Kleinräumige Unterschiede nicht unterschätzen

Viele Immobilienverkäufer setzen in ihren Inseraten auf die Makrolage als zentrales Verkaufsargument. Davon sollte man sich nicht täuschen lassen, denn die effektive Lagequalität kann mitunter auf kleinstem Raum sehr stark variieren. Aufgrund der von COVID-19 ausgelösten veränderten Bedürfnisse dürfte die kleinräumige Lage vermehrt in den Fokus von Eigenheimsuchenden rücken.

Text: Emanuel Roos, Analytics Immobilien

Auf der Suche nach den eigenen vier Wänden trifft man nicht selten auf Inserate mit Titeln wie «Ein rares Schmuckstück an der Goldküste» oder «Wohnen in Uetikon am See». Wenn man sich dann intensiver mit dem Objekt der Begierde auseinandersetzt, sich vielleicht sogar Zeit nimmt für eine Besichtigung, entpuppen sich viele dieser vermeintlichen «Schmuckstücke» als Enttäuschung. Das Objekt liegt an einer vielbefahrenen Strasse, ist schlecht erschlossen, oder die erhoffte Seesicht wird vom Nachbarhaus versperrt. Die Mikrolage, also die Lage innerhalb der Ortschaft, ist schlecht. Dafür wird die grossräumige Lage, die sogenannte Makrolage, im Inseratetitel gezielt in den Fokus gerückt. Die Assoziationen, die man mit einer Ortschaft verbindet, werden systematisch genutzt, um Aufmerksamkeit zu generieren. Bislang ging diese Strategie grösstenteils auf, zu verlockend war die unmittelbare Nähe zur Grossstadt. Die Kröte einer schlechten Mikrolage wurde geschluckt. Doch wird das auch in Zukunft noch funktionieren?

COVID-19 verändert unsere Bedürfnisse


Mehr als ein Jahr ist es her, dass der Bundesrat am 16. März 2020 den ersten Lockdown verhängte und das öffentliche Leben herunterfuhr. Läden, Restaurants, Bars sowie Unterhaltungs- und Freizeitbetriebe wurden geschlossen. Den Leuten wurde empfohlen, zu Hause zu bleiben. Und das taten die meisten auch. Viele haben infolgedessen ihre Wohnsituation überdacht. Ein zusätzliches Zimmer oder ein eigener Garten dürften ganz oben auf der Wunschliste stehen. Durch die eingeschränkte Mobilität und den kleineren Bewegungsradius rücken die unmittelbare Umgebung und die Nachbarschaft vermehrt in den Fokus. «Wenn ich schon so viel Zeit zu Hause verbringe, möchte ich mich doch wohlfühlen», werden sich viele denken.

Grosse Spannweite beim Lageeffekt

Erhebliche Lageunterschiede auf kleinstem Raum

Die Qualität der Mikrolage setzt sich aus verschiedenen Faktoren zusammen. Aussicht, Seenähe, Strassenlärm, Hang­neigung, Sonnenstunden und Erreichbarkeit der lokalen Infrastruktur gehören zu den wichtigsten Mikrolagetreibern. Je nach Topografie, Siedlungszusammensetzung und Verkehrsanbindung kann die Qualität der Lage innerhalb einer Ortschaft sehr stark variieren, wie die obenstehende Abbildung verdeutlicht. Für ausgewählte Zürcher Ortschaften haben wir jeweils die beste Mikrolage mit der schlechtesten verglichen und den aktuellen prozentualen Preisunterschied berechnet. Je höher die Preisdifferenz, desto heterogener ist die Ortschaft in Bezug auf die kleinräumige Lage. Während einige Ortschaften eine Preisspanne von über 20 Prozent aufweisen, gibt es auf der anderen Seite sehr homogene Ortschaften, bei denen die lagebedingten Unterschiede weniger als 10 Prozent des Preises ausmachen.

Weiler und Seeanstoss beeinflussen Heterogenität

Eine hohe Mikrolagevarianz ist vielfach auf ein Zusammenspiel verschiedener Aspekte zurückzuführen. So kommt es beispielsweise oft in flächenmässig grösseren Ortschaften, die über kleinere Weiler verfügen, zu grossen lagebedingten Preisunterschieden. Diese Weiler sind meist schlecht erschlossen oder liegen an einer stark befahrenen Durchgangsstrasse mit überdurchschnittlichem Strassenlärm. Die kleinräumige Lagequalität dieser Weiler unterscheidet sich dann sehr stark vom Rest der Ortschaft. Typische Beispiele hierfür sind Wald oder Bülach. In Ortschaften mit direktem Seeanstoss gibt es ebenfalls häufig starke Preisunterschiede. Naturgemäss verfügen nur einige wenige Adressen über einen direkten Seeanstoss. Ausserdem befinden sich diese Orte oft senkrecht zum See, das heisst sie ziehen sich wie ein Schlauch vom See weg. Mit zunehmender Distanz zum See nimmt die Lagequalität rasch ab.

Lagebedingte Quailtiätsunterschiede von über 20 Prozent

Grosse Qualitätsunterschiede in Uetikon am See

In Bezug auf die Mikrolagevarianz besonders interessant ist Uetikon am See. Der kleine Ort an der Goldküste gehört zu denjenigen Ortschaften im Kanton Zürich mit den deutlichsten kleinräumigen Unterschieden. Die teuerste und die günstigste Lage trennen nicht einmal 650 Meter Luftliniendistanz. Und doch liegen diese beiden Adressen mit einem lagebedingten Preisunterschied von über 20 Prozent meilenweit auseinander. Das bedeutet, dass für die gleiche 4-Zimmer-Wohnung rund 260’000 Franken mehr oder weniger bezahlt werden, je nachdem, wo sich diese in Uetikon befindet. In Uetikon spielt neben dem See zudem die gestufte Topografie eine wichtige Rolle. Während die steileren Lagen in Seenähe sowie weiter oben im Dorf über eine hervorragende Seesicht und eine optimale Sonneneinstrahlung verfügen, sind diese Charakteristika für die mittleren Lagen aufgrund des flachen Geländes deutlich schlechter ausgeprägt. Just diese Adressen sind auch noch überdurchschnittlich durch den Verkehrslärm belastet, was sich zusätzlich negativ auf die Mikrolage auswirkt.

Attraktive Mikrolagen rücken in den Fokus

Das Beispiel von Uetikon am See verdeutlicht einmal mehr die besonderen Eigenheiten des Immobilienmarktes. Kein Objekt ist wie das andere, aber jedes Objekt ist fest mit seinem Standort verbunden, der die Gesamtqualität der Liegenschaft wesentlich prägt. Je nach Ortschaft kann die Mikrolage auf kleinstem Raum sehr stark variieren und einen erheblichen Einfluss auf den Wert haben. Obwohl die Makrolage auch in Zukunft wichtig bleiben wird, ist davon auszugehen, dass die Mikrolage an Bedeutung gewinnt. Dies gilt umso mehr, sollte die Arbeit von zu Hause auch nach COVID-19 zu einem gewissen Teil bestehen bleiben, wovon viele Marktbeobachter ausgehen. Je mehr Zeit Eigenheimkäufer in den eigenen vier Wänden verbringen, desto weniger werden sie bereit sein, die Kröte einer schlechten Mikrolage zu schlucken. Die unmittelbare Umgebung als Beurteilungskriterium rückt verstärkt in den Fokus. Verschärft sich die Nachfrage nach attraktiven Mikrolagen, wird das Preisgefälle zwischen sehr guten und schlechten Mikrolagen weiter ansteigen.

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