Viel Lärm um Lärm

Wir haben für alle Schweizer Mietwohnungen analysiert, wie exponiert sie gegenüber Strassenlärm sind. Das Ergebnis ist überraschend: So wohnt es sich in den grössten Städten nicht immer am lautesten. An den stark befahrenen Strassen in Zürich und Winterthur sind aber noch immer Tausende Wohnungen einer sehr hohen Lärmbelastung ausgesetzt. Strassenlärm führt in der Schweiz zu Mietverlusten von 320 Mio. Franken pro Jahr.

Text: Ursina Kubli und Ingrid Rappl, Analytics Immobilien

Rosengartenstrasse
Die Rosengartenstrasse in Zürich-Wipkingen (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)

Im Gegensatz zu «Viel Lärm um nichts» – einer bekannten Komödie von Shakespeare – versteht die Politik beim Thema Strassenlärm keinen Spass. Aufgrund übermässiger Lärmimmissionen wurden bereits mehreren Ersatzneubauten die Baubewilligungen wieder entzogen. Auch in der politischen Diskussion zu Tempo 30 gilt die Reduktion von Strassenlärm als eines der Hauptargumente dafür, die maximale Geschwindigkeit breitflächig zu reduzieren. Wir haben die Auswirkungen dieses omnipräsenten Themas auf den Schweizer Immobilienmarkt untersucht. Konkret zeigen wir anhand der aktuellen Strassenlärmdaten vom Bundesamt für Umwelt (BAFU), die neuerdings in der Horizontalen und in der Vertikalen (3D) modelliert werden, wo Strassenlärm bei Wohnimmobilien besonders ausgeprägt ist. Zudem haben wir geschätzt, wie stark die Angebotsmieten an befahrenen Strassen gesenkt werden. Diese datenbasierten Analysen sollen in einer häufig hitzig geführten Diskussion Fakten schaffen.

Immobilien aktuell

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Romands wohnen laut

«In einer grossen Stadt ist es laut.» Dieses Vorurteil konnten die Städte trotz Lärmschutzbestimmungen, neuer Parks und Erholungszonen wohl nie ganz abstreifen. Doch dieses Vorurteil ist längst überholt. Wir haben für sämtliche Wohnadressen der Schweiz die Lärmbelastung bestimmt. Zürich, die grösste Stadt der Schweiz, befindet sich lediglich im Mittelfeld. Genf, Lugano und Lausanne stechen indessen als besonders lärmgeplagt hervor. Es zeichnet sich also ein deutlicher Graben zwischen französisch- bzw. italienischsprachigen Regionen und der Deutschschweiz ab. In Genf haben beachtliche 94 Prozent aller Wohnadressen eine Beschallung durch Strassenlärm von über 50 dB(A), nur 4 Prozent aller Adressen liegen hingegen unter diesem Grenzwert und somit an einer ruhigen Lage. Während dieser Lärmpegel noch als «leise Radiomusik oder Vogelgezwitscher» beschrieben wird, ist eine Beschallung von 55 dB(A), die einem Radio/TV in Zimmerlautstärke gleicht, bereits belastender. Über 60 dB(A) entspricht einem Rasenmäher aus 10 Meter Distanz und dürfte selbst bei geschlossenen Fenstern in der Wohnung wahrgenommen werden. In der Stadt Genf betrifft Letztgenanntes jede dritte Wohnadresse. In Lugano, der Schweizer Stadt mit der zweitstärksten Lärmbelastung, jede fünfte Wohnadresse. Lausanne folgt mit einem Anteil von 13 Prozent. Bern, Winterthur und Aarau sind die Städte mit der geringsten Lärmbeschallung im Wohnsegment. Obwohl Bern als autofreundlich gilt, ist der Anteil lärmbelasteter Wohnadressen hier am geringsten. Damit schafft die Stadt Bern einen schier unmöglichen Spagat. Bei Winterthur ist das Ergebnis weniger überraschend, die Stadt hat sich längst einen Namen als Gartenstadt gemacht und darf sich mit Preisen von Pro Velo Schweiz rühmen. In Aarau mag der geringe Anteil lauter Lärmlagen an den sogenannten Flüsterbelägen liegen. Diese zwar teuren und auch aufwendigen Massnahmen werden im Kanton Aargau regelmässig zur Lärmbekämpfung eingesetzt.

In Bern wohnt man am leisesten

Anteil Wohnadressen mit Lärm, in Prozent

Lärm: Stadtevergleich
(Quellen: BAFU, Zürcher Kantonalbank)

