Heisses Pflaster im Kanton Zürich
So schön ein später Sonnenuntergang an einem lauen Sommerabend in naturnaher Umgebung sein kann, in versiegelten Häuserschluchten wird der Wärmeinseleffekt angesichts des Klimawandels mit zunehmenden Hitzetagen und Tropennächten zum immer grösseren Problem. Und das nicht nur in den Städten. Lösungen liegen auf der Hand. Wir sollten sie rasch angehen.
Text: Jörn Schellenberg, Analytics Immobilien
Ein Sommertag mitten in Zürich. Geregnet hat es lange nicht mehr. Die Sonne scheint unerbittlich auf den überwiegend versiegelten Turbinenplatz. Der Betonboden soll an die industrielle Vergangenheit erinnern. An diesem Tag erinnert er an einen Glutofen, umgeben von einem Ensemble aus Hotel-, Wohn- und Gewerbebauten, die die gespeicherte Wärme lange abstrahlen. Frischluft strömt kaum noch ein. Spärlich verteilte Bäume spenden nur unzureichend Schatten. Menschen sucht man auf den vielen Sitzgelegenheiten vergeblich, verweilen will hier an diesem Sommertag niemand mehr.
Um der Überhitzung auf den Grund zu gehen und geeignete Lösungsstrategien zu erarbeiten, hat der Kanton Zürich ein flächendeckendes Klimamodell entwickelt. Das Resultat zeigt kleinräumig anhand der vorherrschenden Bodenbedeckung die von einer durchschnittlichen Person gefühlte Temperatur während einer typischen hochsommerlichen Wetterlage um 14 Uhr1.
Wärmeinseln: deutliche Temperaturunterschiede in den Siedlungen
Insbesondere die dicht besiedelten und hochgradig versiegelten Siedlungsbereiche mit geringem Grünflächenanteil sorgen für rote Köpfe. Der Sonne besonders stark ausgesetzte Stein-, Beton- und Asphaltflächen können sich im Sommer rasch auf über 60 °C aufheizen, und sie kühlen nur sehr langsam wieder ab. Damit bewirken sie auch in der Umgebung sehr hohe Lufttemperaturen. Städte erwärmen sich mit ihrer hohen baulichen Dichte in der Regel stärker als Dörfer auf dem Land. Aber selbst innerhalb der Städte gibt es markante Unterschiede. So zeigt in der Stadt Zürich das Gebiet rund um die Hardbrücke mit den von dunklem Kies umgebenen Gleisanlagen um den Güterbahnhof deutliche Überhitzungserscheinungen, die bis in die Wohngebiete am Hardplatz reichen (s. Karte). Empfundene Nachmittagstemperaturen um 40 °C und mehr sind hier keineswegs ungewöhnlich, während die mittags bis abends besonders stark besonnten Hänge des nach Südwesten orientierten Zürichbergs mit ihrer gemässigten Bebauung und besseren Durchgrünung deutlich angenehmere Temperaturen aufweisen. In den Siedlungsbereichen am oberen Sonnenberg in Hottingen (Kreis 7) liegt der entsprechende Wert um die 32 °C.
Zu wenig Grün fördert Hitzestress
Wärmebelastung im Siedlungsraum, 14 Uhr (von einer durchschnittlichen Person im Hochsommer empfundene Temperatur)
Erträgliche Temperaturen sind entscheidend für die Aufenthaltsqualität der Bewohner und schlussendlich für die Attraktivität der Wohnlage. Sind die Hitzeinseln weitgehend unbewohnt, oder sind sie der Lebensmittelpunkt für einen Grossteil der Bevölkerung? Das kantonale Klimamodell zeigt in Verbindung mit adressscharfen Bevölkerungsdaten, in welchen Gemeinden die Situation besonders angespannt ist. Für Zürich und Winterthur haben wir die von der Bevölkerung durchschnittlich wahrgenommene Temperatur detaillierter auf Kreisebene ausgewertet (s. Karte unten). In der Stadt Zürich haben die Wohnlagen in den Kreisen 9 (Altstetten, Albisrieden) und 4 (Aussersihl) die höchste Temperatur. Auch der Kreis 5, der sich in den letzten Jahren mit seinen zahlreichen Neubauten von einem Industrie- zu einem veritablen Wohnquartier gewandelt hat, gehört zu den heissesten Kreisen Zürichs. Die beschriebene Situation am Turbinenplatz ist hier somit keine Einzelerscheinung.
Gartenstadt Winterthur fast so heiss wie Zürich
Vergleichen wir die Städte Zürich und Winterthur, so schneidet letztere mit 35,6 °C vs. 36 °C nur leicht besser ab. Dies, obwohl Winterthur nach dem Leitbild der Gartenstadt grossen Wert auf Grün- und Waldflächen, innerstädtische Pärke, Vorgärten und Pünten legt. Zürich steht im Vergleich relativ gut da, weil die Stadt aufgrund ihrer Topographie von einer natürlichen Klimaanlage profitiert: In der Nacht strömt über die bewaldeten Hänge des Zürich- und des Uetlibergs beidseits kühle Luft ein. Die Stadt legt grosses Augenmerk auf Bewahrung dieser Frischluftkanäle bei der Neubautätigkeit. Angenehmere Temperaturen in der Nacht sorgen nicht nur für einen besseren Schlaf, sondern machen hochsommerliche Wetterlagen auch am Tag erträglicher. Die unmittelbaren Nachbargemeinden Schlieren, Wallisellen (beide 36,7 °C), Rümlang (36,4 °C) und Opfikon (36,3 °C) wärmen sich stärker auf als die Limmatstadt.
