eröffnet werden. In den Bergen sind starke Regenfälle besonders problematisch, weil diese häufig Rutschungen in Form von Murgängen und Gerölllawinen auslösen. Rutschungen stellen die zweithäufigste Bedrohung für unsere Wohngebäude dar. Sie treten nicht nur an den steilen Hängen der Alpen auf, sondern bedrohen auch zahlreiche Wohngebäude im Kanton Basel-Landschaft – eine Region, in der man dies aufgrund der Geländebeschaffenheit nicht vermuten würde. Grund sind die vorherrschenden Ton- und Mergelschichten, die bei Wasseraufnahme ihre Stabilität verlieren. Neben den beiden Hauptgefahren können in den Bergen zudem noch Lawinen und Bergstürze auftreten.
Bei einer detaillierten Betrachtung der Gefahrensituation auf Gemeindeebene zeigt sich, dass in den 21 untersuchten Kantonen in mehr als 150 Gemeinden über die Hälfte der Wohngebäude einer Naturgefahr ausgesetzt sind (siehe Karte). Im Kanton Zürich sind es lediglich 5 kleinere Gemeinden – Schöfflisdorf, Oberweningen, Wasterkingen, Wila und Zell. Auch hier geht die grösste Gefahr vom Hochwasser aus. Die dicht besiedelten Gebiete des Kantons sind besonders durch die Flüsse Sihl und Limmat, die inmitten der Stadt Zürich hinter dem Hauptbahnhof zusammenfliessen, und durch Glatt, Eulach und Reppisch sowie deren Zuflüsse gefährdet.

Verteilung der Gefahrenstufen
in Prozent

Gefahrenintensität und Verlässlichkeit der Gefahrenbeurteilung
Obwohl in der Schweiz insgesamt eine grosse Anzahl an Gebäuden gefährdet ist, ist der Grossteil glücklicherweise nur in geringem Masse betroffen. In der Gesamtbetrachtung der vier Naturgefahren dominiert die Gefahrenstufe «gering» mit 62 Prozent. Die Gefahrenstufe «erheblich» hat einen Anteil von 4 Prozent. Dennoch bedeutet dies, dass nicht weniger als 0,8 Prozent aller Wohngebäude der Schweiz in der roten Zone liegen.
Ein Blick auf die Gefahrenstufen zeigt, dass die Situation im Tessin heikler ist, als es in der eingangs aufgeführten Balkengrafik erscheint. Uns sind sicher allen noch die Ereignisse des vergangenen Jahres im Kopf, als ein Unwetter im Maggiatal eine Autobrücke zum Einsturz brachte und mehrere Täler von der Aussenwelt abschnitt. Vor diesem Hintergrund überrascht es, dass im von Bergen geprägten Tessin relativ wenige Gebäude einer Naturgefahr unterliegen. In den vom Kanton ausgewiesenen Risikogebieten liegt die Gefahrenstufe tatsächlich zu einem hohen Anteil von 46 Prozent in den Bereichen «mittel» und «erheblich». Nur die Kantone Wallis (51 Prozent) und Neuenburg (50 Prozent) weisen noch grössere Anteile dieser Gefahrenstufen auf. Dies deutet darauf hin, dass im Tessin zwar relativ wenige Gebäude gefährdet sind, diese jedoch stärker betroffen sein könnten. Zudem werden die Gefahrenkarten regelmässig aktualisiert und ergänzt, sodass die derzeit geringe Anzahl gefährdeter Gebäude im Tessin möglicherweise nur eine Momentaufnahme darstellt. Immobilienkäufern ist generell zu empfehlen, bei Bedenken hinsichtlich der in den Karten angezeigten Gefahrenlage einen Sachverständigen hinzuzuziehen oder Versicherungen zu konsultieren. Einen guten Überblick geben auch verschiedene Internetportale zum Thema Naturgefahren (s. Infobox).
Drohen auch mir Naturgefahren?
