Er bringt den Schweizer Fussball zu den Blinden
Für blinde und sehbehinderte Menschen ist es naturgemäss schwierig, Fussballspiele der Super League live zu verfolgen. Zum Glück gibt es die Audiodeskriptionen von blindpower.ch. Beni Winiger, Kundenbetreuer in Hombrechtikon und Freizeitkommentator für blindpower.ch, macht alle Fussballfans glücklich.
Text: Köchle Othmar / Bild und Video: Simon Baumann
Wir treffen ihn vor der Medientribüne in der Swissporarena in Luzern. Noch 90 Minuten bis zum Anpfiff der Partie zwischen dem FC Luzern und den Young Boys Bern. Beni Winiger hat seinen Anzug, den er als Kundenbetreuer in Hombrechtikon trägt, gegen einen sportlichen casual Look ausgetauscht mit Baseball Cap und aufgesteckter Sonnenbrille. Er und sein Co-Kommentator richten sich in den engen Sitzreihen ein: Matchblatt, Installation des Audio-Equipments für den Stream und ein iPad, auf dem das Live-TV-Bild des Spiels laufen wird, der Kopfhörer mit aufgestecktem Mikrofon lässig um den Hals gelegt. Sie gehen noch einmal die Abläufe, die Aufstellungen der Mannschaften, die Namen der Schiedsrichter durch. Wir merken: Die beiden sind ein eingespieltes Team. Kurz wechselt man ein paar Worte mit den Kollegen aus der Medienbranche, welche ihre Plätze langsam einnehmen.
blindpower.ch
Blind Power ist eine Audioplattform und das Schweizer Integrationsradio.1997 in einer Blindenschule im Bernischen Zollikofen entstanden, besteht Blind Power seit 2006 als eigenständiger Verein. Dieser betreibt die Audioplattform, produziert Radiosendungen und Beiträge, sowohl für seine Audioplattform wie auch für andere Auftraggeber. Ausserdem fördert der Verein die Audiodeskription (Beschreibung für blinde und sehbehinderte Menschen) im Fussball-Bereich wie auch von weiteren kulturellen Sparten und Veranstaltungen. Der Verein ist auf Unterstützung von Sponsoren und Spendern angewiesen. Das Liveradio kann über die Kabelanbieter Swisscom/Sunrise/UPC empfangen werden.
Mehr Informationen dazu sowie Audiostreams und Podcasts der Spiele auf blindpower.ch.
Schon als Kind mimte er den Sportkommentator
Ich stelle ihm die nahe liegende Frage: «Ist Beni Turnherr dein Vorbild, bist du der Schnurri - okay, nicht der Nation, aber doch von blindpower.ch?» Beni lacht und meint, nein, er habe keine Vorbilder, weder Beni, der Schnurri, noch Sascha, der Ruefer. Schon als Kind hätte er allerdings gern Spiele kommentiert, einfach nur spasseshalber für sich. Vor ein paar Jahren hat er dann eher zufällig davon erfahren, dass blindpower.ch sogenannte Audiodeskriptionen der Spiele für Blinde und Sehbehinderte überträgt, also eine laufende Audioberichterstattung dessen, was auf dem Spielfeld zu sehen ist. Beni fragte an, ob der Verein noch Freiwillige fürs Kommentieren (oder besser: Beschreiben) der Spiele suche. Es kam zum Kontakt. Im Januar 2020 machte er den Einführungskurs. Kurz darauf hatte er seinen ersten Einsatz in St. Gallen. Die Stimmung in den Stadien war aber seltsam, da kurz darauf mit Corona kein Publikum mehr zugelassen war und er mit wenigen anderen Medienleuten Geisterspiele kommentierte. Inzwischen ist er regelmässiger Gast in allen Schweizer Stadien, wo jetzt auch wieder Fans zugelassen sind, und gehört zu den routinierten Stimmen von blindpower.ch.
Jeder Spielzug wird geschildert
Noch fünf Minuten bis zum Kick-Off. Beni und Timo, sein Co-Kommentator, gehen auf Sendung, begrüssen die Zuhörer und stimmen sie auf die kommende Partie ein. Die Leistung der beiden Sprecher ist beeindruckend. Nicht nur gehen ihnen die Spielernamen flüssig von den Lippen, sie machen aus ihrem gesprochenen Wort einen Film, der jede Spielszene vor das innere Auge bringt: wie der Ball die Seite wechselt, wie Ardon Jashari leichtfüssig einen YB-Verteidiger ausdrippelt, wie sich Lewin Blum über einen Pfiff aufregt, indem er die Hände verwirft - eine 90-minütige Erzählung dessen, was wir Sehende ganz selbstverständlich auf dem Rasen wahrnehmen.
Die Begeisterung kommt ungefiltert rüber. Beni geht mit der Stimme mit, gibt zwischendurch spannende oder auch amüsante Randnotizen zum Fussball ab. Nach jeweils zirka fünf Minuten übernimmt der Co-Kommentator. Eine Audiodeskription eines 90-minütigen Spiels erfodert hohe Konzentration und ist entsprechend anstrengend. Der Wechselkommentar bringt kurze Pausen und macht es auch für Zuhörer unterhaltsamer.
25 Jahre hat Beni Winiger (46) in unteren Ligen für Stäfa - mit Leidenschaft, aber ohne grosses Talent, wie er selber sagt - gekickt. Mitte der 1980er Jahre begeisterte er sich für Neuchâtel Xamax und hält dem Klub bis heute als Anhänger die Treue. Er träumte damals davon, Sportkommentator zu werden, aber der Traum verblich, und er machte eine Banklehre. Mit seinen Einsätzen für blindpower.ch kann er sich heute seinen Bubentraum auf eine unerwartete andere Art erfüllen, kann gleichzeitig seinem Interesse für den Fussball nachgehen und ein sinnstiftendes Engagement für eine Randgruppe in seine Freizeit einbauen. Er macht es mit Stimme, Herz und Seele.