Hitzebelastung nicht nur in den Städten gross
Durchschnittlich wahrgenommene Aussentemperatur an einem Sommertag (14 Uhr) an den Standorten der Wohngebäude auf Gemeindeebene (Zürich und Winterthur Stadtkreise) in Grad Celsius
Sonnige Goldküste leicht kühler als Pfnüselküste
Werfen wir einen Blick auf die Gemeinden, in denen sich die Bewohner immerhin mit einem Sprung in den Zürichsee abkühlen können, fällt auf, dass die Nachmittagstemperaturen an der von der Abendsonne verwöhnten Goldküste etwas angenehmer sind als am gegenüberliegenden Ufer. Am rechten Ufer stechen das von Feldern und Wäldern umsäumte Zumikon (33,9 °C), Küsnacht (34,8 °C) mit seinem dicht bewaldeten Tobel sowie Erlenbach (34,9 °C) als Oasen der Erholung hervor. Beim beliebten Vergleich der Gold- mit der Pfnüselküste muss man fairerweise sagen, dass letztere am Abend früher beginnt, sich abzukühlen, während das Abendessen am rechten Ufer eher mal von der Terrasse in die Innenräume verlegt werden muss.
Niedrigste Temperaturen im Zürcher Oberland, Hitzestress im Weinland
Die angenehmsten Sommertemperaturen im gesamten Kanton finden sich in den höher gelegenen Landgemeinden des Zürcher Oberlandes (Fischenthal, Bäretswil, Bauma) mit gefühlten Durchschnittstemperaturen in den Wohngebieten zwischen 32 °C und 33 °C. Fällt der Vorteil der Höhenlage weg, herrscht jedoch selbst auf dem Land zum Teil ein beachtlicher Hitzestress. So werden beispielsweise in Marthalen, Volken, Altikon und Ellikon an der Thur im Mittel von der Bevölkerung wahrgenommene Temperaturen von über 36 °C erreicht. Im Weinland scheint die Sonne bekanntlich besonders lang, was sich in den kompakten Ortschaften bis in den nächsten Tag auswirkt.
Was tun?
Nicht zuletzt in Bezug auf den Klimawandel ist in den letzten Jahrzehnten die Erkenntnis gereift, dass die weitere Zersiedelung in die Fläche auf Kosten der natürlichen Landschaft minimiert werden muss. Die künftige Entwicklung soll vor allem innerhalb der bestehenden Siedlungsbereiche stattfinden. Selbst wenn Verdichtung mit den klimatisch besten Baumaterialen (z.B. helle Farben, wenig graue Energie) geschieht, ist sie mit Versiegelung zulasten von Grünflächen und Frischluftschneisen verbunden. Die Herausforderung liegt darin, möglichst viel Grünraum in den Städten zu erhalten. Dazu können beispielsweise die forcierte Begrünung von Dächern und Fassaden sowie der vermehrte Einsatz von Rasengittersteinen auf Terrassen beitragen. Auch für oberirdisch abgestellte Autos sind Rasengittersteine klimatisch vorteilhafter als gänzlich versiegelte Flächen. Zudem sollten Grünflächen möglichst wenig mit unterirdischen Gebäuden (z.B. Tiefgaragen) unterbaut werden, damit auch schattenspendende Laubbäume gepflanzt und genügend gross werden können. Vegetation sorgt nicht nur für zusätzlichen Schatten, sondern auch dafür, dass das Wasser im Boden gespeichert wird und nicht direkt in die Kanalisation verloren geht. Mit ihrem allmählichen Verdunsten des gespeicherten Wassers bewirken Pflanzen einen zusätzlichen Kühleffekt. Auf dem eingangs beschriebenen Turbinenplatz versucht die Stadt seit letztem Sommer, sich genau diesen Effekt durch eine künstlich erzeugte Nebelwolke zunutze zu machen.
Obwohl der grösste Handlungsbedarf in den Städten liegt, können selbst Einfamilienhaussiedlungen auf dem Land mit naturnahen Gärten und dem Verzicht auf Steingärten einen wertvollen Beitrag für das Mikroklima leisten. Mit mehr Grün und Blau anstelle von Grau lässt sich die Überhitzung in den Siedlungen mindern und damit nicht nur die Aufenthaltsqualität in unserem Umfeld entscheidend verbessern, sondern auch der Wert unserer Liegenschaften stützen. Schon heute können in den besonders betroffenen Gebieten viele an Sommernachmittagen und -abenden ihre Balkone und Terrassen nicht mehr nutzen, geschweige denn nachts gut schlafen. Die Wohnpräferenzen werden sich daher perspektivisch ändern. Wir haben es längst nicht mehr nur mit ein bis zwei heissen Wochen in den Sommerferien zu tun. Die Hitzeperioden werden länger und intensiver. Gelingt es uns nicht, die Hitzebelastung von Gebäuden zu verringern, werden diese unter Preisdruck geraten. Wir werden sie zudem vermehrt von innen kühlen müssen. Wer hat dafür die Energie?
1 Die Klimamodelldaten weisen die Physiologisch Äquivalente Temperatur (PET) aus. Die PET beschreibt das thermische Empfinden einer «Standardperson» mit einer mittleren thermischen Empfindlichkeit. Für das thermische Empfinden sind vor allem Lufttemperatur, Luftfeuchte, Windgeschwindigkeit und die direkte Sonneneinstrahlung ausschlaggebend. Die empfundene Temperatur kann daher deutlich von der gemessenen Temperatur abweichen.
Wie fühlen sich die Sommernachmittage und -nächte bei Ihnen an?
Erfahren Sie in unserer neuen interaktiven Kartenapplikation, auf welch heissem Pflaster Sie leben.