Alle Infos zur generellen Gefahrensituation für jedes Gebäude zur aktuellen Gefahrenlage in der Schweiz und zu bisherigen Schadenereignissen finden Sie unter:
schutz-vor-naturgefahren.ch
naturgefahren.ch
ueberschwemmungsgedaechtnis.hochwasserrisiko.ch
wsl.ch/de/naturgefahren/hochwasser-und-ueberschwemmung/unwetterschadens-datenbank
Sind die Gefahren in den Angebotspreisen berücksichtigt?
Für Immobilienkäufer ist es wichtig, sich möglicher Naturgefahren bewusst zu sein und sorgfältig abzuwägen, ob dieses Risiko tragbar ist. Dabei spielt auch die Frage eine Rolle, ob der Preis der Immobilie das Risiko angemessen entschädigt. Um eine Orientierungshilfe zu bieten, haben wir das Immobilienportal Homegate genauer unter die Lupe genommen und analysiert, welche Objekte zu welchen Preisen angeboten werden. Dabei sind wir auf Angebote in der akuten Gefahrenzone gestossen, die durchaus attraktiv klingen: Noch vor wenigen Jahren fanden sich beispielsweise mehrere Inserate, die Objekte in der Ortschaft Brienz mit wohlklingenden Worten anpriesen wie
«Zeit für sich selbst haben, nichts müssen, nur dürfen, abschalten und zur Ruhe kommen. Hier haben Sie endlich Ihr gesuchtes und lang ersehntes Ferienparadies gefunden!»
Das vorläufig letzte Inserat fanden wir im Februar 2024. Es war 17 Tage aufgeschaltet und wurde 300 Mal aufgerufen. Basierend auf den Inseraten der letzten vier Jahre haben wir untersucht, ob Einfamilienhäuser in Gefahrenzonen signifikant günstiger angeboten werden als ausserhalb dieser Bereiche. Dazu haben wir die Ergebnisse um Unterschiede in Lageeigenschaften und Objektqualität bereinigt. Dabei hat sich gezeigt, dass die inserierten Preise in der Hochwassergefahrenzone durchschnittlich 2,6 Prozent niedriger sind als ausserhalb. Befindet sich das Objekt in der Gefahrenzone von Rutschungen, was allmählich zu Rissen in den Wänden führen kann, beträgt die mittlere Preisreduktion bei den Inseraten 3 Prozent. Droht gar die Gefahr von Felsstürzen, liegt der Angebotspreis durchschnittlich 12 Prozent niedriger als ausserhalb der Gefahrenzone. Dabei ist es nahezu unerheblich, ob die Gefahrenstufe als «gering» oder «mittel» eingestuft wird.
Dass die Preisabschläge nicht noch deutlicher ausfallen, kann damit zusammenhängen, dass im Falle von Elementarschäden in der Regel die Gebäudeversicherung den finanziellen Schaden übernimmt. Im Kanton Zürich beträgt der Selbstbehalt lediglich 500 Franken. Allerdings sind Schäden, die durch Wasser verursacht werden, das beispielsweise infolge von Starkregen durch die Kanalisation hochdrückt oder aufgrund eines steigenden Grundwasserspiegels in Gebäude eindringt, nicht abgedeckt. Diese durchaus nicht seltenen Ereignisse wären zusätzlich zu versichern. Abgesehen vom finanziellen Aspekt kann die Gefahrensituation jedoch eine erhebliche psychische Belastung darstellen. Im Schadensfall kann das Gebäude vorübergehend unbewohnbar werden, und die Sicherung des Eigentums sowie die Reinigungs- und Aufräumarbeiten sind zumeist mit intensiver körperlicher Anstrengung und viel Ärger verbunden. Darüber hinaus kann ein grosser ideeller Schaden entstehen, beispielsweise durch das Abhandenkommen persönlicher Erinnerungsstücke, ganz zu schweigen vom möglichen Verlust von Menschenleben. Kommen wir nochmals auf den Extremfall Brienz zurück, hätte sich der Kauf angesichts der jüngsten Ereignisse und der erwogenen Umsiedlung keinesfalls gelohnt. Zwar sind unbewohnbare Gebäude durch die Gebäudeversicherung gedeckt, nicht jedoch das erworbene Land, das – je nach Lage – durchaus mehr als die Hälfte des Wertes ausmachen kann. Allenfalls können die Eigentümer hier auf Unterstützung von Bund oder Kanton hoffen.
