Gemeinsames Sanieren als Herkulesaufgabe

Stockwerkeigentum (STWE) hat sich in den ersten 60 Jahren als Wohneigentumsform etabliert. Mit dem anstehenden Sanierungsbedarf steht die eigentliche Bewährungsprobe erst bevor.

Von Ursina Kubli, Leiterin Immobilien-Research, Julia Lareida und Ingrid Rappl, Analytics Immobilien

Illustration: Atelier JoosWolfangel

Eine Eigentümergemeinschaft trifft sich zu ihrer jährlichen Stockwerkeigentumsversammlung, wo die Sanierung des in die Jahre gekommenen Gebäudes besprochen werden soll. Jeder hat eine andere Meinung: Ein älterer Herr sieht gegenwärtig kaum Bedarf, das Haus sei schliesslich auch nach 40 Jahren noch top in Schuss. Ein frisch dazugezogenes Paar in der Attikawohnung möchte eine umfassende Sanierung und macht sich für den Einbau eines Lifts stark. Ein weiterer Eigentümer hat eine 20-seitige Präsentation über Fassadenfarben vorbereitet. Die Diskussionen driften in einen Streit über Parkplätze und die häufigen Ferienabwesenheiten des Hauswarts. Die anstehende Sanierung wird ins nächste Jahr verschoben. Dieses Beispiel ist zwar stark zugespitzt, dürfte dem einen oder anderen STWE-Besitzer aber dennoch bekannt vorkommen.

Entscheidungsfindung kann beschwerlich sein

Es war genau diese Herausforderung von Entscheidungsprozessen, die in der Schweiz im Jahr 1912 zur Abschaffung der rechtlichen Grundlagen dieser Wohnform führen sollte. «Communio est mater rixarum», dieser lateinische Spruch könnte es nicht treffender beschreiben: Gemeinschaftliches Eigentum ist der Ursprung von Streit. Erst 1965 wurde Stockwerkeigentum im Schweizerischen Zivilgesetzbuch (ZGB) fest verankert. Stockwerkeigentum darf als Erfolgsgeschichte gefeiert werden: In urbanen Gebieten ist es zur deutlich dominierenden Wohneigentumsform aufgestiegen. Dies darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die eigentliche Bewährungsprobe dieser Eigentumsform erst bevorsteht. Die bis in die Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts erstellten Eigentumswohnungen treiben unweigerlich der ersten umfassenden Sanierung entgegen.

Grundsätzlich ist es von Vorteil, dass sich Stockwerkeigentümer die Erneuerungskosten der gemeinschaftlichen Teile wie Heizung, Gebäudehülle, Wasserleitungen gemäss Wertquote teilen. Die Entscheidungsfindung kann jedoch komplex sein. Während bei Einfamilienhäusern ein einzelner Eigentümer die erforderlichen Massnahmen in die Wege leiten kann, muss der Entscheid im Stockwerkeigentum von einer Mehrheit getragen werden. Im Extremfall müssen die Massnahmen sogar einstimmig beschlossen werden. Stockwerkeigentümer müssen den erforderlichen Sanierungszyklus also gemeinsam bewältigen, um die Bausubstanz zu erhalten. Gelingt ihnen das? Oder zeigt sich bereits der vielbefürchtete Sanierungsstau im Zustand der Gebäude? Wir haben Bewertungen der Zürcher Kantonalbank der letzten fünf Jahre von Stockwerkeigentumswohnungen im Kanton Zürich ausgewertet und dabei den Gebäudezustand von rund 6’800 Gebäuden mit über 42’000 Wohnungen untersucht.

Grossteil der Eigentümergemeinschaften hält Gebäude intakt

Der Grossteil der Stockwerkeigentümer schafft es, auch mit zunehmendem Alter des Gebäudes, die notwendigen Renovationsarbeiten durchzuführen. Drei Viertel der STWE-Gebäude haben in einem Alter von über 30 Jahren einen Zustand, der als «recht unterhalten1» beurteilt werden kann. Bei 3 Prozent der älteren Gebäude hat in den fünf Jahren vor Bewertung eine Totalsanierung stattgefunden. Das Eigentumskonzept funktioniert insgesamt also sehr gut. Bei 21 Prozent der über 30-jährigen Stockwerkeigentumsgebäude zeigt sich jedoch ein gewisser Sanierungsstau. Jede vierte STWE-Gemeinschaft sollte sich also derzeit in intensiven Diskussionen befinden, wie sie die erforderlichen Massnahmen zur Wertsicherung der Liegenschaft umsetzen bzw. fortsetzen kann. 3 Prozent der über 30-jährigen STWE-Liegenschaften sind sogar stark sanierungsbedürftig.
 