Was in Zürich die Rosengartenstrasse ist, ist in Winterthur die Zürcherstrasse


Auch wenn viele Deutschschweizer Städte lärmtechnisch besser abschneiden als die Romandie, gibt es innerhalb der Städte grosse Unterschiede. In der Deutschschweiz sind Wohnungen entlang der Hauptverkehrsachsen ebenfalls sehr starkem Strassenlärm ausgesetzt. Folgende Rangliste zeigt die lautesten Strassen in Zürich und Winterthur, gemessen an der Untergrenze der Lärmbelastung der 20 Prozent lärmigsten Wohnadressen. Mit beachtlichen 69 bzw. 66 dB(A) sind die Rosengartenstrasse sowie die Zürcherstrasse die mit Abstand lärmigsten Strassen. Jede fünfte Adresse hat an diesen beiden Strassen eine noch höhere Belastung als diese bereits sehr hohen Lärmwerte. Kommt hinzu, dass sich Hauptverkehrsachsen über längere Distanzen hinziehen und folglich mitunter nicht wenige Wohnungen von einer derart hohen Beschallung betroffen sind. Anzahlmässig stechen in Zürich die Überlandstrasse sowie die Forchstrasse hervor, in Winterthur die Tösstalstrasse. Über tausend Wohnungen haben bildlich gesprochen einen ständig laufenden Rasenmäher vor der Haustüre.

Tabelle: die lärmigsten Strassen in Zürich und Winterthur

Ruhe hat ihren Preis

Ruhe ist für viele Menschen ein wichtiges Wohnbedürfnis. Daher wird oft bereits im Inseratetitel mit einer «ruhigen Wohnlage» geworben. Ob das der Realität entspricht beziehungsweise dem individuellen Ruhebedürfnis gerecht wird, sollte man am besten bei der Besichtigung selbst prüfen. An ruhigen Lagen wird die grössere Nachfrage zu höheren Mieten führen. Umgekehrt bedeutet das, dass Vermieter lärmgeplagter Wohnungen beim Mietpreis entgegenkommen müssen, um die Wohnung zu vermieten. Diesen Mietpreisabschlag haben wir im Auftrag des BAFU bestimmt. Konkret haben wir mit den Mietinseraten der Immobilienplattform Homegate ein hedonisches Modell geschätzt und dabei den Fokus auf Strassenlärm gelegt. Die Aversion der Mieter gegenüber Strassenlärm lässt sich statistisch belegen. Mietwohnungen werden ab einem Lärmpegel von 50 dB(A) pro 5 Dezibel um jeweils 1 Prozent günstiger inseriert.

Die berechneten Lärmabschläge haben wir in der folgenden Grafik für die Umgebung der stark befahrenen Rosengartenstrasse und Zürcherstrasse für sämtliche Mietwohnungsgebäude visualisiert. Spannend ist, wie sich der Lärmabschlag vor allem auf die direkt zur Strasse angrenzenden Wohngebäude konzentriert. Bereits eine Häuserzeile entfernt nimmt der Strassenlärm und damit auch der Mietpreisabschlag deutlich ab. Selbst diese lärmberüchtigten Quartiere haben ihre Ruheoasen. Liegen die Wohngebäude direkt an diesen Verkehrsachsen, ist der Lärm aber beachtlich, und die Mietpreisabschläge betragen bis zu 4 Prozent und mehr. Identische Wohnungen an einer ruhigen Lage könnten also 4 Prozent teurer ausgeschrieben werden. Dieser Mietpreisabschlag kann im Einzelfall aber natürlich variieren. Wie sehr die Wohnqualität durch Strassenlärm beeinträchtigt wird, hängt nämlich massgeblich von der Ausrichtung, dem Grundriss, der Bausubstanz sowie der Fensterqualität ab. Diese Unterschiede kommen in den Inseratedaten zu wenig zum Ausdruck, sodass diese Nuancen vom Modell nicht eingefangen werden können. Die Angebotsmiete einer strassenseitigen Altbauwohnung ohne Schallschutzfenster wird in der Realität einen höheren Abschlag haben. Bei einer Neubauwohnung, die in einen ruhigen Hinterhof zeigt, gibt es dagegen kaum Anlass, die Angebotsmieten zu senken.

Mietabschläge in Zürich und Winterthur

Karte: lärmbedingte Mietabschläge in Zürich und Winterthur
(Quelle: Zürcher Kantonalbank)

Mietausfälle summieren sich in der Schweiz auf 320 Mio. Franken pro Jahr

Bei den Eigentümern von Wohnrenditeliegenschaften entstehen folglich durch Strassenlärm Mietzinsverluste. Um das Ausmass dieser Kosten zu beziffern, haben wir für sämtliche Schweizer Mietwohnungen den Lärmabschlag der Nettomieten berechnet. Diese Abschläge summieren sich auf über 320 Mio. Franken pro Jahr. 

Tabelle Mietausfälle

In der Stadt Genf fällt mit jährlichen 40 Mio. Franken der grösste Mietminderwert an. Dies ist neben der hohen Lärmbelastung auch der Grösse des Wohnungsmarktes sowie dem hohen Genfer Mietniveau geschuldet. Zürich folgt mit einem Mietausfall von rund 28 Mio. Franken mit deutlichem Abstand als Nummer 2 dieser Rangliste. Die hohen Mietzinsausfälle sind jedoch nicht der alleinige Kostenpunkt für die Eigentümer. Häufigere Mieterwechsel und der damit einhergehende Administrationsaufwand sowie ein erhöhtes Leerstandrisiko sind in diesen Berechnungen noch nicht berücksichtigt.

