Wo es eng wird
Wer in der Stadt Zürich eine Stelle antritt, wird hier nur mit sehr viel Geld, Geduld und Glück eine Wohnung finden. Wir prognostizieren, auf welche Gemeinden ausgewichen wird, und zeigen auf, wo der Druck auf den Wohnungsmarkt dieses Jahr besonders spürbar ist.
Text: Julia Lareida, Analytics Immobilien
Leerwohnungen sind in der Schweiz noch reichlich vorhanden. Die Sorge, kein Dach über dem Kopf zu finden, scheint unbegründet. Doch die gesamtschweizerische Sicht trügt. Denn in den Zentren fehlt es bereits heute massiv an Wohnraum. Berufstätige, die eine neue Arbeitsstelle annehmen, oder Haushalte, die sich verändern wollen, suchen in den Städten häufig erfolglos nach freien Wohnungen. Die Leerwohnungsziffer in der Stadt Zürich betrug Mitte 2022 gerade einmal 0,07 Prozent. So ist die Wohnungssuche zur Herausforderung geworden – auch für Gutverdienende.
Die Bevölkerungsdynamik der Schweiz hängt zum grossen Teil von der Zuwanderung ab. Bei rund der Hälfte ist der Einwanderungsgrund die Erwerbstätigkeit. Auch der Familiennachzug, der beinahe ein Drittel der Zuwanderung ausmacht, hängt am Arbeitsmarkt. Jeder zweite neue Beschäftigte im Kanton Zürich tritt seine Stelle in der Stadt Zürich an. Die meisten von ihnen würden dabei gerne in der Nähe des Arbeitsplatzes wohnen. Es stellt sich immer mehr die Frage, wohin diejenigen ausweichen, die innerhalb der Stadt Zürich keine Wohnung finden. Einige dieser Ausweichgemeinden können mit dem zusätzlichen Interesse von aussen trotz eigenem Beschäftigungswachstum umgehen, da sie den nötigen Wohnraum bieten. In anderen Gemeinden verschärft sich die Wohnungsknappheit. Wo werden die Mieten in Zukunft steigen? Wo spitzt sich die Situation auf dem Mietwohnungsmarkt schon fast auf Zürcher Verhältnisse zu?
Das Suchverhalten
Wir prognostizieren unter Annahmen (siehe Infobox ganz unten) die Ausweicheffekte der Wohnungssuche. Die meisten Neubeschäftigten und ihre Familien möchten im Umkreis ihrer Arbeitsstelle wohnen. Besonders in dicht besiedelten Zentren mit geringem Leerstand erfüllt sich dieser Wunsch immer seltener. Die Nachfrage übersteigt das Angebot, und die Suche muss auf umliegende Gemeinden ausgeweitet werden. Dabei ist die Pendelzeit zum Arbeitsplatz eines der wichtigsten Kriterien bei der Wohnungssuche. Gleichzeitig hängt der Erfolg vom Wohnungsangebot ab. Das Interesse wird dabei grossteils durch Inserate auf Onlineplattformen gelenkt. Das Mietwohnungsangebot umfasst die in der Leerwohnungsstatistik aufgeführten leeren Mietwohnungen, den Neubau und die Neuvermietungen. Je grösser das Wohnungsangebot und je kürzer die Pendelzeit zum Arbeitsplatz, desto grösser ist die Anziehungskraft einer Gemeinde für Zuzüger.
Der «Speckgürtel» als Einzugsgebiet der Zürcher
Die Stadt Zürich steht im Zentrum der Diskussion um Wohnungsknappheit. Kein Wunder, denn bei ohnehin schon niedrigen Leerständen steigt hier die Zahl der Wohnungsinteressenten aufgrund des Beschäftigungswachstums dieses Jahr voraussichtlich um über 9’000 Personen. Wo suchen diejenigen, die in Zürich nicht fündig werden? Welche Gemeinden üben eine besondere Anziehungskraft aus?