Über ein Fünftel aller älteren STWE haben einen gewissen Sanierungsstau

Quellen: Zürcher Kantonalbank, Gebäude- und Wohnungsregister

Bei diesen Negativbeispielen kommt es bei einem Verkauf zu einer Preiseinbusse. Unser hedonisches Bewertungsmodell zeigt, dass eine sanierungsbedürftige Wohnung am freien Markt im Vergleich zu einer recht unterhaltenen und sonst identischen Wohnung mit einer Preisreduktion von 1,9 Prozent abgestraft wird. Bei einer durchschnittlichen Wohnung von 1,3 Millionen Franken bedeutet dies einen Abschlag von 24’700 Franken. Dies ist im Vergleich zu den Sanierungskosten gering. Unverkäuflich sind diese Wohnungen im heutigen Marktumfeld nicht, zu gross ist die Nachfrage nach den eigenen vier Wänden. Wer eine Wohnung in einem solchen Gebäude frisch erwirbt, muss jedoch mit erheblichem Aufwand rechnen, sowohl in finanzieller Hinsicht als auch bezüglich persönlichem Aufwand.

Neubauten sind professionell unterwegs

Sind Stockwerkeigentumsgemeinschaften finanziell auf die anstehenden Sanierungen vorbereitet? Vor dem Hintergrund dieser Frage haben wir sämtliche bei uns eröffneten Erneuerungsfondskonti von STWE-Gemeinschaften analysiert. Es stellt sich die Frage, welche Gemeinschaften ein Erneuerungsfondskonto führen. Dieses ist nicht Pflicht, wird jedoch empfohlen. Das Guthaben stellt sicher, dass die Gemeinschaft finanziell auf zukünftige Sanierungen vorbereitet ist. Zudem kann eine professionelle Verwaltung anstehende Konflikte verringern und das Funktionieren der Gemeinschaft erleichtern. Obwohl das Sanierungsthema bei neueren Bauten noch in weiter Ferne liegt, dominieren diese zahlenmässig die Anzahl der Erneuerungsfondskonti. Zudem ist der Anteil mit einer Verwaltung bei den jüngeren Gebäuden mit 93 Prozent am höchsten. Um den heutigen STWE-Neubau brauchen wir uns wohl auch in Zukunft keine Sorge zu machen. Doch wie sieht es mit älteren Gemeinschaften aus? Bei den Gebäuden der Baujahre 1981 bis 1990 haben lediglich 72 Prozent eine professionelle Verwaltung, wohl in der Überzeugung, das auch allein bewältigen zu können. Nahmen die STWE-Besitzer der Anfangsstunden die Sanierungsthematik bis heute auf die (zu) leichte Schulter? Dazu haben wir die Vermögen der Erneuerungsfondskonti der Ü30-jährigen STWE-Bauten analysiert.
 

Neuere STWE-Gemeinschaften sind professionell unterwegs

Quellen: Bundesamt für Statistik, Zürcher Kantonalbank

Als Orientierung gilt die Empfehlung des Schweizer Stockwerkeigentümerverbands. Demnach sollen jährliche Einzahlungen von 0,4 Prozent des Gebäudeversicherungswertes geleistet werden, bis ein Niveau von 6 Prozent erreicht ist. Umgerechnet entspricht das angestrebte Niveau im Erneuerungsfonds 225 Franken pro Quadratmeter. Dies ist aber eine allgemeine Empfehlung. Sanierungsbedürftige und erst recht «stark sanierungsbedürftige» Gebäude brauchen ein grösseres Polster. Die Empfehlung würde in diesen Fällen nicht ausreichen. Im Median liegen die Vermögen des Erneuerungsfonds unter den Empfehlungen, selbst bei Sanierungsbedarf. Mit rund 174 bzw. 171 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche sind sanierungsbedürftige bzw. stark sanierungsbedürftige Immobilien unterkapitalisiert. In so einer Situation steht die Gemeinschaft vor Herausforderungen, sobald eine Partei den zusätzlichen Finanzbedarf nicht leisten kann oder will.

Das gilt jedoch nicht für alle. Konzentriert man sich auf das am besten kapitalisierte Viertel der Gemeinschaften (75. Perzentil), sieht man, dass längst nicht alle den Finanzierungsbedarf verschlafen. Bei recht unterhaltenen Gebäuden befindet sich das 75. Perzentil just auf Empfehlungskurs. Sanierungsbedürftige heben sich kaum ab, während «stark sanierungsbedürftige» mit einem mittleren Vermögen von 340 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche obenaus schwingen. Dazu ist es aber auch höchste Zeit.

Erneuerungsfonds zu selten auf dem Radar der Eigentümer

Viele Stockwerkeigentümer sind sich der Konsequenzen von fehlenden Mitteln im Erneuerungsfonds nicht bewusst. Dies birgt nicht zu unterschätzende Risiken und ist Nährboden für mögliche Konflikte. Dadurch kann die langfristige Wertentwicklung der Liegenschaft negativ beeinflusst werden, und anstehende Investitionen sind durch den Erneuerungsfonds nicht vollständig finanziert.
 