Fazit

In der Schweiz sind trotz Lärmschutzvorschriften noch immer sehr viele Mietwohnungen massivem Strassenlärm ausgesetzt. Zwar steht die Deutschschweiz generell etwas besser da als die Romandie oder das Tessin. Doch auch in Zürich und Winterthur bleibt die Lärmbelastung vieler Wohnungen zu hoch. Daher wird Strassenlärm im Kanton Zürich ein brennendes Thema der Wohnungspolitik bleiben. Mit der Verhinderung von Ersatzneubauten an befahrenen Strassen befindet man sich aktuell allerdings auf dem Holzweg. Erstens verspricht die höhere bauliche Qualität durch den Neubau einen viel besseren Lärmschutz im Innern der Wohnungen. Zweitens bringen die Ersatzneubauten aufgrund einer in der Regel höheren Ausnützung das in den Städten so dringend nötige Mietwohnungsangebot. Nur eine rege Bautätigkeit kann die riesige Nachfrage nach städtischem Wohnen auch nur ansatzweise befriedigen und so die Mietpreisdynamik dämpfen. Diesbezüglich nimmt der Ersatzbau von Genossenschaftswohnungen eine Sonderrolle ein. Seine Verhinderung ist im heutigen Wohnungskontext, in dem bezahlbare Mietwohnungen wohnpolitisch breit getragen sind, beinahe absurd. Derweil sollten in der Lärmbekämpfung andere Wege eingeschlagen werden. Aufgrund der leisen Elektromotoren versprechen sich viele mehr Ruhe auf den Strassen. Dies gilt insbesondere bei langsamer Geschwindigkeit, namentlich in den Städten. Bereits ab einer Geschwindigkeit von ca. 20km/h  dominiert jedoch zunehmend der Lärm der Reifen auf dem Asphalt. Elektroautos sind diesbezüglich keineswegs leiser als Autos mit Verbrennungsmotoren. Eine Temporeduktion zur Minderung des Rollgeräusches wäre diesbezüglich die wirkungsvollere, für die Mobilität aber auch sehr drastische Möglichkeit, den Strassenlärm zu reduzieren. Neue Informationstechnologien in den Autos könnten zukünftig die effizientere Nutzung der Strasse fördern, sodass die Mobilität auch bei niedrigeren zulässigen Maximalgeschwindigkeiten nicht zu sehr tangiert wird.

Ferner zeigt das Beispiel von Aarau, dass auch die Weiterentwicklung der Strassenbeläge durchaus Potenzial hat. Dies gilt nicht nur in Hinblick auf unser Wohlbefinden, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht, denn die Einbussen in den Mieten, in die wir über unsere Pensionskassen investiert sind, sind beträchtlich. Damit steht den Städten künftig ein gewaltiger Kraftakt bevor. Das Spannungsfeld zwischen Lärmschutz, Verdichtung sowie Motorisierung dürfte noch anspruchsvoller werden. Um diese Zielkonflikte unter einen Hut zu bringen, braucht es von allen Seiten eine Portion Pragmatismus und Kompromissbereitschaft. Damit wird das Thema Lärm zwar auch in Zukunft nicht zu einer Shakespeare-Komödie avancieren, doch die Hoffnung auf ein Happy-End bleibt bestehen.
 

Oben ist es lärmiger als unten

Die BAFU-Lärmdaten wurden neu auf 3D-Basis modelliert. Damit lässt sich die Lärmbelastung erstmals nach Stockwerk unterscheiden. Man könnte meinen, dass die Lärmbelastung in der Höhe aufgrund der zunehmenden Distanz zum Strassenverkehr an Kraft verliert. Doch das Gegenteil ist der Fall. Fehlt das gegenüberliegende Gebäude, hat man zwar freie Sicht – doch damit fällt auch der Lärmschutz zu einer befahrenen Strasse weg. Das folgende Beispiel zweier Hochhäuser an der Schärenmoosstrasse in Zürich Oerlikon illustriert dieses Phänomen bestens. In beiden Gebäuden nimmt der Lärm mit der Höhe zu. Die oberen Stockwerke haben ein ähnliches Lärmniveau, in den unteren unterscheiden sich die Gebäude jedoch deutlich: Obwohl der rechte Turm näher an der stark befahrenen Thurgauerstrasse liegt, wird der Grenzwert von 50 dB(A) hier erst ab dem 13. Von 20 Stockwerken überschritten, während der linke Turm schon ab dem Erdgeschoss an der Lärmgrenze kratzt. Dabei liegen beide Gebäude nur 10 m voneinander entfernt. Während das rechte Hochhaus in den unteren und mittleren Etagen sehr gut vom Bürokomplex der Zurich-Versicherungs-Gesellschaft gegen die Thurgauerstrasse abgeschirmt ist und das gegenüberliegende Einkaufs- und Dienstleistungsgebäude es vor Lärm von der Glattparkstrasse schützt, prasseln die Schallwellen auf den linken Wohnturm fast ungehemmt ein.

Lärmsituation Wohnhochhäuser Schärenmoosstrasse

Lärmsituation Wohnhochhäuser Schärenmoosstrasse
(Quelle: BAFU, Zürcher Kantonalbank)

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