Wir zeigen, dass vorwiegend der «Speckgürtel» um die Stadt Zürich als alternativer Wohnort attraktiv sein dürfte. In sehr kurzer Fahrzeit von Zürich aus erreichbar, sind die Gemeinden Kilchberg, Wallisellen, Adliswil und Dübendorf für in der Limmatstadt Beschäftigte besonders anziehend. Dübendorf punktet dabei zusätzlich mit vielen freien Wohnungen, primär durch Neubau. Weiter aussen lockt Winterthur. Den Zürcher Beschäftigten bietet sich dort ein grosses Wohnungsangebot. Dieses ist in bevölkerungsreichen Gemeinden aufgrund der Fluktuation natürlicherweise gegeben. Kleinere Gemeinden weiter ausserhalb, beispielsweise im Weinland, im Bezirk Pfäffikon oder im Bezirk Dielsdorf, üben hingegen keine grosse Anziehungskraft für Suchende aus der Stadt Zürich aus. Das Wohnungsangebot ist dort gering. Die teilweise schlechtere Erreichbarkeit verringert das Interesse zusätzlich.
Einige Suchende zieht es über die Kantonsgrenze hinaus. In relativer Nähe ist im Norden Schaffhausen gut erschlossen. Im Osten punktet Frauenfeld mit guter Erreichbarkeit und einem grossen Wohnungsangebot. Im Aargau sind Wettingen und Baden anziehend. Auch weiter entfernte Städte wie Bern oder Basel werden für einige Zürcher zur Wahlheimat.
Anziehungskraft für Zürcher
Kurze Pendelzeit und grosses Wohnungsangebot zieht Zürcher an
Regional unterschiedliche Anziehungskraft
(Farbwerte entsprechen der Legende in der oberen Grafik)
Von der Anziehungskraft zur Wohnungsknappheit
Nicht nur die Limmatstadt erfährt eine Zunahme der Beschäftigung und damit der Wohnungssuchenden. Auch in anderen Gemeinden werden in diesem Jahr die freien Wohnungen rar. Die Gründe für eine brisante Wohnungsmarktsituation sind dabei vielseitig. In einigen Gemeinden werden Wohnungen dieses Jahr schon aufgrund der Zunahme der eigenen Interessenten, des inneren Wachstums, knapp. Andere Gemeinden wiederum sind besonders anziehend für Suchende aus dem Umland und müssen daher mit grossem Interesse von aussen rechnen. Dabei können manche mit dem gesteigerten Interesse gut umgehen, sei es aufgrund grossen Leerstands oder von viel Neubau – andere weniger. Schlussendlich haben wir nicht nur die Anziehungskraft für Zürcher berechnet, sondern die gleiche Analyse auf alle Gemeinden des Kantons ausgeweitet. Das Gesamtinteresse, sowohl von innerhalb der Gemeinde wie auch von ausserhalb, relativ zum prognostizierten Wohnungsbestand, misst schlussendlich den Druck auf den Wohnungsmarkt. In welchen Gemeinden werden die Schlangen bei der Besichtigung dieses Jahr lang, weil nicht genügend Wohnraum für das Interesse vorhanden ist?
Druck steigt auch weit über die städtischen Zentren hinaus
Gut erreichbare Gemeinden mit einem grossen Wohnungsangebot können mit einer steigenden Interessentenzahl rechnen. Je grösser das Verhältnis der Suchenden zu den verfügbaren Wohnungen, desto grösser der Druck auf den Wohnungsmarkt. Im Fall von Schlieren kommt das Interesse primär von innen. Durch eine Zunahme der Interessenten innerhalb der Gemeinde von über 3 Prozent, relativ zur Bevölkerung, und gleichzeitig nur wenig Neubau und Leerstand muss die Stadt mit ihren neu angesiedelten High- und Biotechunternehmen mit grossem Druck auf den Wohnungsmarkt rechnen. Im nördlichen Teil des Kantons wächst das Gesamtinteresse in diesem Jahr in Rheinau besonders. Dies dürfte sich hier, wie in den anderen Gemeinden mit deutlich zunehmendem Druck, in steigenden Angebotsmieten zeigen. Gemeinden wie beispielsweise Rümlang sind anziehend für Suchende aus Zürich. Insgesamt kommt zum eigenen Wachstum von rund 1,2 Prozent noch Interesse aus anderen Gemeinden von knapp 1,4 Prozent, relativ zur Bevölkerung. Der geringe Neubau und die wenigen Leerstände von ungefähr 2,2 Prozent des Bestandes können das zusätzliche Interesse aber nicht absorbieren. Auch hier ist mit grossem Druck zu rechnen. Kappel am Albis erfährt ein grosses Interesse von aussen, namentlich von den Suchenden, die in Baar oder der Stadt Zug keine Wohnung finden. Dank grossem Leerstand und Neubau ist mit moderatem Druck zu rechnen.