Klimawandel verschärft Gefahren
Gemäss den analysierten Gefahrenkarten ist Hochwasser die mit Abstand häufigste Naturgefahr in der Schweiz. Mit dem Klimawandel wird die Gefahrenlage weiter zunehmen. Viele Gefahren lassen sich im Rahmen des Risikomanagements verhindern, sei es durch Massnahmen an den Gebäuden oder durch Schutzbauten im Gelände (z.B. Hochwasserschutzdämme, Steinschlagnetze etc.), die häufig mit erheblichem finanziellem Aufwand verbunden sind. Ein Beispiel dafür ist der derzeit im Kanton Zürich entstehende Entlastungsstollen von Langnau am Albis durch den Zimmerberg bis nach Thalwil. Ab dem nächsten Jahr kann bei sehr grossen Hochwasserereignissen Wasser der Sihl direkt in den Zürichsee geleitet werden, um das untere Sihltal und die Stadt Zürich vor Hochwasser zu schützen. Nach der Fertigstellung des 175-Millionen-Franken-Bauwerks dürften die Gefahrenkarten entsprechend angepasst werden. In der Schweiz wird jährlich mehr als eine Milliarde Franken in den Schutz vor Naturgefahren investiert. Gleichwohl ist eine absolute Sicherheit kaum erreichbar und auch ökonomisch nicht vertretbar. Wer ein Objekt in einer Gefahrenzone kauft, sollte besonders den späteren Verkauf im Blick behalten. Eine mögliche Zunahme von Schadenereignissen könnte den Wiederverkaufswert erheblich mindern. Wenigstens nimmt jedoch nicht nur die Gefahr von Wetterextremen zu, sondern auch der Schutz vor diesen, insbesondere dort, wo viele Menschen und Gebäude auf engstem Raum gefährdet sind.
1 Unberücksichtigt bleiben in der Naturgefahrenkarte nicht eindeutig lokalisierbare klimatische und tektonische Naturgefahren (Oberflächenabfluss, Sturm, Hagel, Dürren und Erdbeben).

erhebliche Gefährdung
- Personen sind innerhalb und ausserhalb von Gebäuden gefährdet
- Mit der plötzlichen Zerstörung von Gebäuden ist zu rechnen
Verbotsbereich: Keine Ausscheidung neuer Bauzonen; Rückzonung bzw. Auszonung nicht überbauter Bauzonen; keine Errichtung oder Erweiterung von Bauten und Anlagen; Erlass der notwendigen Nutzungsbeschränkungen bei bestehenden Bauten; Wiederaufbau zerstörter Bauten nur in Ausnahmefällen und nur mit Auflagen; Umbauten und Zweckänderungen nur mit Auflagen zur Risikominderung
mittlere Gefährdung
- Personen sind innerhalb von Gebäuden kaum gefährdet, jedoch ausserhalb
- Mit Gebäudeschäden ist zu rechnen, jedoch sind plötzliche Gebäudezerstörungen unwahrscheinlich, sofern die Bauauflagen beachtet werden
Gebotsbereich: Ausscheidung neuer Bauzonen nur nach Prüfung von Alternativen und Interessenabwägung; Baubewilligungen nur mit Auflagen; keine Erstellung von sensiblen Objekten; Erlass der notwendigen Nutzungsbeschränkungen bei bestehenden Bauten
geringe Gefährdung
- Personen kaum gefährdet
- Mit geringen Gebäudeschäden bzw. Behinderungen ist zu rechnen, zudem können erhebliche Sachschäden in Gebäuden auftreten
Hinweisbereich: Hinweis auf die Gefahrensituation; Empfehlungen für bestehende Bauten; Erwägung von Auflagen für Neubauten, sensible Nutzungen oder grössere Überbauungen