Erneuerungsfonds halten häufig nicht mit den Empfehlungen Schritt

Quellen: Bundesamt für Statistik, Zürcher Kantonalbank

Wie kann es sein, dass ein Grossteil der STWE-Eigentümer das Thema Erneuerungsfonds zu wenig auf dem Radar hat? Dafür gibt es Erklärungen. Schliesslich werden die Beiträge in den Erneuerungsfonds, die der bisherige Eigentümer geleistet hat, bei einem späteren Verkauf der Wohnung nicht zurückerstattet. Vielmehr ist der Erneuerungsfonds Wie kann es sein, dass ein Grossteil der STWE-Eigentümer das Thema Erneuerungsfonds zu wenig auf dem Radar hat? Dafür gibt es Erklärungen. Schliesslich werden die Beiträge in den Erneuerungsfonds, die der bisherige Eigentümer geleistet hat, bei einem späteren Verkauf der Wohnung nicht zurückerstattet. Vielmehr ist der Erneuerungsfonds untrennbar im Stockwerkeigentum gebunden. Kann der bisherige Eigentümer nicht mit einer hohen Zahlungsbereitschaft des Käufers rechnen, dämpft dies die Bereitschaft, in den Fonds einzuzahlen.

Empfehlung des Schweizer Stockwerkeigentümerverbands (SSTV)

Einzahlungen von 0,4% des Gebäudeversicherungswertes pro Jahr bis zu einem Wert von 6% des Gebäudeversicherungswertes entsprechen ca. 225 Franken pro Quadratmeter Wohnfläche.

Tipps für Käufer und Besitzer

Beim Kauf von bestehendem STWE sollte sich der Erwerber über die in der Vergangenheit getätigten Erneuerungsinvestitionen, die Höhe des Fonds und über die noch zu erwartende Lebensdauer der gemeinschaftlichen Gebäudeteile informieren. Die Durchsicht der vergangenen Protokolle kann einen wichtigen Hinweis geben, ob Sanierungstätigkeiten Thema sind und wie die Stimmungslage ist. Die letzten Jahresrechnungen geben Auskunft über die effektiven Kosten und Investitionen.

Für STWE-Besitzer ist Planung das A und O. Sie müssen sich der Lebensdauer der einzelnen Bauteile bewusst sein und frühzeitig eine Kostenabschätzung der Sanierungen einholen. Eine langfristige Gebäudestrategie ermöglicht sämtlichen Eigentümern, sich auf den finanziellen Bedarf einzustellen. Ist das nicht der Fall, könnte an der nächsten Stockwerkeigentumsversammlung noch ganz anderer Zündstoff blühen.
 

Rechtliches zu Stockwerkeigentum

Das Stockwerkeigentum ist eine etablierte und bewährte Wohnmöglichkeit. Um langfristig ein harmonisches Miteinander zu gewährleisten, muss man aus rechtlicher Sicht einiges beachten. Alwin Keller, Legal Counsel Zürcher Kantonalbank, beantwortet die wichtigsten Fragen.

Bauliche Massnahmen: Wer entscheidet?

Es gibt gute Nachrichten. Je unentbehrlicher eine bauliche Massnahme für die Gemeinschaft ist, desto leichter lässt sie sich umsetzen. Die gesetzliche Regelung lässt sich etwas vereinfacht anhand des Beispiels eines Dachs darstellen.

Schwierigkeiten bei der Auslegung dieser Regelung bereitet insbesondere die Abgrenzung der Massnahmen. Gilt eine Sanierung bereits als Luxus, oder ist sie bloss werterhaltend? Es sind immer die konkreten Umstände zu beachten, und sogar das Bundesgericht bezeichnet seine eigene Rechtsprechung diesbezüglich als «nicht ganz einheitlich». Es lohnt sich in jedem Fall, frühzeitig das Gespräch mit den anderen Eigentümern zu suchen.

Durchsetzung von Forderungen: Was tun, wenn ein Eigentümer nicht zahlt?

Die Gemeinschaft kann den jeweiligen Eigentümer betreiben und gegen ihn klagen. Darüber hinaus hat die Gemeinschaft Anspruch auf die Errichtung eines Pfandrechts am Stockwerkeigentumsanteil. Der verpfändete Anteil kann zwangsverwertet werden, und die Gemeinschaft wird aus dem Erlös befriedigt. Hinzu kommt ein sogenanntes Retentionsrecht an beweglichen Sachen, die sich in den Räumen eines Eigentümers befinden, ähnlich wie für einen Vermieter. Juristisch hat die STWE-Gemeinschaft die Instrumente, sich gegen säumige Eigentümer zu wehren. Selbstredend will man diesen Weg im gemeinsamen Zusammenleben vermeiden.

Streitvorsorge: Wie kann ich den juristischen Weg vermeiden?

Ein sorgfältiges Reglement sowie allenfalls eine Hausordnung mit klaren Alltagsregeln und ein gut gefüllter Erneuerungsfonds können viele Konflikte im Vorfeld vermeiden
 

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