Nicht überall stehen die Bewerber mit der Mappe unter dem Arm Schlange. Volken beispielsweise schrumpft um rund 0,8 Prozent und kann das grosse Interesse von ungefähr 1,4 Prozent von aussen mit Leerständen und Neubau im Umfang von über 5 Prozent kompensieren. Dadurch bleibt die Situation entspannt. In Elsau kommen kaum Suchende von aussen. Hier ist der Druck auf den Wohnungsmarkt gering.
Regionaler Druck auf den Wohnungsmarkt
Einige Gemeinden steuern auf Stadtzürcher Mietverhältnisse zu
Dem Unterangebot vorbeugen
Auch wenn wir schweizweit in den nächsten Jahren noch genügend Wohnraum haben, so wird dieser in gewissen Regionen bereits dieses Jahr zur Mangelware. Das modellierte Szenario ist eine Indikation, welche Regionen die zunehmende Wohnungsknappheit zu spüren bekommen. Der Druck auf den Wohnungsmarkt lässt in den betroffenen Gemeinden die Angebotsmieten steigen und die Leerwohnungsziffer weiter sinken. Ausweicheffekte führen dazu, dass auch ausserhalb stark wachsender Zentren der verfügbare Wohnraum zunehmend knapp wird. Es kann auch Gemeinden treffen, die lange Besichtigungsschlangen bisher nur aus den Nachrichten kannten. Geschenke beim Abschluss des Mietvertrags dürften vielerorts der Vergangenheit angehören. Hieraus folgt, dass man sich vor einem Stellenantritt über den lokalen Wohnungsmarkt informieren sollte. Für die Baubranche wiederum bieten sich Chancen in Entwicklungs- und Verdichtungsprojekten: Damit kann sie zugleich aktiv einer Verschärfung der Wohnungsmarktsituation der nächsten Jahre vorbeugen – das Interesse ist da.
Unsere Annahmen
Die Mietmarktsituation dieses Jahr hängt von der Nachfrage nach Wohnraum und dem Wohnungsbestand einer Gemeinde ab. Die Nachfrage resultiert dabei aus dem eigenen Wachstum einer Gemeinde, dem Interesse von innen, und ihrer Anziehungskraft für Wohnungssuchende aus anderen Gemeinden, dem Interesse von aussen. Gemäss Referenzszenario des Bundesamts für Statistik beträgt das schweizweite Bevölkerungswachstum 0,84 Prozent pro Jahr. Auf Gemeindeebene sorgt dabei die regionale Beschäftigungsdynamik für ein Bevölkerungswachstum. Übersteigt das innere Interesse einer Gemeinde das Wohnungsangebot, wird vermehrt auf andere Gemeinden ausgewichen. Konkret rücken jene Gemeinden in den Fokus, die sich in geringer ÖV-Pendeldistanz befinden und über ein reichliches Mietwohnungsangebot verfügen. Wie gross das Angebot ist, hängt vom Leerstand, vom Neubau und von einer angenommenen Fluktuation von 10 Prozent aller Haushalte pro Jahr ab. Wir berücksichtigen dabei die durchschnittliche Haushaltsgrösse auf Gemeindeebene. Je schneller erreichbar eine Gemeinde und je grösser ihr Wohnungsangebot, desto grösser ist ihre Anziehungskraft. Schlussendlich entsteht Druck auf den Wohnungsmarkt, wenn eine Gemeinde die resultierende Nachfrage nach Wohnraum nicht befriedigen kann. Entscheidend ist dabei der Wohnungsbestand in diesem Jahr. Dieser ergibt sich aus dem Bestand per Anfang Jahr plus den realisierten Neubauten, berechnet aus den Baugesuchen.